Alle zeigen - Bericht von Gabi Leidner zum Internationaler 6-Tage-Bahnlauf von Erkrath:
Gabi Leidner , 07.08.2005

144 h im Kreis oder: ein Leben im Mikrokosmos (Vorsicht, SEHR lang)



Epilog: Anreise und die letzten 24 Henkersstunden

Samstags (30. Juli) haben wir die Heimat verlassen und sind erst mal nach Reichweiler gefahren, um Fam. Trailjunkie zu besuchen. Witzigerweise beträgt die Entfernung Reichweiler-Erkrath genauso 271 km wie die Entfernung Weisenheim-Erkrath. 3 h waren wir im Haus und der Bus stand gleichzeitig in der Sonne – und danach hatte sich unser aufblasbares Gästebett in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. Dafür hatten wir noch eine rote Plastikwanne zusätzlich mit an Bord, damit Peter ein Behältnis für ein eventuelles Fußbad hat. Ziemlich genau 24 h vorm Startschuß verließen wir Reichweiler und fuhren den Regenwolken entgegen. In der Nacht von Freitag auf Samstag muß es in Erkrath dermaßen geregnet haben, dass alles unter Wasser stand – inklusive des Relais der Heizungsanlage des SC Unterbach, die auch für die Warmwasseraufbereitung zuständig ist.

Gegen 18 h kamen wir am Ort des Geschehens an, begrüßten alte Bekannte, lernten auch schon die ersten neuen Bekannten kennen. Da wir wegen eines Fußballturniers erst um 20 h auf den Platz konnten, um die Autos zu platzieren, hatten wir erst auch noch ein vergnügliches Abendessen zu 10. beim Jugo gegenüber. So gegen 23 h fingen wir dann auch an, das Bett zu hüten, nachdem ich für mich noch eine Turnmatte ergattert hatte. Für Peter hatten wir eine weiche Klappmatratze dabei. Überhaupt sah unser Auto eher nach Umzug aus, als wir Weisenheim verließen, unser Bettzeug hatten wir auch eingepackt, um die Schlafsäcke für tagsüber am/im Auto zu parat zu haben.

Nach einer ruhigen Nacht, wir teilen die ganze Woche das Zimmer mit einem älteren schweizerisch-östereichischen Paar, gab’s um 9 h Sonntagsfrühstück für alle und dann nahm so langsam aber sicher so alles seinen Lauf: Startnummernausgabe, Technical meeting (Dos and don’ts für die nächsten 6 Tage).. irgendwie fanden wir, dass 15 h eigentlich zu spät ist für den Start, der Vormittag ist wie Warten auf Godot.

Die ersten 24 h

Um 14 h wurden alle LäuferInnen für Presse und Zuschauer einzeln vorgestellt und währenddessen fing es erst leicht an zu regnen, bis zum Startschuß kübelte es dann Katzen und junge Hunde, im Nu standen Aschenbahn und Aschen-Fußballplatz zentimeterhoch unter Wasser. Das hatten die Armen echt nicht verdient!

Peter hatte sich eine sehr vernünftige Strategie zurechtgelegt: 50 km laufen, dann pausieren bis morgens, dann wieder 50 km laufen, dann pausieren bis 15 h. So kommen pro Tag 100 km zusammen. Da dieses Jahr alles im Internet zeitnah „übertragen“ wird, hat diese Strategie aber auch durchaus ihre Nachteile J. So rief Eric morgens schon vor 7 h ganz aufgeregt an, warum Peter denn erst 52 km gelaufen wäre, wo es doch abends vorher so gut aussah. Und beim Mittagessen kam eine SMS von Ute „Warum zwischen 10 und 12 h nur 3 km“? J.

