Und hier ist Einleitung und Anfang!
Mittwoch, 28.05.03 - 40. Etappe nach Slubice (Polen)
Das war eine gute Nacht im Festzelt! Gedrängt wie die Sardinen aber frische kühle Luft! Herrlich!!! Heute stehen 93 Kilometer auf dem Programm. Robert und ich gehen es dementsprechend gemütlich an. Nur Wolfgang Schwerk hat etwas dagegen. Offensichtlich ist ihm der gestrige Sieg etwas in den Kopf gestiegen. Er greift in jedem Fall zwei Mal in einem irrwitzigen Tempo an. Nachdem er sieht, dass er uns weder kaputt laufen noch abhängen kann, wird er jeweils wieder langsamer und lässt uns vorbei. Die Führungsarbeit, Robert und ich wechseln uns alle paar Minuten ab, lässt er leider uns alleine machen und profitiert nur. Unsere Fahrt wird unterwegs durch einen ca. 8-minütigen Aufenthalt vor einer Bahnschranke gestoppt. Normalerweise lassen wir uns nicht einfach so stoppen, aber die Polizei wartet ebenfalls vor der Schranke... Ganze 5 Züge passieren uns, immer wieder längere Wartezeiten dazwischen. Unglaublich aber wahr... Um genau 12.00 Uhr versucht es Wolfgang noch einmal erfolglos. Wir folgen ihm und bleiben cool... Dann erlaubt sich die Organisation, Ingo Schulze und Co., die bisher grösste Geschmacklosigkeit: Das Turnsheet zeigt 93 Kilometer, an der Polnischen Grenze in Frankfurt Oder müsste Schluss sein. Wir haben Durst, schaffen es aber gut bis zur Grenze, aber hier ist nicht etwa Schluss! Es geht durch den Zoll über die Brücke, dann nach rechts für etwa eine Viertelstunde der Oder entlang über einen Damm. Wir fluchen auf Ingo und sind mittlerweile fast vollständig dehydriert. Keine Kraft mehr in den Beinen und die Moral ist eh am A...! Dann werden wir noch vollständig gedemütigt: Es geht eine happige Steigung rauf, dies soll uns dann vermutlich noch den Rest geben. Rennen können wir hier nicht mehr. Noch um das Stadion rum und dann endlich das Ziel in Slubice. Es waren heute ca. 5 Kilometer mehr, also 98. Eine nette halbe Stunde! Danke Ingo!!! Und niemand hat es für nötig empfunden, uns vielleicht ein Wort zu sagen?! Wir hätten dann zum Beispiel an der letzten Verpflegungsstation ein wenig mehr getrunken und uns auf den Rest moralisch eingestellt! Ingo hat uns übrigens noch kurz vor der Grenze im Auto passiert. Er winkt, sagt aber nichts. Wieso auch? Wir sind ja heute nur 9 Stunden gelaufen. Andere übrigens noch ein wenig länger. Was scheren uns die blöden Läufer?! Die nerven eh nur und reklamieren die ganze Zeit! Wir schlafen in einem alten Olympiastadion von anno 1936.
Donnerstag, 29.05.03 - 41. Etappe nach Brojce
Polen macht seinem schlechten Ruf alle Ehre: In der Nacht wurde das Betreuerfahrzeug von Dusan aufgebrochen. Es war nicht bei uns sondern vor ihrem Hotel geparkt...
Der "Friedensvertrag" von Robert und mir lief gestern aus. Wir haben durch Deutschland durch fast jeden Tag kräftig Zeit auf die Nächstplazierten gutgemacht und somit unser Zwischenziel mehr als erreicht. Zudem hatten wir eine schöne Zeit und haben uns immer wieder köstlich amüsiert! Robert ist wirklich ein sehr netter Kerl, man muss ihn einfach näher kennen! Wie mich auch, vermutlich... Heute mache ich und dann Robert abwechslungsweise vorsichtig ein wenig Tempo, aber so richtig bekämpfen wollen wir uns nicht. Er muss nicht und ich möchte mich auch nicht kaputt laufen. Der 2. Platz wäre auch mehr als sensationell! Und diesen gebe ich nicht mehr her! Der ist mir wichtiger! Nach 35 Minuten überholen wir bereits die Japanerin Hiroko. Sie ist heute total am Ende, läuft total schief und wird an der 1. Verpflegungsstation definitiv aussteigen müssen. Zur Erinnerung: Sie wollte heute vor einer Woche mit Karl den Etappensieg und hat uns in einem irren Tempo überholt! Heute zahlt sie den Preis dafür. Ein hoher Preis, finde ich. Ständig läuft sie am Limit, wie alle Japaner. Nun ist der Ofen endgültig aus. Mit ein wenig Hirn hätte sie spielend den Lauf unter den ersten 6 beenden können, selbstverständlich als 1. Frau... Aber eben: mit ein wenig Hirn! Schade...
Robert und ich bleiben schlussendlich den ganzen Tag zusammen und beenden die Etappe in 7 h 42 '. Es ging heute übrigens einer sehr verkehrsreichen Landstrasse (eher Autobahn) nach. Der Verkehr war grauenhaft und die Fahrweise der LKW- und PKW-Fahrer ebenfalls. Immer wieder überholen LKWs andere, auch wenn gleichzeitig ein Auto entgegenkommt?! 3 Fahrzeuge passen gerade so auf die Strasse, wenn man den Pannenstreifen, wo wir rennen, mit einbezieht! Einmal überholt ein Auto mit Wohnwagen einen LKW und gleichzeitig überholt noch ein PKW die beiden! Mehr zu diesem Thema vermutlich morgen... Das Abendessen ist ausgezeichnet. Zum Mahl singt und spielt eine einheimische Gesangstruppe polnische Lieder!
Ausgeschieden heute: Hiroko Okiyama (Japan)
Noch im Rennen: 22 von 44 (50 %)
Freitag, 30.05.03 - 42. Etappe nach Tarnowo Podgorne
Ein gutes Stück geht es heute noch der "Autobahn" nach, dann vorübergehend über eine ruhigere Route. Später nimmt der Verkehr wieder zu und es ist so schlimm wie gestern. Mehrmals werden wir von LKWs fast überfahren, d.h. sie lassen uns keinen Platz und wir überleben nur durch einen Sprung in den Strassengraben. Schönes Polen! Vermutlich bleibt dies jetzt so bis Moskau?! Das ganze erinnert mich stark an die 1000 Meilen auf dem Highway 36 in Amerika... Es ist heute recht heiss und ich trinke sehr viel. Es ist schliesslich mit gut 87 Kilometer ein gefährlicher und langer Tag. Unterwegs vor einem Schulhaus eine grosse Schar Schüler, denen wir die Hände "abklatschen". Sie haben riesige Freude an uns... Gegen Mittag mache ich etwas Tempo und wir lassen Wolfgang zurück. Er muss ja nicht schneller laufen, um seinen 3. Platz zu verteidigen. Ich hoffe, dass mit dem hohen Tempo mal etwas passiert. Gut 2 Stunden vor dem Ziel entdecke ich eine kleine Lücke zwischen mir und dem hinter mir laufenden Robert. Ich nutze die Gelegenheit und gebe ordentlich Gas. Jetzt oder nie! Es geht zu unserem Erstaunen noch über eine Sand- und danach über eine Wellblechpiste. Balsam für unsere Knochen... Im Ziel habe ich einen Vorsprung von rund 25 Minuten erlaufen. Das ist ein Anfang und gibt Hoffnung auf mehr. Robert hatte gestern einen Vorsprung von 3 h 45' im Gesamtklassement. Noch eine Menge Holz, aber auf 1700 Kilometer gesehen auch nicht mehr soviel...
Im Ziel zwei erfreuliche Überraschungen: Mein Schatz Alexa hat uns (und Luc + Alix) ein Hotelzimmer organisiert, im gleichen Gebäude wie der Schlafsaal. Wir schlafen hier für 11 Euro pro Person. Eigene Dusche und vor allem einmal weg von der ganzen Bande... Die zweite Überraschung: Die Ultralegende Yiannis Kouros gesellt sich zu uns im Ziel! Alexa macht ein paar Fotos von Yiannis, Dusan und mir. Ich bin mächtig stolz! Bitte sprecht mich in Zukunft nur noch mit Sir an...
Vor dem Abendessen bekommen wir von einer einheimischen Tanzgruppe noch eine wunderschöne Darbietung geboten.
