Alle zeigen - Bericht von Gregor Jonas zum Decke Tönnes Quasselultra:
Gregor Jonas , 06.06.2005

"auf zum letzten Gefecht"

Vor einem Marathon immer die gleiche Vorgehensweise: drei Brötchen mit Honig, Marmelade, Nutella oder anderen süßen Belägen – bloß kein Kaffee! Anspannung und ein wenig Übereifer begleiten das Frühstück.

So wundere ich mich, wie ich meinen Tag begehe: selbst habe ich mich bei meinen Eltern eingeladen, leihe mir deren Auto und sitze am gedeckten Frühstückstisch vor einem großen Becher Kaffee und einem Zwiebelmettbrötchen. Alles halb so wild, würde heute kein großer Lauf stattfinden bei dem ich gut aussehen will.

Andreas Butz, Laufbuchautor („runner’s high“) und seit heute Laufstore-Betreiber, hat zum dritten Mal eingeladen den „Quasselmarathon“ mitzulaufen. Bisher konnte ich an dieser tollen Idee nicht teilnehmen, aber heute ist es mir mehrfach eine Freude!

Erstens lerne ich endlich Sylvie persönlich kennen. Wer ist Sylvie? Sylvie ist Französin und startet mit mir zusammen beim 100 km-Lauf in Biel. Wir lernten uns per Mail kennen und haben im weiteren Verlauf unserer Gespräche gemerkt, dass wir ähnliche (sportliche) Ziele haben – im Geiste haben wir sogar schon für die Zukunft eine Menge neuer Projekte/Läufe geplant!

Zweitens schaffe ich es endlich am Decke-Tönnes-Lauf teilzunehmen, eine Veranstaltung, die in und um Euskirchen stattfindet kein Startgeld kostet (nur eine Spende für die Behindertensporthilfe) und bei dem man sich selber verpflegt (obwohl: bei km 22 wartet eine Wasserstelle, wo für jeden Läufer rund 1 Liter zur Verfügung stehen) - ein schöner Trainingslauf also.

Drittens laufe ich heute meinen allerersten offiziellen Ultralauf. Dies stelle ich aber erst fest, als Andreas Butz verkündet, dass es sogar am Ende des Jahres eine Urkunde für jeden Finisher gibt. Der Ultra wird durch die Eröffnung des Laufcampus-Laufstore möglich – der Start erfolgt dadurch vor dem neuen Geschäft und beschert den Läufern aufgrund dessen eine Gesamtstrecke von 47 km!

Genug der Vorrede:

Nach dem nicht ganz stilgemässen Frühstück geht es Richtung Euskirchen, brav dem Routenplaner folgend und zu aller Überraschung verfahre ich mich nicht (wie sonst immer). In Euskirchen angekommen bewege ich mich (noch in Zivilkleidung) in die Fußgängerzone und suche den Laufcampus – Laufstore. Ich bin schon spät dran, denn vor 5 Min. wollte ich mich mit Sylvie vor dem Geschäft treffen. Das macht ja einen richtig guten Eindruck…
Und natürlich finde ich den Shop erst nach einigen Minuten und Sylvie steht schon in Läuferklamotten im Geschäft und redet schon geschäftig mit anderen Startern. Eine schnelle Begrüßung, ein Blick auf die Uhr und schon muß ich wieder zum Parkhaus, umziehen und dann schnell wieder zu, Start. Im Laufmonster-Shirt betrete ich ein zweites Mal den Store und treffe den Meister (Andreas Butz) persönlich – ein netter Plausch, die Spende ins Schweinderl geworfen um dann festzustellen, dass meine französische Begleiterin gar nicht mehr da ist. Dafür kommen eine Menge Holländer und weitere Starter an und kurz vor zwölf haben sich eine ganze Meute am Treffpunkt eingefunden. Einige einleitende Worte vom Ausrichter, der einige Läufer gesondert erwähnt: Robert Wimmer, Gewinner des Transeuropalaufes, ist ebenfalls mit dabei – etwas genährter als beim damaligen Sieg, aber gut drauf, wie wir später feststellen durften.

Da der Vater des Laufes verletzungsbedingt nicht teilnehmen kann, wird Joachim Semm (letztjähriger Fünftplazierter beim Rennsteiglauf) auf das richtige Tempo achten und dass niemand zurückbleibt.