Kurz vor 21 h hatte er die ersten 50 beisammen und dann war Siesta angesagt: duschen, Elektromassage, Matratzenhorchdienst. Den Wecker hatten wir auf 4:30 h gestellt, aber natürlich war er ein paar Minuten eher wach. Vor 5 h war er schon wieder unterwegs und die zweiten 50 hatte er um kurz nach 10 h geschafft. Jetzt war lange Mittagspause angesagt – mit Elektromassage und Begucken der ersten Fotos. So eine Digicam, dazu noch in Verbindung mit einem Laptop, ist eine nette Begleiterscheinung des 21. Jahrhunderts. Alles in allem ging es ihm richtig gut, auch wenn am Samstagnachmittag alles etwas schleppend anlief und sich nach der ersten Mittagspause doch auch eine kleine Blase zwischen den Zehen zeigte.

Ich verbrachte meine Zeit währenddessen helfend an der Verpflegungsstelle, beim Wäschewaschen, schwätzend und, am Samstagnachmittag, auch mal eine knappe Stunde laufend. Allerdings am nahegelegenen Unterbachsee, nicht im Stadionoval.


Der zweite Tag

Bereits um 14.30 h, also eine halbe Stunde „zu früh“ hält Peter nix mehr auf dem Stuhl und er macht sich wieder auf den Weg. Inzwischen knallte die Sonne vom Himmel, aber noch empfanden es wohl die meisten als Wohltat, dass die feuchte Kühle sich in Wohlgefallen aufgelöst hat.

Die ersten Läufer haben sich einen Sonnenbrand eingefangen, die ersten Läufer laufen mit Verbänden um Knie und Schienbeine durch die Gegend – und auch am Abend gibt es noch Läufer, die noch nicht wirklich bzw. wirklich überhaupt nicht geschlafen haben. Unfassbar. Wolfgang Schwerk zieht unbeirrt Runde um Runde, betreut von seinem Ultralauffreund Helmut Thierke. Nach 29 h hat er 259,427 km auf dem Zähler und noch kein Auge zugetan. Helmut meinte, die ersten 48 h würde Wolfgang wohl nicht schlafen. Und Helmut konnte nur mal ein wenig schlafen, als Wolfgangs Frau zu Besuch war. Schon fast 30 km Rückstand hat Claude Hardel, Achim Heukemes ist 3. mit weiteren 30 Fehlkilometern. Und schon 4. ist jetzt der Österreicher Christian Chmel, ebenfalls ein Nochnichtgeschlafener. Erstaunlich auch, was Hans-Jürgen Schlotter so abliefert. Er wollte eigentlich 100 km pro Tag laufen und ist nach 29 h schon bei 192. Peter zählt seine km vor 15 h nicht für heute und so fehlen ihm momentan noch knapp 13 km zur wohlverdienten Schlafpause. Er war vorm Essen ein bisschen kraftlos, nachmittags sind wir auch mal ein paar Runden zusammen gegangen, aber seine Orthopädie spielt mit und das ist wohl die Hauptsache.

Ich war zwischendurch wieder eine Runde am See, sonst vertrödle ich hier mehr oder weniger den Tag mit Schwätzchen hier und da, Hilfe an der V-Stelle, Wäschewaschen, gucken, Buffer anrühren und ähnlichen Kleinigkeiten.

Eben hat die Düsseldorfer Band „Halver Hahn“ gespielt, da waren dann auch richtig viele Zuschauer an der Strecke. Mal sehen, wie lange es die jetzt noch hier hält.

Peter war abends ziemlich kaputt, brauchte auch schon länger als zuvor, um die 50 voll zu bekommen. Nachts stöhnt er fast bei jeder Bewegung. Ich ahnte schon Fürchterliches, aber als der Wecker uns dann unsanft aus dem Schlaf piepte, stand er auf und ging laufen. Er hatte sich doch einigermaßen erholt und die ersten Stunden lief es wirklich gut. Aber schon viel früher als gehofft musste er immer wieder Runden gehend zurücklegen und sich auch schon mal setzen. Die 50 war kein Thema, bereits nach knapp 43 km wurde die Mittagspause eingeläutet und kaum war er geduscht und rasiert, schlief er auch schon während der Elektromassage im Bus ein.