Samstag, 31.05.03 - 43. Etappe nach Podgorne Wrzesnia
Absoluter Katastrophentag heute! Die Markierung ist grauenhaft schlecht und es verlaufen sich, so glaube ich, ausnahmslos alle mindestens einmal. Die Streckenmarkieren haben dies gestern sogar angekündigt: "Wer sich morgen nicht verläuft, ist selber schuld". Nur wieso unternimmt keiner etwas dagegen? Mehr bzw. überhaupt eine Information? Zusätzliche Pfeile? Die hintersten der erstgestarteten Gruppe (langsamere Gruppe) überholen wir normalerweise so gegen 9.00 Uhr, also nach ca. 2 Stunden. Heute überhole ich den ganzen Tag nur Siegrid, unsere Wanderin ganz am Schluss. Die anderen verlaufen sich total und ich sehe sie den ganzen Tag nicht?! Bis zu 4 ½ Stunden sind manche ohne Verpflegung, alle irren umher. Es ist zudem ein sehr heisser Tag heute! Wir verlaufen uns auch zwei Mal, verlieren aber nur ein paar Minuten. Wir, das sind Wolfgang, ich und dann noch so ein komischer Etappenläufer aus Griechenland. Den kann ich irgendwie einfach nicht abhängen?! Der läuft für einen Etappenläufer wirklich überaus stark!
Robert schiesst gleich nach dem "Startschuss" davon und wird lange nicht mehr gesehen. Ich sehe ihn dann aber doch noch und bin im Ziel nur 6 Minuten hinter ihm. 10 Minuten vor dem Ziel werde ich noch von einem Fahrradfahrer umgenietet. Ich hänge an seinem Lenker ein, drehe mich im freien Fall und stürze auf den Rücken. Ich erschrecke mich sehr und schreie laut auf dem Boden. Der Junge entschuldigt sich und ich renne nach ein paar Minuten Pause weiter. Mein Ellbogen blutet und ein paar Schrammen sind sichtbar. Aber ich bin froh, dass ich heil bin und das es ein Velo und kein LKW war. Stunden später kommen immer wieder Läufer wutentbrannt in die Halle und schreien rum. Verstehe ich nur zu gut! Ich habe, wie auch andere Läufer, schon länger den Eindruck, dass das Ziel der Organisation jenes ist, möglichst viele Läufer unterwegs nach Moskau zu verlieren?! Ein böser Vorwurf, aber nicht ganz unbegründet... Andere hatten diesen scheusslichen Gedanken übrigens auch schon. Nach diesem Horrortag bleibt mir doch noch etwas grosses: Ich bin heute mit dem wohl besten Ultramarathonläufer der Welt gelaufen!!! Yiannis schüttelt übrigens über die schlechte Streckenmarkierung und über die Anzahl der Verpflegungspunkte den Kopf. Er versteht das nicht, was hier vor sich geht...
Sonntag, 01.06.03 - 44. Etappe nach Kolo
Die Streckenmarkierung ist heute wieder gut, ich finde meinen Weg. Es wird von Tag zu Tag wärmer und ich trinke dementsprechend sehr viel. Die Sonne brennt uns unbarmherzig auf den Pelz. Robert zieht gleich am Morgen wieder davon. Am Ende hat er dann wieder etwa 10 Minuten Vorsprung auf mich. Ich laufe mein konstantes Tempo (so 11 km/h) und schone mich so gut es geht. Ich will nach Moskau und zwar gesund und heil! Mir tut übrigens nach wie vor vollkommen nichts weh, es geht mir ausgezeichnet! Der Verkehr ist für einmal nicht so schlimm, es ist Sonntag. Es donnern aber auch heute unzählige LKWs an uns vorbei, sehr knapp vorbei. Die Strasse ist wiederum langweilig gerade. Die Umgebung wohl ländlich, aber die Strecke halt nicht so toll. Wir schlafen heute in einem Internat. Viererschläge. Das Zimmer von Joachim, Hans-Jürgen, Alexa und mir ist grauenhaft trist eingerichtet, wie alle Räume. Die Tapete, die alten Kästen, die antiken Wandregale und der wenige Platz machen irgendwie depressiv. Und dies nach einer Nacht! Gut, dass es morgen wieder weitergeht! Die Armen Kinder! Beim Abendessen ist die Stimmung bei allen auf dem Tiefpunkt: Es hat nur ca. 20 Sitzplätze für rund 50 Personen und es gibt relativ wenig Vorspeise. Die Japaner (für einmal nicht die Deutschen) räumen das ganze Buffet leer, die nachfolgenden haben nichts mehr. Wutentbrannte Gesichter und böse Worte überall. Kommunikation und ein wenig Organisation hätten wiederum geholfen: Es gab nämlich später noch reichlich zu Essen, aber niemand wusste davon...
Montag, 02.06.03 - 45. Etappe nach Zduny
Der Verkehr ist heute wieder grauenhaft! Ich habe wirklich langsam genug von der Strasse und leider auch vom ganzen Lauf! Aber die paar Tage müssen wir halt noch durchhalten. Es weht ein relativ starker Gegenwind und ist daher nicht mehr so warm. Ich laufe mein Tempo noch sturer als gestern und es stört mich deshalb auch nicht weiter, dass Karl heute vorausrennt. Solange er mir nicht jeden Tag gut 2 Stunden abnimmt... Jeder darf mal seine Beine strecken, das ist legal. Nach 8 Stunden schlage ich im Ziel auf... Wir schlafen heute wieder in einem Internat, diesmal mit sehr schönen Zimmern. Alles super!
Dienstag, 03.06.03 - 46. Etappe nach Warszawa
Heute dürfen wir alle nicht vor 16.00 Uhr in Warschau ankommen?! Es ist ein Taxistreik angesagt und wir werden heute wieder einmal mit dem Auto etwas "betrügen"... Die 1. (langsamere Gruppe) startet wie gewohnt um 6.00 Uhr, wir schnelleren aber erst um 9.00 Uhr. Alexa und ich schlafen ordentlich aus und um Neun geht es dann in die Hitze raus. Unser Zimmerkollege und Freund Joachim schleicht sich in der Früh sehr rücksichtsvoll aus dem Zimmer. Danke Joachim! Die Etappe wird von 90 auf 80 Kilometer gekürzt, wir dürfen angeblich nicht in die Stadt reinrennen. Wer hat eigentlich bei den Behörden gefragt und wieso??? In Amerika gibt es einige für Fussgänger verbotene Passagen. Aber wer nicht fragt, bekommt auch kein NEIN als Antwort?! Genug gemotzt... Der Verkehr ist auch heute wieder schrecklich. Schlimmer geht es fast nicht mehr! Ein paar Läufer laufen tatsächlich auf der rechten Seite?! Ich glaube, ich sehe schlecht?! Auch links ist es schon megagefährlich, nur da kann man wenigsten noch von der Fahrbahn springen! Ob wohl Brigitta und Aldo einen Sonnenstich haben? Kurz vor 16.30 Uhr bin ich im Ziel vor einem Supermarkt. Alexa macht mir die grösste Freude, die man mir im Ziel machen kann: Sie hat mir endlich mal 2 Bigmacs von McDonald's beschaffen können. Bisher habe ich es leider nie zu einem Burger gebracht. Nie war ein Fastfood-Restaurant in unserer Nähe. Fastfood ist übrigens durchaus läufergerechte Nahrung, auch wenn dies andere Klugschwätzer anders sehen. Bei einem solchen Ultra ist dies eine perfekte Zwischenverpflegung! Um 17.30 Uhr fährt der Shuttle uns in die Stadt in die Unterkunft. Wieder einmal ist unsere Strecke von Lisabon nach Moskau um gut 10 Kilometer unterbrochen. Morgen kommen zu den 10 Kilometer noch ein paar hinzu. Ich war heute wie alle natürlich auch froh, dass die Strecke kürzer war. Aber es nervt trotzdem! Dies hätte es bei RunXUSA auch nicht gegeben. Da war der Start immer bei der Ziellinie vom Vortag. Hier ist dies kaum einmal der Fall. Wir starten jeweils irgendwo, wo es halt gerade so passt...
Die Nacht ist nicht so das wahre: Es ist brütend heiss im ganzen Gebäude. Aldo ist wieder einmal lautstark am Telefonieren und dies mitten in der Nacht. Andere sind noch am diskutieren... Ich schlafe nur sehr wenig.