Noch ein Photo, ein provisorisches Startband wird gespannt und schon setzt sich das Feld geschlossen in Bewegung. Ich bin ein wenig eingeschüchtert von der ganzen Erfahrung, die hier präsent ist: mehrere Ultra- und Mega-Ultraläufer, Ironmen (sogar Ultraman (doppelte Ironmandistanz)) sind vertreten. Im Lauftreff bin ich mit meinen 16 Marathonläufen ein Teil der „Upper-class“, aber hier...auch Sylvie hat schon Ultra-Erfahrung und dabei läuft sie erst seit gut eineinhalb Jahren den Marathon. Ich trabe neben ihr wortlos her, weiß nicht, was ich Interessantes erzählen könnte und sie ist eh zumeist still bei langen Läufen (wie sie mir berichtete).

Es geht raus aus Euskirchen und rein in die schöne Landschaft. Traumhafte Eindrücke erschließen sich mir hier – ein Stadtkind wie ich kennt normalerweise nicht so schöne Laufrunden. Der Laufweg ist uneben (fast crossmäßig), also eine gute Bewegungsschule, und verlangt eine gute Konzentration und Koordination. Es wird ne Menge um uns herum gequasselt und ich schweige immer noch…ungewöhnlich werden die meisten sagen, die mich kennen, aber es macht mir einfach nur Spaß zu laufen!
Ich schaue ab und an auf meine Mitläuferin, die einen wunderbar gleichmäßigen Laufschritt hat, versuche aus Ihrer Mimik schlau zu werden, spreche oftmals kurz mit ihr. Das wird ein gutes Team für Biel werden, denke ich.

Langsam müssen wir die ersten der insgesamt 890 Höhenmetern in Angriff nehmen. Immer wieder lösen sich schöne Bergabpasssagen mit knackigen Anstiegen ab. Anstrengend wird es für Sylvie und mich und man sieht ihr an, dass auch sie mit der Steigung kämpfen muß.

„Wo kommst du denn her?“ „Köln“ „Ach, dann kennst Du solche Anstiege ja gar nicht!“ Recht hat Joachim! Eine kleine Pause, um den Nachzüglern eine Chance zum Aufholen zu geben, ist willkommen, es wird getrunken, gescherzt, die Notdurft verrichtet und sich wieder Mut gemacht. Trotz der Anstrengung habe ich bisher eine Menge Spaß.
Noch einen Anstieg, dann soll die namensgebende Kapelle erreicht sein - nur noch ein Anstieg, diesmal runde 2 Kilometer lang und teilweise steil und matschig, aber oben angekommen gibt es den versprochenen Wassernachschub. Ein Powerriegel und ein Squeezy-Gel sollen die Energie für den Rückweg liefern – reicht meine Kraft bis zum Finish bei einem derartigen Höhenprofil?
Sylvie geht es gut, sie dehnt, genießt die Pause, lacht viel und ist gut drauf! Wir machen unsere Späße und flachsen über unser gemeinsames Ziel Biel, resümieren einige Mails und überlegen, wann und wie unsere Ziele umsetzbar sind.

Nach einer runden Viertelstunde geht es weiter und irgendwie kommt es, dass Sylvie und ich die Truppe anführen (und, wie uns Joachim Semm später sagte, das genau mit dem angestrebten Schnitt!). Ich werde gesprächiger, lockerer und viele Läufer um uns rum erfasst eine leicht beschwingte Stimmung. Nach einigen schönen Abstiegen folgen weitere Steigungen und Sylvie und ich ordnen uns weiter hinten ein. Sylvie wird wieder ruhiger und ihre Mimik verrät, dass für sie so langsam die Zeit des Leidens anzufangen scheint (obwohl ihr Schritt in keinster Weise unrund oder langsamer wird) – herrliche Landschaften gibt es hier. Ich denke kurz darüber nach, wie schön und schnell man hier mit dem Rennrad sein kann. Das wird noch ein Spaß werden bei meinem zukünftigen Triathlontraining!