Wolfgang Schwerk drehte derweil unverdrossen weiter seine Runden. Um 14.30 h hatte er den alten 48 h-Bahnrekord von Achim Heukemes gebrochen, der auch direkt stehen blieb, um ihn abzuklatschen. Eine wirklich sportliche Geste. Eine halbe Stunde später, also nach kompletten 48 h, verzog sich Wolfgang erst mal unter die Dusche und dann in die Horizontale. Ob er weitermacht, steht noch in den Sternen, sein Shin Splint drückte ihn schon seit dem Vorabend. Hans-Peter Burger musste wegen einer alten, neu aufgebrochenen Verletzung schon abreisen. Um kurz vor 11 h lief der bisher längste Zug rund um die Bahn, eine 7-Läufer-Reihe. Das macht nicht nur den Läufern sichtlich Spaß, auch die Zuschauer, die um diese Uhrzeit überwiegen aus Helfern und Betreuern bestehen, spenden Szenenapplaus. Einer, der immer zu lachen scheint, ist der Ungar Zoltan Kiss. Hin und wieder hält er an, um seinen kleinen Sohn Benedikt zu küssen – der dann fast regelmäßig in Geschrei ausbricht, wenn Papa wieder auf und davon läuft. Aber ansonsten wirft der Kleine gutgelaunt Handküsschen. Natürlich auch wieder alle begeisternd ist der Senior auf der Bahn, Dan Coffey. 74 Jahre alt und sehr britisch. Zwischendurch lässt er sich immer mal „English tea“ kochen: schwarz mit ein klein wenig Milch und 2 Würfeln Zucker. Heute morgen bei Sonnenaufgang philosophierte er mit mir darüber, was eigentlich mit der ganzen angebrochenen Morgendämmerung passiert. Ein lieber und witziger Kerl, der gestern leider mit Magenproblemen zu kämpfen hatte.


Tag Nummer 3 – der Bergtag

Peter tut sich heute echt schwer. Nicht, dass er orthopädische Probleme hätte (von schmerzenden Füssen mal abgesehen), aber er ist einfach müde und ausgelutscht. So kommen doch mehr Zwangspausen zusammen, als er eigentlich eingeplant hatte. Um 16 h ging ich laufen – und ca. 2 min später lag er wohl dösend im Bus. Als ich wiederkam, habe ich ihm erst mal einen Kaffee geholt und ihn dann zurück auf die Bahn „geschickt“. Später war ich kurz im Supermarkt, ohne Petersche Sonderwünsche. Kaum hatte ich 15 min später wieder die Anlage betreten, rief er mir entgegen „Hol mir drüben mal ein Rieseneis“. Also kehrt-marsch und erst mal 6 Kugeln Eis vom Italiener geholt. Das dürfte einer der großen Vorteile von Läufern mit persönlicher Betreuung sein: Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern kaum länger. Die offizielle Verpflegung ist wirklich reichlich und abwechslungsreich, aber gegen Heißhunger auf (natürlich) nicht Vorhandenes ist wohl niemand gefeit und wenn der dann erfüllt wird, lacht das gestresste Läuferherz.

Nie um einen Spruch verlegen sind auch die Niederländer im Rennen. Besonders Ruud hat immer wieder eine kesse Lippe. Als Sigi Bullig Jorret eine Rundenaufstellung der einzelnen Läufer der ersten 2 Tage in die Hand drückt mit der Bemerkung „da kann man richtig schön sehen, wie die Läufer voran kommen“, meint Ruud nur trocken „das kann ich auch sehen, wenn ich in den Spiegel schaue“. Und Theo Cloostermann war der Meinung, bei einem Bahnlauf seien die Läufer wie ein Bumerang, sie kämen dauernd wieder, denn alle 400 m seien sie wieder da.