Mittwoch, 04.06.03 - 47. Etappe nach Siedlce
Heute ist bei allen bereits um 4.00 Uhr Tagwacht. Wir starten alle gemeinsam um 6.00, eine halbe Stunde zuvor geht unser Bus. Fahrt durch das Stadtzentrum von Warschau. Man hätte hier problemlos laufen können: Breite Gehsteige, lange gerade Strassen... Die ersten Kilometer haben wir eine Polizeieskorte. Wieso weiss ich nicht, ist aber trotzdem ganz nett. Danach donnert der Verkehr an uns vorbei wie immer. Am Mittag nimmt der Verkehr tatsächlich ein wenig ab, ist auch Zeit!!!
Die Gegend auf dieser Seite von Warschau wird immer ländlicher. Überall Bauernbetriebe. Die Leute sind am Bestellen der Felder oder heuen. Pferde sind hier noch normale "Zugfahrzeuge". Ich sehe zum 1. Mal in meinem Leben Heuwender, die von einem Pferd gezogen werden! Hier ist wirklich noch Handarbeit gefragt. Die Felder werden vor allem von Hand bearbeitet.
Kurz vor dem Ziel bekomme ich von einer Minute auf die andere starken Durchfall und mir ist etwas übel. Den ganzen Tag über ging es mir super, dann plötzlich ist alles anders. Ich habe statt Iso an einer Verpflegungsstation ziemlich viel Wasser getrunken und in meine Flasche abgefüllt. Mein Iso war gerade nicht verfügbar. Am Abend erzählt mir Joachim von ähnlichen Problemen und dass er einen Japaner gesehen hat, der an einem Verpflegungsstand von den blauen Kanister Wasser in die Pet-Flaschen abgefüllt hat?! In den blauen Kanister ist Leitungswasser. Wir haben es in Portugal, Spanien und Deutschland tatsächlich als Trinkwasser benutzt, aber hier in Polen?! Joachim und ich stellen die Einkäufermannschaft Else und Martin Bayer zur Rede. Sie sollten es ja am besten wissen. Else gibt mir eine unglaubliche Antwort: "Ja, das Wasser kann man hier doch trinken...". Ich raste fast aus wegen dieser bescheuerten Antwort! Viele haben sich beim Arzt gegen Typhus impfen lassen und jeder warnt uns vor dem Verzerr von Salat. Am Salat hat es vielleicht ein paar Tropfen Wasser, hier füllt man uns mit schlechtem Wasser ab!!! Martin zuckt mit den Schultern, ihm ist es offensichtlich egal?! Wir bestehen darauf, dass sich sofort etwas ändert und dass wir zumindest wissen, was wir trinken. Es kann nicht sein, dass man uns vorsätzlich täuscht und Leitungswasser heimlich in leere Pet-Flaschen abfüllt! Else und Martin schieben das ganze schlussendlich auf die Japaner an den Verpflegungsstationen, die ja eh nichts verstehen. Hauptsache sie trifft keine Schuld???! Sie wollen aber für Besserung sorgen. Wir werden sehen!!! Martin gibt uns noch den Tipp, nur geschlossene Flaschen zu benutzen. Werde ich ab jetzt eh tun. Nur jeder eine Flasche? Und was macht der 7. bei 6 Flaschen im Getränkedepot??? Wir hätten übrigens wirklich genügend Geld für den Wasserkauf zur Verfügung. Das Budget ist nach den Insiderinfos, die ich habe, noch überhaupt nicht ausgeschöpft. Und Wasser ist hier sehr billig!!! Aber offensichtlich spielen die Bayers lieber mit der Gesundheit der Läufer, unserer Gesundheit, und sparen da und dort ein paar Zlotys?! Worauf sie wohl sparen? Auf nächste Weihnachten???
Donnerstag, 05.06.03 - 48. Etappe nach Zalesie
Ich trinke heute fast ausschliesslich Iso und es geht mir gut! Es wird immer heisser. Die Sonne knallt richtig auf die Strasse und auf unseren Pelz. Der Verkehr ist aber sichtlich weniger geworden und das laufen macht sogar zeitweise wieder ein wenig Spass. Wir laufen heute durch einen Nationalpark, in dem es tatsächlich Elche geben soll. Ich sehe leider keinen, noch keinen. Immer mehr Wälder unterwegs. Und vor allem viel weniger Ortschaften. An der letzten (unbemannten) Verpflegungsstation muss ich Wasser tanken. Alexa kann mir hier kein Iso hinterlegen. Ich prüfe die Flasche auf geschlossen und nehme mir dann mit einem unguten Gefühl daraus. Gut dass ich bei den ersten Läufern bin, da gibt es noch eine geschlossene Flasche... Nach 8 Stunden sind wir in einem kleinen Nest angekommen, unserem heutigen Etappenziel. Diese kleine Ortschaft hat eine 1A-Turnhalle (mit Schule), frisch gebaut und super schön! Die Duschen sind dementsprechend. Leider ist es auch in dieser Halle wieder brütend heiss, die Sonne scheint durch die zahlreichen Fenster rein. Im Ziel müssen bzw. dürfen alle Läufer und Helfer einer grossen Horde Schüler Autogramme geben. Sie sind alle sehr freundlich und dankbar, sodass es für uns ein dürfen ist.
Freitag, 06.06.03 - 49. Etappe nach Kobryn (Belarus)
Den heutigen Tag verbringen wir am Zoll, zumindest grösstenteils. Wir sollten eigentlich 78 Kilometer rennen... Start ist ausnahmsweise um 6.00 und 6.30 Uhr. Nach 21 Kilometer erreiche ich den Grenzposten so um 8.30 Uhr. Zeitnahme. Kurz danach krachen mehrere Gewitter los. Es giesst in Strömen. Kaum jemand hat allerdings eine Jacke dabei. Es ist ja seit Tagen sonniges Wetter. Wir finden aber Unterstand. Um 9.00 Uhr sind die langsameren Läufer auch da und es geht mit den Formalitäten los. Alexa füllt für alle Läufer den Einreisefragebogen aus und macht die Pässe klar. Visum haben wir ja alle. Fast 3 Stunden schikanieren die Grenzbeamten unsere Betreuer nach allen Regeln der Bürokratie. Wir Läufer sitzen rum und dösen vor uns hin. Glücklicherweise haben einzelne Betreuer private Verpflegung dabei, die sie jetzt verteilen. Es wird kühl mit der Zeit und wir leihen uns Pullis zum überziehen aus. Kurz vor 12.00 Uhr haben wir alle unsere Pässe zurück und es kann losgehen. Wir watscheln mit dem Pass in der Hand zum Schlagbaum, der sich dann für uns elektrisch (!!!) öffnet! Das Rennen wird neu gestartet. Nur jetzt gilt Weissrussische Zeit, d.h. es ist schon eine Stunde später, also bereits 13.00 Uhr! Unmittelbar nach dem Neustart geht es über eine Brücke und eine Kuppe. Ich laufe mit Robert voraus. Hinter der Kuppe erkennen wir etwa 3 Kamerateams und auf der anderen Seite eine grosse Menschenmasse. Die warten doch nicht etwa auf uns? Als wir näher kommen spielt eine Musik. Die Leute sind beleidigt, als wir weiterlaufen wollen. Wir müssen anhalten. Wieder alle Läufer vereint "geniessen" wir den nächsten Stopp. Blasmusik, Trachtengruppe, Kuchen, Presse. Superman(n)fred Leismann, unsere Nummer eins (???!), gibt wieder sein übliches weltmännisches Interview. Wir anderen Läufer müssen gezwungenermassen wieder einmal zuhören und bekommen einen dicken Hals... Etliche Minuten später, etwa um 13.15 Uhr, hält uns dann nichts mehr und wir ziehen weiter. Die Uhr läuft ja längst wieder und es sind ja noch 57 Kilometer (78 - 21 km). Ein Tag mit Hindernissen... Spiessrutenlauf... Unsere Betreuer in den Autos sind übrigens immer noch beim Zoll. Sie werden weiter schikaniert und müssen für dies und das bezahlen. Sie kommen erst nach zähen Verhandlungen los und können uns die ersten 1 ½ Stunden nicht verpflegen und auch den Weg nicht markieren. Gut war ich einmal bei den Pfadfindern... Kurz vor 18.00 Uhr bin ich bereits im Ziel. Es waren also doch weniger Kilometer. Wie auch immer: keiner weiss wie viel, keiner ist informiert. Also wie immer... Andere sind bis spät in die Nacht unterwegs. Die sanitären Einrichtungen, vor allem die Toiletten, sind sehenswert. Ein absoluter Horror! Wir essen in einem exklusiven, sehr guten Restaurant. Danach geht es in den Schlafsack. Ein Tag zum vergessen...