Die Sonne scheint und wir genießen sie in vollen Zügen! Bei unseren Gesprächen mit anderen Läufern stellt sich heraus, dass es weitere Biel-Ersttäter in unseren Reihen gibt – wir werden bestimmt nicht alleine sein beim Abenteuer in der Schweiz - da ist er wieder: der Gedanke ans Abenteuer und das Hier und Jetzt verschwimmt ein wenig. Erst als Sylvie eine kleine Gehpause einlegt wache ich aus meinem „Kopfkino“ auf und gehe mit (es war abgesprochen, dass wir (egal wie) zusammenbleiben über den gesamten Lauf). Robert Wimmer schließt zu uns auf und witzelt sofort mit uns rum. Nach Philosophieren über Bier, Wein und Coktails entsteht die Idee einer neuen Marathonveranstaltung: einen Coktail-Marathon! Das Konzept ist schnell erdacht, der Ort mit Cuba exotisch genug – also, Robert – bitte melde Dich, damit wir das zusammen organisieren können

Wieder geht es oftmals bergauf und kleinere Passagen meistern wir um langsamen Lauf oder strammen Walking – das Höhenprofil fordert Opfer, aber ich fühle mich kraftvoll und richtig gut (ein gutes Zeichen für den Start in zwei Wochen!)

Nach knackigen Anstiegen und Hügeln ordnet sich unser kleines Gespann hinten ein und die Lücke zum Hauptfeld wird langsam größer – die Angst wächst, dass wir den Heimweg nicht finden werden, doch da naht Joachim Semm und läuft mit uns. Er offeriert uns, dass ein Läufer, der bei km 22 eingestiegen ist, nun das Tempo macht und dieses kräftig anzieht. Aber das ist uns egal: Joachim weist uns den Weg, erzählt uns von seinen Trainingsläufen und macht uns Mut („es sind noch maximal 5 km! Da hinten ist doch schon Euskirchen!“) – so stelle ich mir einen guten Coach/Übungsleiter vor, Danke dafür!

Um die Gruppe wieder zusammenzuführen, gönnt uns Joachim eine kleine Abkürzung die einen Irrweg am Anfang ungefähr wieder wettmacht – es bleiben wohl runde 47 km – Ultra ist also gesichert !

Es bleibt sogar Zeit für eine Geschichtsstunde: wir besichtigen einen Teil der römischen Wasserleitung, die meine Heimatstadt vor einigen Jahrhunderten mit Wasser versorgte – beeindruckend!

Die letzten Stunden haben Kraft gekostet, aber dieser Lauf ist ein absoluter Genuss! Eine innere Ruhe stellt sich ein und ich freue mich auf den Lauf in zwei Wochen: Sylvie meint, dass sie mit mir anlaufen will, aber gibt mir schon mit, dass sie mich nach drei Stunden fortschicken will, um mein eigenes Rennen zu bestreiten – warten wir’s einfach mal ab, wie es sich in Biel anfühlt!

Wir passieren den Ortseingang von Euskirchen, traben oder gehen stramm, immer der Gruppe folgend. Die letzten Meter werden geschlossen absolviert und enden am Euskirchener City-Center, wo Andreas Butz schon auf uns wartet. Geschlossen stimmt nicht ganz, denn Robert Wimmer verführt einen weiteren ausgewiesen Ultraläufer, um in einem Imbiss nahe des Ziels „Läufernahrung“ (ich glaube, sie wollten Pommes!) aufzunehmen – so hat er also damals den Transeuropa überlegen gewonnen

Empfangen werden wir mit Wasser, Apfelschorle und einigen Broten. Ein toller Lauf geht langsam zu Ende - Sylvie und ich tragen uns in das Finisherbuch ein und freuen uns einfach nur. Wir verabschieden uns von den anderen Läufern, wir werden uns bestimmt beim nächsten Decke-Tönnes-Lauf oder bei einem anderen Lauf wiedersehen, und marschieren Richtung Parkhaus.
Noch eine kurze Besprechung wegen Biel und auch unsere Wege trennen sich. Sylvie scheint glücklich, kaputt, aber guter Dinge für unser Abenteuer – das hat uns so richtig Spaß gemacht!

Fazit des Laufes für mich:

Mein erster Ultra ist somit vorbei. Ich fühle mich gut, müde, glücklich, stark und gut gerüstet für die nächsten Aufgaben! Ich weiß, dass bei der klassischen Marathondistanz nicht Schluss sein muß – und das macht mich umso stärker. Noch nicht einmal die Hälfte der Strecke von Biel liegt hinter mir, aber weder meine Muskeln, meine Mechanik (Knie etc.) oder die Psyche haben mich während der 5:30h dauernden Belastung im Stich gelassen (und das trotz des läuferunwürdigen Frühstückes!). Biel kann kommen – ich wär dann soweit!

Falls euer Interesse an diesem Lauf geweckt ist, dann klickt einfach auf den Link oder ihr besucht Andreas Butz’ Laufcampus-Seite (den Link findet ihr hier).


© Gregor Jonas, 06.06.2005

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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