Am Mittwochmorgen ist Peter schlecht drauf. Die Nacht war unruhig und kurz, am Dienstagnachmittag/-abend fiel ihm das Laufen körperlich schwer, der Darm meldet „Durchfall“. Sein Laufstil ist am Mittwoch wieder richtig schön rund, aber irgendwas am Fuß schmerzte und der Kopf will auch nicht so richtig. Seinen nicht ernstgemeinten Vorschlag, einfach die Sachen ins Auto zu packen und loszufahren, quittiere ich mit einem Lachen und gut isses. Es wird ja behauptet, dass der dritte Tag der schwerste sei und das scheint sich zu bewahrheiten. Aber wie heißt es so schön? Was uns nicht tötet, macht uns nur härter. Jedenfalls hat er bis 15 h wieder 100 km voll und das ist die Hauptsache.

Zum Bergfest um 15 h gibt’s nicht nur Halbzeiteis, auch das ZDF filmt sich halb zu Tode. Am Freitag soll ein Bericht in der Drehscheibe kommen. Sowas – dass es die wieder gibt...

Martina Hausmann hatte nachts Durchfallprobleme und so zieht Christine Bodet weiter von dannen. Bei den Männern hat nach Wolfgangs Ausstieg erwartungsgemäß Claude Hardel die Führung übernommen und liegt teilweise 60 km vor Achim Heukemes. Der wiederum wird gejagt von Hans-Jürgen Schlotter. Das Rennen ist nach wie vor spannend.


Der vierte Renntag – auch mental über den Berg?

Am Mittwochnachmittag ist es schwül-heiß auf der Anlage – und staubig. Man merkt’s auch den meisten Läufern an, bei solchen Temperaturen läuft es sich im wahrsten Sinne des Wortes schleppend. Das ZDF bleibt noch den ganzen Nachmittag auf der Anlage, macht jede Ecke unsicher. Derweil diskutieren wir schon, wie wir die Liveübertragung der Drehscheibe am Freitag zustande bringen. Step und ich haben Ultrarunner Jürgen Spitzer angespitzert und der war auch sofort Feuer und Flamme. Das Abendessen kam eine Viertelstunde eher als normal – und das war auch Wowereit, also gut so. Denn aus ersten sachten Regentröpfchen, die fast schüchtern vom Himmel fielen, wurde ruckzuck ein Wolkenbruch, wie er auch am Sonntag beim Start schon zu sehen war. So kam Martina Hausmann zu ihrem ersten Essen im Sitzen seit Sonntag. Der einzige Heroe, der auf der Bahn blieb, war Franz Schullitsch – unter donnerndem Applaus sämtlicher herumsitzender Mitläufer. Nebenbei wurde andiskutiert, ob Schwimmkilometer überhaupt in die Wertung einzubeziehen seien. Ob der Riesenpfützen auf der Bahn verzogen sich viele nach dem Essen erst mal in ihre Zelte und Autos, um ein Verdauungspäuschen einzulegen. Wer würde wohl zuerst mit der Luftmatratze auf die Bahn geschwemmt werden? Um 18 h hatte Hans-Jürgen Achim übrigens einmal mehr überholt, wird diesen kleinen Vorsprung aber mit Sicherheit nicht über die Nacht retten, da er sich zur Geisterstunde immer Richtung Matratze verabschiedet.

Peter war nach wie vor wenig begeistert von der Vorstellung, weiterlaufen zu müssen. Völlig unverständlich, hat er doch einen all-inclusive-Aktivurlaub gebucht und bekommt ihn auch. Der Drehscheibentante hat er erzählt, seine Motivation sei seine Lebensgefährtin, die ihn immer wieder zurück auf die Bahn „jage“..... tztztz....

Die persönliche Betreuung meines Süßen ist zwar nach wie vor kein Fulltimejob, aber doch intensiver, als ich dachte. Wenn ich zwischendurch Zeit habe, helfe ich am Verpflegungsposten oder gehe nachmittags eine knappe Stunde laufen – am See, versteht sich. 3 Bücher habe ich mitgebracht, angefasst noch keins.