Samstag, 07.06.03 - 50. Etappe nach Ivacevicy
Ruhiger Tag heute, ohne Hindernisse für die Läufer. Es geht immer geradeaus mit wenig Verkehr auf der Strasse. Es wird auch heute wieder ziemlich warm, durstiges Wetter. Unterwegs eine witzige Begegnung der speziellen Art: Ein Pferdefuhrwerk fährt auf dem Grasstreifen zwischen den getrennten Fahrbahnen. Der Bauer transportiert einen Karren voll Heu und sitzt mitten darin und raucht! Mutig! Nach knapp 88 Kilometer sollte eigentlich die Ortschaft Ivacevicy kommen. Sie tut es nicht! Weit und breit keine Ortschaft, nur Wald und Wiesen. Stattdessen steht der Bus von Sebastian am Strassenrand. Hier ist die Etappe zu ende. Unser Streckenplaner Manfred Leismann (wieder einmal) hat sich um ganze 12 Kilometer verrechnet und 12 Kilometer mehr, das wären dann 100, kann man den langsameren Läufern wirklich nicht zumuten. Zumal es ja niemand weiss. Wir werden per Auto in den Ort gefahren. Die Streckenplanung beim TER war wirklich immer ausgezeichnet exakt!
Sonntag, 08.06.03 - 51. Etappe nach Baranavicy
Start von unserer Unterkunft aus, es fehlen also einmal mehr rund 12 Kilometer auf unserem Weg nach Moskau... Es geht den ganzen Tag auf der Schnellstrasse geradeaus, nichts besonders. Robert fühlt sich sehr schlecht. Am Morgen noch grosse Sprüche, aber dann wird er langsamer. Er hat schon seit etwa 2 Tagen Probleme mit seinem Magen, heute wird es schlimm. Ich lasse es wie immer rollen, überstürze also nichts und bin froh, dass es heute eigentlich bloss 72 Kilometer wären. Wären... Unterwegs treibt ein Bauer seine Kuhherde über die Schnellstrasse. Nicht schlecht, hier wird mit Tempi von über 140 km/h gefahren... Heute ist wieder ein Stadtbummel durch unseren Zielort angesagt bzw. natürlich nicht angesagt (der kluge Leser ahnt es ja bereits...). Unverhofft, niemand weiss es. Wie immer halt. Danke übrigens! Nach etwa 78 Kilometer ist es vollbracht. Robert verliert heute auf mich sehr viel Zeit, es sind total gut 2 h 50'. Er hat starke Magenprobleme. Er hat aber immer noch einen Vorsprung von ca. 1 h 20'. Ich werde mich morgen wie gewohnt auf mein Wohfühlungstempo konzentrieren und keine Stricke (bzw. Sehnen) zerreissen. Kurz nach meiner Ankunft kommt Joachim ins Ziel. Er war spät gestartet, lief dann sehr stark und überraschte Sebastian, unseren Zeitnehmer im Ziel. Er fragt Joachim: "Bist Du jetzt gerade ins Ziel gelaufen oder hast Du aufgegeben (aus dem Auto gestiegen)". Joachim und ich lachen uns den Bauch voll. Er ist einfach nur gut gelaufen! Auch das gibt's hier beim TER!
Montag, 09.06.03 - 52. Etappe nach Stoubcy
Es geht weiter auf unserer "Autobahn". Die Strecke wird aber recht hügelig. Die Sonne brennt. Wenn der Wind einmal für einen Moment ausbleibt, wird es richtig heiss auf der Piste! Karl stürmt heute wieder einmal voraus und gewinnt mit etwa 10 Minuten Vorsprung auf mich. Robert verliert 1 h 20' auf mich. Ich übernehme die Gesamtführung mit einem sagenhaften Vorsprung von einer Minute... Ansonsten nichts spezielles. Wir schlafen in einem Motel. Leider hat es nur 15 Betten für 55 Leute... Die Duschen, warm und total 3 Stück, sind in einem himmeltraurigen Zustand. Zentimeterdicker Schimmel, stinkendbraunes Wasser, ekelhaft vergammelte Latrinen etc... Die Regierung von Belarus hat uns diese Zimmer gratis offeriert, es seien die besten weit und breit an dieser Strasse... Das Nachtessen muss Alexa wieder einmal in Gramm und Kilo bestellen. Das ist hier so üblich. Die Mengen werden von oben bewilligt und die wollen alles in Gramm und Kilogramm wissen... Soviel Kilo Salat und Pasta etc. geht ja noch. Aber wie viel Gramm Salz, Pfeffer, Öl kommt pro Person an den Salat? Die wollen das wirklich schriftlich wissen! Zudem bescheissen sie mit den Preisen, wo sie können...
Dienstag, 10.06.03 - 53. Etappe nach Minsk
Heute morgen bricht der Wassernotstand aus! Wir haben seit Tagen Probleme mit dem Wasser. Es gibt bloss noch gesalzenes Wasser mit Sprudel. Dieses ist aber fast nicht trinkbar und das Salz uns Läufern natürlich nicht zuträglich. Heute morgen wird beim Frühstück heftig darüber gesprochen und gestritten. Die letzten Flaschen werden verteilt. Zornige Gesichter überall. In Minsk wird das Einkaufen hoffentlich wieder einfacher...
Die Etappe ist langweilig wie immer. Am Morgen stürmt Robert in einem irrwitzigen Tempo davon, um dann nach wenigen Minuten massiv langsamer zu werden?! Ich weiss nicht, was er damit zeigen will... Die 20 Kilometer vor Minsk müssen wir noch auf einem Sandstreifen laufen. 10 Kilometer vor dem geplanten Ziel erfahre ich, dass der Tag nur noch 3 Kilometer lang ist (70 statt 77 km). Wir beenden den Tag am Stadteingang von Minsk und fahren mit dem Wagen zu unserer Judohalle. Minsk erscheint mir aus dem Auto raus trostlos und öde. Überall "sozialistische", graue Wohnkontainer (schreckliche Hochhäuser). Das Zentrum soll aber ganz schön sein. Bessere sanitäre Einrichtungen in unserer Unterkunft übrigens. Sogar eine warme Dusche erwartet uns! Robert verliert heute 55 Minuten auf mich.
Mittwoch, 11.06.03 - 54. Etappe nach Barysau
Schlimme Nacht wieder einmal. Ich muss brechen und habe stark Durchfall. Mehrere Läufer haben dieses Problem. Später wird sich herausstellen, dass es sich um einen sehr aggressiven Virus handelt, den wir mit Antibiotikum behandeln müssen. Ziemlich alle Betreuer und Läufer werden ihn bekommen... Ich laufe ein paar Kilometer und muss dann auf marschieren umstellen. Im Minimaltempo von 6 km/h kämpfe ich mich den ganzen Tag Kilometer um Kilometer vor bis zum Ziel. Für die 70 Kilometer brauche ich schlussendlich 10 h 31'. Schlimmer geht es nicht mehr! Ich bin total ausgelaugt, absolut keine Kraft mehr im Körper. Laufen ist nicht drin, mein Kreislauf ist kurz vor dem Zusammenbruch. Schwindel, leichte Sehstörungen, Probleme mit dem Gehör...
Nette Unterstützung von der Polizei kommt noch hinzu: Die Polizei begleitet bzw. verfolgt uns ja schon seit Anbeginn hier in Weissrussland. Sie wollen uns angeblich schützen?! Am Morgen eskortieren sie uns aus der Stadt heraus, unterwegs lauern sie uns jeweils auf... Als absolutes Schlusslicht heute bin ich also am marschieren. Immer wieder drängen mich die Polizisten zum rennen, brüllen mich aus ihrem Wagen auf Russisch an und machen entsprechende Gesten. Ich gebe ihnen immer wieder Handzeichen, sie sollen verschwinden, aber sie lassen nicht locker. Immer wieder äffen sie mich nach, ich laufe so langsam und soll doch endlich vorwärts machen! Sie wollen offensichtlich in den Feierabend. Ich auch, aber ich kann wirklich nicht schneller! Später eine neue Technik: Sie fahren hinter mir ran und brüllen mich mit ihrem Megaphon aus dem Auto auf Russisch an?! Dann der Höhepunkt. 20 Kilometer vor dem Ziel stehen zwei Polizisten, einer stoppt mich indem er mich am Arm hält und versucht mich in den Wagen zu zerren. Nur mit Mühe gelingt es mir, mich zu befreien und weiterzumarschieren. "Only 2 Kilometers" wollen sie mich nach vorne fahren. ICH DARF NICHT FAHREN, sonst bin ich aus dem Rennen! Die Idioten verstehen nicht! Immer wieder wollen sie mich mitnehmen und brüllen mich aus dem Wagen an. "Lauf endlich", heisst es wohl aus dem Russischen übersetzt. Nötigung nenne ich dies! Ich habe schon genug mit mir selbst zu tun, dann noch diese Erniedrigung und diese dauernde Belästigung! Am Abend berichte ich der Organisation, die angeblich mit den Behörden spricht. Ob dies etwas bringt? Wir sind doch der Polizei total ausgeliefert!