Diese Nacht verbrachten wir im Bus, nachdem zu Peters mentalem Tief auch noch Schmerzen an der Sehne der oberen Wade kommen. Noch so eine Radaunacht wie die vorherige könnte er nicht vertragen. Und siehe da – wir schlafen beide wie ein Stein und dann auch gleich mal 2 h länger als normal, stehen erst zum Frühstück auf. Wieder besserer Dinge, macht er sich nach einer Doppelportion Rührei wieder auf die Runde. Die Wunschvorstellung, jeden Tag 100 km zu schaffen, hat er abgehakt und nachdem er sich mit dem Gedanken angefreundet oder ihn zumindest akzeptiert hat, geht’s auch mental wieder besser. Obwohl jetzt auch sein Magen rebelliert. Aber gegen das Übelkeitsgefühl gibt’s in der Apotheke Tropfen und gegen Heißhungerattacken gibt es Salatgurke, Thunfisch in Wasser und Tomatensüppchen aus der Tüte und ein GROSSES Schokoladeneis vom Italiener gegenüber. Neben den normalen Mahlzeiten, versteht sich. Wenn ich es nicht besser wüsste, ich würde annehmen, er wäre schwanger J.

Das Fernsehen ist auch schon wieder da, gegen 13 h gibt es eine Liveschaltung zum Regionalprogramm des WDR. Und Zeitungsreporter treiben sich auch den ganzen Tag auf dem Platz rum. Uli Knab, Veranstalter des Troisdorfer 6 h-Laufes und hier Versorgungschef, hat’s genau richtig umschrieben: das hier ist wie leben im Mikrokosmos. Und hat wirklich ein bisschen was von Zoo oder gar Big Brother. Wie Container ohne Container sozusagen. „Die da draußen“ verfolgen im Internet, was wir hier treiben. Zum Beispiel klingelt mein Handy, Eric meldet sich mit den Worten „Geh sofort runter von der Laufbahn“ – er hat über die Livecam gesehen, dass ich gerade die Bahn überquert habe. Zumindest die Zeitungsartikel hängen zum Lesen aus, aber was im Internet und im TV über „das Unternehmen Erkrath“ mit uns allen als Laienschauspielern berichtet wird, bekommen wir nicht mit.

Ich stehe wieder stundenlang an der Versorgungsstelle und/oder renne und marschiere für und mit Peter auf dem Platz rum. Mir tun die Beine weh, als sei ich selbst einen Marathon gelaufen. Ich glaube, der Rennhamster-Lauftreff wird abends ohne mich stattfinden.

Peter macht hin und wieder Ruhepausen und marschiert ansonsten viel, bis zum Ende des 4. Tages hat er es dann doch noch auf 70 km geschafft.

An der Spitze tut sich auch dauernd was. Claude Hardel ist zwar inzwischen völlig unantastbar, aber Hans-Jürgen und Achim gönnen sich nichts, mal ist der Eine vorne, mal der andere – und manchmal ist sogar noch Christine Bodet zwischen ihnen, also 3. im Gesamtklassement. Auch Martina Hausmann ist noch immer auf Rekordkurs, sie strebte eigentlich einen AK-Weltrekord an, hat jetzt aber umgeschwenkt auf „Deutscher AK-Rekord“. Die Stimmung ist nach wie vor klasse, es wird viel gelacht, wenn auch manchmal etwas schief.


Tag Nummer 5 – es wird mühsam

Mit eisernem Willen und kleinen Motivationshilfen in Form von Zuspruch kämpft sich Peter weiter durch den Tag. Zum ersten Mal bekommen wir die Mitternachtssuppe mit. Arschkalt isses und die Suppe haben alle, die noch wach sind, bitter nötig. Sogar ein paar vereinzelte Zuschauer hat’s um diese nachtschlafende Zeit noch an die Strecke getrieben. Ich bin zwischendurch mal so müde, dass ich fast im Stehen einschlafe. Aber ich bin ja nicht da, zu schlafen, während Peter seinen Bahnenkampf führt. Irgendwann fallen wir dann doch in den Bus ein und umgehend in Tiefschlaf. Um 3 h nachts muß ich mal äußerst dringend meine Blase leeren, ich kann einfach nicht mehr schlafen. Also auf nach draußen und unter den Augen der Rundenzähler und Läufer quer über den Platz Richtung Toilette. Ich muß genau so ausgesehen habe, wie ich mich fühlte, denn Jutta wagte es gar nicht, mich anzusprechen. Morgens schält Peter sich um kurz nach 5 h aus dem Schlafsack. Meine Aufforderung, die Tür des Busses offen zu lassen, überhört er. Und als es dann wieder so schön kuschlig warm wurde im Bus, konnte ich nicht anders, als noch mal für 1 ½ h ins Reich der Träume zurückzukehren.

Peter ist wieder besser drauf, auch wenn die Beine und Füsse schmerzen – er schafft glatt wieder 90 Tageskilometer. Unglaublich. Damit macht er gleich auch wieder ein paar Plätze gut, denn natürlich macht es sich auch bei den anderen bemerkbar, dass sie schon einige Stunden in den Knochen haben.

Hans-Jürgen wird erstmals in der Nacht nicht wieder von Achim eingeholt, für viele ist er wohl die eigentliche Überraschung dieser Veranstaltung.

Und in den virtuTelNewNews-Einträgen, die Rennhamster Holger II uns mitgebracht hat, finde ich den Hinweis von volkerssohn Frank Berka, dass Erkrath nach dem Bahnrekord von Wolfgang jetzt wohl Schwerkrath heißen müsste.


Der letzte Tag – jetzt beginnt die Tour der Leiden erst richtig

Kurz vorm Abendessen am Freitagabend tritt der GAU ein: es schüttet in Strömen und es sieht nicht so aus, als ob sich das noch mal ändern sollte. Ratzfatz ist es eisekalt und so manche/r entschließt sich erst mal ziemlich frustriert zur Pause. Auch Peter sieht seine Felle im wahrsten Wortsinn davonschwimmen. Für den letzten Tag hatte er sich noch mal ein finales Aufbäumen vorgenommen. Die Fußgelenke schmerzen zwar arg, aber wie war das? Nur die Harten kommen in den Garten. Irgendwie hatte er sich zuhause nicht vorstellen können, dass es im August so richtig kalt werden könnte und so ist eine lange Tight in seiner Sporttasche absolute Fehlanzeige. Seine Rettung naht in Form von Engel Angelika Rödder. Sie wohnt nur um die Ecke und fährt noch mal heim, um Peter lange Tights und einen Regenumhang zu bringen. Wunderbar! Trotzdem ist er um Mitternacht so ausgekühlt, dass er sich erst mal schlafen legt. Aus der geplanten einen Stunde werden zwar drei, aber was der Körper braucht... Obwohl der Countdown deutlich läuft, fällt es fast allen deutlich schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es scheint, dass der Einzige ohne orthopädische Probleme Ruud Jakobs ist. Viele laufen heute mit mindestens einem Verband durch die Gegend, aber sie laufen. Und entgegen ihren eigenen Aussagen sieht das bei einigen nicht mal so unlocker aus. Tom Wolter-Roessler, gestern noch mit Knieproblemen geschlagen und von ihnen zu einer Langzeitwanderung gezwungen, zieht wieder gemütlich joggend seine Runden. Martina Hausmann ist auf dem allerbesten Weg, einen neuen Deutschen Bahnrekord aufzustellen, Christian Mainix hat bereits vor 10 h den Weltrekord der M65 eingestellt und schafft für seine Konkurrenten jetzt ein immer größer werdenden „Sicherheitsabstand“.

Entgegen jeder Prognose hat sich zum Glück auch der Regen schon in der Nacht verabschiedet und der Samstag meint es bei Sonnenschein gut mit Läufern, Zuschauern, Helfern und Betreuern. Petrus muß DOCH Läufer sein. Irgendwie.