Donnerstag, 12.06.03 - 55. Etappe nach Bobr
Noch mehr Läufer und Betreuer haben den Virus. Bald alle... Mir geht es viel besser, aber lange noch nicht gut. Heute sind es nur 45 Kilometer, ein Erholungstag also! Die ersten 30 kann ich mit Hans-Jürgen, Janne und Luc in einem Schnitt von ca. 10 km/h laufen, danach plagen mich Magenkrämpfe. Mit Gehpausen schaffe ich die Distanz dann aber doch in knapp 5 Stunden und bin glücklich im Ziel. Das Medikament, fast alle nehmen das gleiche Antibiotikum, schlägt gut an, aber es braucht eben noch Zeit. Ich kann am Nachmittag wieder etwas Essen und hoffe auf bessere Zeiten. Morgen sind es nämlich 93 Kilometer! Nicht schlecht! Die eiskalte Dusche stört kaum noch jemand, aber die Toiletten?! Wieder ein absoluter Horror heute!!! Ein Schweinestall wäre Luxus dagegen!!!
Polen/Weissrussland: Die meisten Leute hier beim TER sind der gleichen oder zumindest ähnlicher Meinung. Der Organisator, Ingo Schulze, vermutlich eh: Wir hätten nie in den Osten gehen sollen!!! Das war ein grosser Fehler, den Lauf hierher zu legen! Und es war ein Fehler, sich für einen solchen Lauf ohne vorgängige Abklärung anzumelden. Der Osten bringt leider wirklich nur Probleme. Das einzig positive daran ist: Man kann später sagen, der Lauf ging von Lisabon nach Moskau. Vielleicht sagt dann jemand "Aah, Moskau?! Schön!". Die Probleme hier sind vielfältig:
Fast jeder versucht uns zu betrügen und uns abzuzocken: Vor allem der Einkauf und das Bestellen des Abendessens ist umständlich und ein wahres Abenteuer. Ständig müssen unsere Betreuer kämpfen!
Wir können uns sprachlich nur sehr umständlich mit Dolmetschern verständigen. Ansonsten haben wir keine Chance. Fast niemand spricht eine Fremdsprache, die wir verstehen.
Die hygienischen Bedingungen sind meist katastrophal schlecht, ein erhebliches Gesundheitsrisiko für alle.
Landschaftlich wie auch von den Menschen her ist der Osten leider nicht sehr reizvoll. In Polen waren die Leute sehr herzlich und vor allem gastfreundlich. Hier interessiert sich keiner für uns. Die Strassen, auf denen wir laufen, sind Autobahnen. Man könnte genauso gut auf dem Laufband zuhause laufen. Die Länder haben sicher ihren Reiz, aber den bekommen wir leider auf unserer Autobahn nicht mit.
Von den Schikanen am Zoll habe ich schon berichtet. Auch dort wiederum abzocken und schikanieren...
Wir sind der Polizei vollkommen ausgeliefert. Sie können mit uns machen, was sie wollen. Was wäre, wenn sie nicht bei uns wären? Wäre es dann besser oder würde man uns überfallen?
Freitag, 13.06.03 - 56. Etappe nach Jurcava
Meine Magenprobleme werden leider wieder schlimmer. Weiterhin sehr starker Durchfall und Appetitlosigkeit. So etwas habe ich noch nie erlebt und möchte es auch nie mehr erleben! Die letzte Kraft ist aus den Beinen. Marschieren statt laufen! Aber es ist ja eine sehr kurze Etappe heute, lockere 93 Kilometer. Mein Kreislauf ist auch ziemlich am Anschlag. Schwindelgefühl und Probleme mit dem Gehör... Wolfgang Schwerk hat es unter anderem auch erwischt. Wir laufen gegen Ende zusammen. Wir geraten noch in einen heftigen Gewittersturm und haben sehr kalten Wind von der Seite. Ein Baum weht es direkt über die einen beiden Spuren der Autobahn. Nach knapp 13 Stunden und einem nimmer enden wollenden Stadtbummel bin ich endlich im Ziel. D.h. ich torkle ins Ziel... Total erschöpft und ausgezerrt. So lange hatte ich noch nie für irgendeine Etappe an irgendeinem Lauf. Morgen muss es einfach besser gehen! Mehr möchte ich über den heutigen Tag nicht schreiben...
Samstag, 14.06.03 - 57. Etappe nach Katyn (Russland)
Am Morgen grosses Hallo in der Halle: Unsere Einkäufer Else und Martin Bayer drohen beleidigt mit der Abreise, falls sich niemand bei ihnen für die Kritik entschuldigt. Läufer haben sich offensichtlich beschwert. Vermutlich zurecht. Wir müssen je länger desto mehr um jede Wasserflasche, jeden Liter Cola betteln. Von Else erhält man dann u.a. folgende Antworten: entweder "NEIN!" oder "nicht zum Füsse waschen" oder sonst irgend ein Stuss. Und dies bei Vollpension und vollkommen untrinkbarem Leitungswasser! Else und Martin sparen wo es geht. Wofür sie das Geld schlussendlich brauchen, wäre nur spekuliert. Ich weiss es nicht. Jedenfalls nicht für Getränke und für das lausige Frühstück! Bei einer Ultraveranstaltung sollte das Trinken für jedermann offen zugänglich sein und der Veranstalter sollte die Leute sogar noch zum häufigen Trinken motivieren. Nicht so wie hier, wo man darum betteln muss! Dies ist meine persönliche Meinung... Else und Martin lassen uns im Stich und fahren mit ihrem Camper wieder ins schöne Deutschland zurück. Das ganze natürlich ohne sich zu verabschieden. Wir waren ja nur gut 57 Tage auf engstem Raum zusammen. Nach mir die Sintflut und zum Teufel mit den Läufern! Sollen die doch sehen, wie sie nach Moskau kommen! Der Organisation fehlt nun u.a. ein Fahrzeug. Sie meistert aber diese Situation problemlos. Alle Helfer packen an und tun es gerne für uns! Danke Else und Martin!!! Der ganze Zirkus war übrigens mit Sicherheit geplant. Sie hatten offensichtlich keine Lust mehr auf einen weiteren Grenzübertritt, haben ihren Camper nochmals mit frischer Ware vollgeladen (mit unserem Geld übrigens...), Wäsche gewaschen und sich halt auf ihren Abgang vorbereitet. Dies ist leider eine eindeutige, wenn auch eine schwer verständliche, Tatsache... Vielleicht erfahren wir ja mehr nach dem Lauf?
Meine Magenprobleme sind heute nicht mehr so schlimm wie noch gestern. Ich kann fast alles laufen. Nicht schnell, aber ich laufe! Dabei trinke ich ausschliesslich Cola, des Zuckers wegen halt. Essen kann ich weiterhin nichts. Die Grenze zu Russland passieren wir absolut problemlos, "en passant" sozusagen. Gute Vorarbeit Leute!!! Am Zoll weiche ich auf der Strasse noch einer kleinen schwarzen Schlange mit feuerrotem Kopf aus. Wenn die nicht giftig war?! Dankbar um den relativ guten wenn auch nicht problemlosen Tag, laufe ich ins Ziel ein. 93 Kilometer wie gestern, aber heute 2 ½ Stunden schneller. Herr Leismann, unser Streckenerkundiger, hat sich offensichtlich wieder einmal um rund 10 Kilometer geirrt. Es geht mit dem Bus in die Ortschaft. Denn 93 + 10 wären 103 Kilometer...
Sonntag, 15.06.03 - 58. Etappe nach Jarcevo
Meine Magenprobleme sind wieder so schlimm, wie es nur geht. Unzählige Male verschlägt es mich in die Büsche. Ich habe einfach keine Kraft mehr. Energie verlässt meinen Körper ständig aber wird kaum zugefügt. Ich marschiere fast den ganzen Tag über. Mein Kreislauf macht mir auch wieder zu schaffen. Am Abend fühle ich mich plötzlich ein wenig besser und kann etwas laufen. Sogar ein wenig Appetit kommt zurück. Im Ziel esse ich das erste Mal seit 5 Tagen wieder etwas richtiges. Wir kochen Spaghetti. Hoffnung keimt auf! Schauen wir mal morgen! 5 Tage schwerer Durchfall reicht doch, oder? Die Latrinen sind heute so ziemlich das schlechteste, was wir je hatten. Alexa und ich suchen uns für die Abendtoilette einen netten Busch im angrenzenden Park. Andere tun es genauso.
Montag, 16.06.03 - 59. Etappe nach Safonovo
Meine Hoffnung wird leider schnell zerschlagen. Die Probleme sind zurück. Die ersten Kilometer kann ich normal laufen. Dann wird mir zuerst übel, es folgen Magenkrämpfe und dann noch der Rest. Marschieren! Langsam aber sicher habe ich die Schnauze voll! Das ist der 6. Tag mit Durchfall. Und dann diese totale Kraftlosigkeit. Aber es sind heute nur 45 Kilometer. Gott sei dank!!! Die letzten 15 Kilometer kann ich wieder laufen. Langsam zwar, aber eben laufen! Von wo die Kraft kommt, ist mir schleierhaft. Früh im Ziel versuche ich mich so gut als möglich zu erholen...
Dienstag, 17.06.03 - 60. Etappe nach Vjajsma
Nach Tag 6 folgt Tag 7... Aber es geht heute wieder einmal besser. Immer ein Tag besser, ein Tag schlechter offensichtlich. Ich kann tatsächlich die ganze Strecke laufen. Langsam aber sicher erreiche ich das Ziel und bin dankbar über den einigermassen stressfreien Tag. Unglaublich! Alexa hat recht: Ich sehe aus wie jemand aus einem Hungergebiet. Total abgemagert und ausgezerrt. Meine Beinmuskeln sind sichtlich geschrumpft und dies nicht zu knapp. Auch am Oberkörper stehen überall Knochen raus. Es ist Zeit, dass sich etwas ändert! Ein gutes Zeichen heute: ich habe Appetit. Nur bleibt das gegessene nicht für immer. Die heutige Halle ist schmutzig und im ganzen Haus hat es eine (ebenfalls schmutzige) Toilette. Zum Duschen fahren wir mit dem Bus. Sie ist warm!!!
Mittwoch, 18.06.03 - 61. Etappe nach Gagarin
Tag 8 ist wieder einer der schlimmen. Auf den ersten 20 Kilometer ist an laufen nicht zu denken. Ich schleiche dahin, bin total demotiviert und resigniere innerlich. Schlusslicht zu sein ist nicht so schön. Am Posten bei Km 20 schlage ich mir den Bauch mit allem voll, was mir schmeckt. Das sind Schokolade und trockene, gezuckerte Cornflakes. Ingrid und Peter beraten mich und helfen mir auch heute, wo sie nur können. Sie kommen auf die super Idee, die Cornflakes an die nächsten Posten weiterzureichen. Klasse und vielen herzlichen Dank Euch beiden! Man muss schliesslich essen, was geht. Bei etwa Km 25 kann ich wieder zu laufen beginnen. Immer wieder Boxenstopps, aber es geht sehr langsam aber sicher voran. 68 Kilometer, ein lockerer Jogg oder ein mühsames riesiges Stück Arbeit! Anderen geht es besser, wiederum anderen schlechter. Nur den traurigen 8-Tage-Rekord bricht so schnell niemand! Hoffentlich auch nicht! Die wirklich eiskalte Dusche im Ziel hilft mir dann wieder auf die Beine, bzw. in den warmen Schlafsack. Nach einem guten und reichlichen Mahl geht es in die Heia. Zum Essen gab es heute übrigens nicht einmal etwas zu trinken. Bzw. genauer gesagt 5 Liter Wasser für 55 Leute... Also in die Heia! Hoffen auf den Tag X, an dem der Magen hält! Vielleicht kommt er ja doch noch VOR unserer Rückreise?! Erneuter Medikamentenwechsel, neuer Versuch, neues Glück...
Donnerstag, 19.06.03 - 62. Etappe nach Mozajsk
Der Medikamentenwechsel ist ein voller Erfolg! Ich habe noch Probleme aber sie sind wesentlich kleiner! Und dies bei den angekündigten 87 Kilometer. Ich bin überglücklich, dass ich die ganze Etappe durchrennen kann. Ein wahrer Segen!!! Hoffentlich geht es weiter aufwärts! Das Medikament ist übrigens aus Finnland. Janne hat es mir empfohlen. Herzlichen Dank, Janne!
Eine Überraschung nach 47 Kilometer. Es geht plötzlich von unserer Autobahn runter, nach links in die Pampa rein. Und dies nach Hunderten von Kilometern auf dieser Strasse. Die Abzweigung ist markiert, aber ob dies auch wirklich alle sehen? Später stellt sich raus, dass sich ausgerechnet Mariko, eine der hintersten Läuferinnen, verläuft. 7 Kilometer um sonst. Das ist bei ihr mehr als eine Stunde Fussmarsch. Ein Wort beim Verpflegungsposten zuvor hätte genügt, um dies zu verhindern. Zuerst müsste man natürlich dem Verpflegungsposten ein Telefon geben. Ein Telefon, nur ein Telefon würde reichen!!! Aber offensichtlich ist dies der Organisation alles egal. Zum Teufel mit den Läufern! Sollen die doch ein wenig rumirren!!!
Der Umweg stellt sich als sehr schöne Strecke raus. Vorbei an vielen wunderschönen orthodoxen Kirchen, weite offene Feldlandschaften und vor allem fast kein Verkehr. Bei Kilometer 68 die nächste Überraschung. Ingo und Alexa teilen mir mit, dass die Strecke nur noch 78 statt 87 Kilometer lang ist. Danke für die Information! Die restlichen 10 Kilometer fallen leicht. Im Ziel keimt wieder Hoffnung auf, dass es morgen immer noch gut geht. Ich sollte schleunigst ein paar Kilos zulegen. Es ist Zeit! Sehr gutes Nachtessen. Es wird vor draussen frisch zubereitet, zum zuschauen. Reispfanne! Es wird trotzdem von allen Seiten fleissig gemotzt. Dies und das war nicht gut, Essen zu spät (da frisch zubereitet), zu umständlicher Fussmarsch (500 m)... Es gibt viele Leute, die immer etwas zu reklamieren haben.
Freitag, 20.06.03 - 63. Etappe nach Odinschovo
Heute werden wir nochmals so richtig nach Strich und Faden verarscht und zur Schnecke gemacht! Es sind für den letzten Tag sage und schreibe 91 Kilometer angesagt. Eine absolute Hammeretappe. Und dies so kurz vor dem Ziel?! Wieso das eigentlich? Es geht den ganzen Tag rauf und runter. Nicht genug: wir nähern uns ja Moskau und der Verkehr wird dementsprechend immer schlimmer. Zwischendurch ist es durchaus mal ruhig, aber dann donnern wieder pausenlos LKWs und PKWs an uns vorbei. Die LKWs fahren meist auf dem Pannenstreifen, wo wir ja laufen, und machen oft erst im allerletzten Moment etwas Platz für uns, wenn überhaupt. Haarsträubend aber wahr: es laufen immer noch viele Läufer auf der rechten Strassenseite. Unser Weg war bisher auch immer rechts mit Pfeilen markiert. Wieso weiss keiner?! In Belarus wollte dies die Polizei so, aber hier gibt es seit ein paar Tagen keine Polizeieskorte mehr. Na ja, heute ist links markiert. Nur sind die Verpflegungsstellen alle rechts, d.h. ich (und die anderen Linksläufer) muss mich alle 10 Kilometer zwei Mal über die Strasse kämpfen?! Die letzten 20 Kilometer muss man rechts laufen, da so markiert. Anders sieht man eine mögliche Abzweigung ja nicht... Es ist absolut haarsträubend und unverantwortbar, aber die liebe Organisation will es ja so. Bzw. die Organisation denkt gar nicht soweit, falls sie überhaupt den ganzen Tag etwas denkt?! Was hätten wir eigentlich gemacht, wenn wirklich mal jemand zu Tode gekommen wäre? Etwa Augen und Ohren zu und weiter?! Vermutlich hätten wir den Vorfall einfach todgeschwiegen, wie all unsere anderen Probleme auch! Einen angefahrenen Läufer hatten wir ja schon... Gegen Ende merke ich dann, dass irgendetwas mit den Kilometern nicht stimmt. Ich laufe doch nicht plötzlich so viel langsamer, oder?! Nein, im Ziel erfahre ich über Umwege (natürlich nicht offiziell), dass die Strecke einiges länger war. Statt 91 ca. 97 Kilometer, vielleicht auch etwas mehr! Vielen Dank den Streckenplanern für diesen schönen Tag! Diesen unvergesslichen Tag! Wir schlafen heute in einem ausgezeichneten (nach russischen Standard gemessen) Hotel. Das ist der positive Punkt für heute! Man muss nur suchen...
Samstag, 21.06.03 - 64. Etappe nach Moskau
Der allerletzte Tag, im doppelten Sinn. Das Rennen endet so, wie der Lauf die meiste Zeit über war: chaotisch und unwürdig. Ein absolutes Trauerspiel heute! Dazu gleich mehr...
Geplant war folgendes: Wir laufen zuerst 15 Kilometer mit Zeitmessung bis zur Stadtgrenze Moskaus. Danach noch 9 Kilometer alle zusammen bis zu einem schönen Park in der Innenstadt, dem sogenannten Verneigungshügel. Dort ist das definitive Ziel. Mit dem Car dann zum Roten Platz, wo es für die Presse eine provisorische Rangverkündigung gibt. Provisorische Medaillen, Interviews (laut Info von Manfred Born). Anschliessend Stadtbummel und danach Fahrt zur Bayer-Zentrale, Essen, Feier und Fahrt in die Unterkunft. So der geplante Ablauf.
Beim Frühstück erzählt uns Ingo das Märchen vom Bösen Wolf: Ein Tanklastzug sei umgestürzt, Stau und Chaos auf unserer Strasse, wir können die 15 Kilometer leider nicht laufen. Dies weiss Ingo schon beim Frühstück?! Erstaunlich! Wir fahren also die Strecke. Ingo gibt uns noch die Abfahrtszeit für den Car durch. Diese ist natürlich falsch und wird, nachdem schon viele vom Frühstück wieder auf ihren Zimmern sind, um eine Stunde vorverschoben! Normaler Wahnsinn halt... Die Fahrt: Es herrscht wenig Verkehr und so viele Tanklastzüge liegen eigentlich auch nicht rum. Nicht mehr als in der Innenstadt von Heidelberg an einem sonnigen Samstag. Vermutlich gab es irgend ein Problem und Ingo und seine Helfer wollten uns halt lieber verarschen als uns die Wahrheit sagen. OK... Foto bei der Stadtgrenze und Start zu den 9 letzten Kilometer. Wir rennen alle gemeinsam und haben viel Spass. Von den angekündigten Hunderten von russischen Mitläufern habe ich allerdings nichts mitbekommen. Und dann folgt der vorläufige Gipfel der Frechheit, eine Ohrfeige für jeden Läufer: Der Zieleinlauf, bzw. das Rennen endet im Wald. Es hiess, das Ziel sei an der grossen Siegessäule. Wir irren also zu der Säule, verlaufen uns zweimal und stehen dann aber tatsächlich da. Aber hier ist kein Ziel. Kein Zielband, keine Zuschauer, kein Ingo, keine Ziellinie, nichts! Es geht aber nicht mehr weiter und wir gratulieren uns gegenseitig zur grossen Leistung. Alle sitzen bzw. stehen schon etwa 15 Minuten rum, bis uns gesagt wird, wir müssten noch weiter?! Das Ziel sei noch ca. 500 Meter entfernt?! Demotiviert latsche ich die paar Meter dahin. Andere bleiben zurück oder sind schon etwas Essen gegangen. An dem Ort 500 Meter weiter gibt es auch kein Ziel, aber da warten ein paar Journalisten. Eine Laufgruppe ist längst nicht mehr erkennbar. Der Lauf ist versandet, jeder macht was er will. Totale Konfusion. Irgendeinmal erlöst uns Petrus und schickt Platzregen. Wir steigen in den Car und fragen uns, ob es dies nun war. Es war es! Das war offensichtlich das Ziel des Trans Europa Laufes?! Habt ihr es gemerkt? Ich habe nichts gemerkt!
Fahrt zum Roten Platz. Dort zuerst einmal Stadtbummel, bis Ingo dann die Leute zusammentrommelt. Keiner weiss natürlich wann es wie weitergeht. Muss ich das hier noch speziell erwähnen? Zuvor schimpft er wieder einmal auf uns. Ich weiss nicht worum es geht, ich komme vom Stadtbummel und habe noch nichts gesagt oder gemacht! Ich nehme die bösen Worte entgegen und vergesse sie gleich wieder. Wie auch das Rennen dann in ein paar Tagen... Fototermin hinter dem Bayer-Werbeband. Sozusagen Finisher-Foto. Leider fehlen diverse Läufer, niemand wusste ja nicht von diesem Termin. Die Etappenläufer sowie die ausgeschiedenen Läufer stehen aber wie gewohnt zuvorderst und geniessen das Rampenlicht. Ich möchte hier die Namen unserer zwei ausgeschiedenen Damen nicht nennen, die jeweils zuvorderst vor der Linse standen. Dann provisorische Rangverkündigung. Alle Läufer, Etappenläufer und Betreuer werden namentlich aufgerufen, verdankt und erhalten eine Medaille. Einer der 300 Medaillen, die Ingo jeweils an die Bürgermeister, den Tanzgruppen etc. als Dankeschön abgegeben hat. Die teilweise zynischen Bemerkungen zu jedem Läufer/Betreuer runden den Anlass ab. Wie auch immer... Nach einem erneuten Stadtbummel geht es zur Bayer-Zentrale.
Die Fahrt zu Bayer war eigentlich als Stadtrundfahrt geplant. Nur diejenigen unter uns, die Moskau gut kennen und darüber etwas sagen könnten, haben offensichtlich keine Lust mehr. Bei Bayer folgt ein superklasse Abendessen! Bayer lässt sich wirklich nicht lumpen! Sie tischen uns ordentlich Leckereien auf und dies in reichlicher Menge! Dann folgt der absolute Gipfel der Frechheit und wieder eine Ohrfeige für jeden Läufer: die definitive Rangverkündigung. Eine derart traurige Vorstellung hätte ich nicht einmal von Ingo erwartet! Haben wir das wirklich verdient??? Ein Vertreter von Bayer ruft Robert zu sich, der den Lauf ja verdient gewonnen hat. Dies meine ich übrigens nicht etwa ironisch, sondern so, wie ich es schreibe... Er gratuliert ihm, nennt die Zeit und übergibt ihm einen riesengrossen Bayer-Pokal. Der Glaspokal wurde von Bayer kurzfristig gestiftet. Gute Idee, finde ich. Dann folgt Ingos Parts: Die anderen Läufer werden anschliessen von Ingo nur kurz genannt und das war es. Konkret: Meine Wenigkeit, ich bin immerhin zweiter, liest er kurz ab, nennt die totale Zeit und das war es. Ich muss sitzen bleiben und erhalte ausser einem netten Applaus rein gar nichts. Keine Medaille, keine Urkunde, kein T-Shirt, nicht einmal einen warmen Händedruck, gar nichts?! Ich gehöre wirklich nicht zu den Pokal- und Medaillien-Sammlern, aber bei einem Rennen über 64 Tag und 5000 Kilometern hätte ich schon irgend etwas erwartet! Vielleicht zumindest eine Gratulation vom Organisator?! So geht es weiter. Lieblos und absolut unprofessionell liest Ingo die Namen runter und macht nochmals seine lustigen Kommentare zu jedem. Beim 4. Läufer im Klassement fällt ihm dann ein, dass es doch vielleicht ganz nett wäre, wenn die Läufer kurz aufstehen könnten?! Auch Mariko, die erste Frau, erhält wie alle anderen rein gar nichts. Keine Erinnerung an den Lauf, nichts!!! Sie hat grosses geleistet und dafür wird sie kurz runtergelesen, that's it! Wenn Bayer nicht noch einen Pokal gestellt hätte, dann wäre auch der 1. leer ausgegangen. Ich bin wirklich entsetzt von dieser Vorstellung! Bei jedem Scheisslauf erhält man einen Preis, eine Erinnerung, irgend etwas. Hier haben wir nicht einmal ein brauchbares T-Shirt. Das offizielle Shirt zum Rennen, das in Lisabon verteilt wurde, haben die meisten Läufer gleich weggeworfen. Riesengrosse Werbung und ganz klein unser TER-Signet. Ein T-Shirt zu bedrucken, wäre übrigens keine Sache gewesen. Einer der Japaner hat dies in Amerika für uns gemacht. Er hätte dies sicher auch hier wieder für uns übernommen, wenn man ihn gefragt hätte, wenn... In Amerika haben wir übrigens alle eine wunderschöne Erinnerungs-Plakette erhalten. Messingtafel auf Holz mit der USA-Karte und der Strecke drauf. Dazu die persönliche Zeit und der Rang. Die ersten drei einen ebenfalls schönen Glaspokal, Geschenke und vor allem ein sehr schönes funktionelles T-Shirt. Aber Ingo hat ja etwas gegen Run Across America. Das hat er mir immer wieder gezeigt. Vielleicht war ihm dieser Lauf einfach zu perfekt organisiert. Seine Meinung dazu interessiert mich allerdings nicht...
Fahrt in die Unterkunft und wieder Probleme. Alle wollen ins Zimmer, es ist nach 23.00 Uhr und wir sind müde. Nichts ist organisiert. Herr Korovin, unserer Russischer Helfer hätte etwas organisieren sollen, aber die Leute im Studentenheim wissen nicht, dass wir kommen. Chaos, laute Wort, wie immer halt. Irgendeinmal haben alle einen Schlüssel aber noch kein Gepäck. Dies muss erst gebracht werden. Die Fahrer sind erst 45 Minuten vor unserer Abfahrt von Bayer los, zu unserer letzten Unterkunft den Gepäckwagen holen... Warten, warten, warten. Nach Mitternacht kommt dann mal das Gepäck und wir schliessen die Türe hinter uns zu. Alexa und ich sind alleine und auf niemanden hier mehr angewiesen. Auf die Anlässe von morgen Sonntag (Olympischer Empfang und Einlandung in der Deutschen Botschaft) verzichten wir, wie auch die meisten anderen Läufer. Wir haben die Schnauze voll von allem und wollen nur weg von allen hier! Weg vom Chaos, den pausenlosen Enttäuschungen und von den ewigen Demütigungen, einfach nur weg!!!
Abschliessende Bilanz:
Am Ende dieses Rennens möchte ich kurz Bilanz ziehen. Mit meiner persönlichen Leistung bin ich mehr als zufrieden. Mein grosses Ziel, die Ankunft in Moskau, habe ich klar und sicher erreicht. Der 2. Rang ist für mich sensationell! Angepeilt war ein Platz unter den ersten 10, mit Priorität natürlich auf Ankommen. Und nun dieses sehr gute Resultat! Nach dem 1. Platz in den USA nun ein 2. Platz, was will man da mehr?! Nur wer schon einen Transkontinental-Lauf gemacht hat, kann über Sieg und Nichtsieg bzw. Ankommen und Nichtankommen urteilen. Ich urteile wie gesagt sehr sehr positiv!
Ein paar positive aber leider auch die negativen Punkte möchte ich generell noch über das Rennen verlieren. Nicht als Abrechnung, aber der Vollständigkeit halber. Kritik konnte man während dem Rennen nicht anbringen, deshalb hier in schriftlicher Form.
positiv:
Wir sind in Moskau angekommen! 22 von 44 Läufer sind in Moskau angekommen. Ingo hat somit sein Hauptziel ganz klar erreicht! Wenn auch die Ausfallquote mit 50 % überaus hoch war.
die vielen treuen Helfer: Die Helfer haben grosses geleistet! Ob nun beim Gepäck, unterwegs an den Verpflegungsständen oder anderswo. Manche sind über sich selbst herausgewachsen und haben uns geholfen, wo sie konnten. Oft auch aus privaten Beständen! Herzlichen Dank Euch allen!!!
die Unterkünfte: Diese waren mit Ausnahmen gut bis sehr gut. Wir hatten immer eine Halle oder ein Bett. Zelten mussten wir nie und waren über diese Tatsache sehr glücklich.
Verpflegung unterwegs: War für mich persönlich gut und durchaus läufergerecht. Dies gilt nicht für das Isotonische Getränk, dieses Buffer. Hier musste ich selber etwas brauchbares einkaufen und mir eigene Flaschen hinterlegen lassen.
die Abendessen: Das Abendessen war auch meist gut bis sehr gut. Sogar im Osten wurden uns leckere Speisen aufgetischt. Manchmal war jedoch klar zuwenig vorhanden. Wer keinen eigenen Gaskocher bzw. Vorräte als Ergänzung hatte, musste hungrig ins Bett. Dies kam allerdings selten vor.
Die Streckenmarkierung war meist gut und vollkommen ausreichend.
negativ:
die Kommunikation: Zwischen den Läufern und der Organisation konnte so gut wie keine Kommunikation stattfinden. Wichtige Informationen wurden nicht weitergegeben, Fehlinformationen waren an der Tagesordnung. So irrten regelmässig Läufer und Helfer in den Städten umher, weil sie über wichtige Änderungen nicht informiert wurden. Ingo ist kein Kommunikator. Er hat mit uns nur gesprochen, wenn er absolut musste. Leider! Kritik bei Ingo anzubringen war leider ebenfalls unmöglich. Er hat nicht zugehört bzw. gleich mit dem "Nachhausefahren" gedroht. Kommunikation finde ich das wichtigste, wenn man etwas organisieren möchte...
die Organisation generell: Der Wille war einmal da, aber umgesetzt wurde das meiste nicht. Fast alles, was in der Satzung stand, stand eben nur in der Satzung. Die Organisation, ich spreche vor allem von Ingo, war hoffnungslos überfordert. Nur wollte sich Ingo offensichtlich nicht helfen lassen und konnte nicht delegieren. Chaotische Zustände und totale Verunsicherung bei allen Beteiligten war deshalb an der Tagesordnung. Irgend etwas positives habe ich selten von Ingo gehört. Auch keine Ermutigung, wenn es einem mal ganz dreckig ging, z.B. bei Magenproblemen. Da finde ich es eigentlich selbstverständlich, dass einem der Veranstalter etwas Mut macht, statt einfach sprachlos dazustehen. Ein paar Worte können genügen...
Zusammengehörigkeitsgefühl: Ein Gruppengefühl, wie ich es z.B. von der "Transe Gaule" her kenne, hat hier überhaupt nicht existiert. Es lag mitunter sicher auch an den schwierigen Charakteren. Vor allem aber an der Weigerung der Organisation, so etwas wie ein tägliches Briefing oder einen Athletenrat zuzulassen. Hätten wir jeden Tag uns für ein paar Minuten zusammengesetzt und Probleme vorbringen können, hätten die Läufer und die Organisation einige Probleme weniger gehabt und die Stimmung wäre nicht so abartig schlecht gewesen!
die Streckenführung: Wir hätten nie in den Osten gehen sollen!
das Frühstück: War sehr karg und wurde immer karger. Wenn man nicht um 5.00 Uhr beim Frühstück war, so hatte es nach wenigen Minuten gar nichts mehr. Selber einkaufen war angesagt. Grund dafür war meiner Meinung nach klar der Spartrieb von Else und Martin Bayer und der Egoismus vieler Läufer.
Verpflegung nach dem Rennen: Siehe Frühstück... Um jede Wasserflasche musste bei den Bayers gebettelt werden. Bemerkungen wie "nicht für's Füssewaschen" habe ich an anderer Stelle schon erwähnt... Dies darf bei einer Verpflegung auf Basis Vollpension einfach nicht sein!
Es war eines der längsten Rennen. Für mich klar nicht das härteste und sicher auch nicht das bestorganisierteste. Run Across America 2002 war läuferisch klar härter (Hitze + Feuchtigkeit), von der Landschaft her klar interessanter (Wüsten, Rockies, etc.) und zu allem Überfluss fast perfekt organisiert.
© Martin Wagen, im Juni 2003
Anhang vom Steppenhahn:
Etappe | Pos. | Zeit | km/h | Rückstand | Pos. Ges. | Zeit Ges. | km/h Ges. | Rückstand Ges. |