Die Stimmung ist nach wie vor bombastisch. Es wird viel gescherzt und gelacht – sei es auf der Strecke oder daneben. Im Laufe des Vormittags hat Christine den W45-Weltrekord, Christan Chmel den Österreichischen Rekord, Ubel Dijk seinen eigenen niederländischen Rekord in der Tasche – und um ca. 14 h ist Martina Hausmann neue Rekordhalterin des Deutschen Bahnrekords über 6 Tage. Wacker hat sie sich durch die Tage gekämpft – und war stets gut gelaunt, auch wenn sie wenig geschlafen hat. Nach Abschluß der Veranstaltung war sie stehend ko und ward nicht mehr gesehen.

Peter läuft und läuft – wie ein alter VW-Käfer. Zusammen mit Hans-Jürgen Schlotter dreht er Runde um Runde. Die beiden helfen sich so gegenseitig. Hans-Jürgen will unbedingt noch die 800 km-Marke knacken, schafft das auch und ist jetzt Zweiter der ewigen deutschen Bestenliste. Vor ihm hat nur Achim Heukemes 2004 an gleicher Stelle diese Schallmauer durchbrochen. Und Peter will wenigstens noch die 560 km packen. Mit 562,89 hat auch er sein neu gestecktes Ziel erreicht. Direkt um 15 h ist sein erstes Statement „So einen Scheiß mache ich nie wieder“. Nie wieder – nie wieder – nie wieder – bis zum nächsten Mal?!

In der letzten Stunde legen Ruud Jakobs und Walter Zimmermann plötzlich einen Zahn zu, alle sind am Staunen. Ruud ist nicht zu stoppen. Irgendwer kommuniziert, was bei ihm los ist: er hat irgendwann überschlagen, dass er 1.111 Runden schaffen kann – und los ging’s. Die letzten Minuten läuft er dann die Ehrenrunden mit Fahnen ohne Startnummer, damit diese Runden nicht auch noch mit auf den Zähler kamen. Auch ein Ziel.. nicht die Kilometer, die Schnapszahlrunden zählen.

Das Finish ist wirklich ergreifend. Die LäuferInnen bekommen die Fahnen aller teilnehmenden Nationen und damit gehen sie noch ein paar Runden zusammen, die letzte Runde nehmen sie die Fahnen zwischen sich und ziehen in einem langen Lindwurm ihre letzte Bahn. Als die Uhr auf 15 h umspringt, springen sie regelrecht noch durch die Zeitmess-Uhren und bleiben im Versorgungszelt stehen, draußen regnet es nämlich schon wieder. Alles fällt sich in die Arme, jeder gratuliert jedem – die Truppe war wirklich toll in diesem Jahr. Absolut kein menschlicher Ausfall. Auch so etwas macht einen Wettkampf er-lebens-wert, vor allem, wenn man 6 Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten auf mehr oder weniger engem Raum zusammen „eingesperrt“ ist. Man mag es kaum glauben, aber was in der Welt da draußen los ist, bekommt man echt nicht mit. Bombenanschlag in der Türkei? U-Boot-Chaos in Russland? Verfassungsklage gegen Vertrauensfrage? Alles Dinge, die man sich am Wochenende mühsam zusammenklauben muß.

Die Siegerehrung gerät dann leider zum Wasserdesaster. So, wie die Woche angefangen hat, hört sie auch wieder auf: im strömenden Regen. In Minutenschnelle steht alles unter Wasser und niemand schafft es, trockenen Fusses bis zum Siegerpodest zu kommen, um sich die schönen Preise abzuholen: Glastrophäe, Schlüsselanhänger mit eingravierten Initialen eines Jeden, Urkunde (Gruppenfoto vorm Start mit allen Unterschriften) und je ein wunderschönes Foto, das ein ortsansässiger Fotograf während der letzten Tage geschossen hat. Sowas hat die Welt noch nicht geseh’n, so schön, so schön.

Bei Grillwürstchen, Steaks, Kartoffeln und Kartoffelsalat aus der Meisterhand des Sixdays-Chefkochs Paul Gewers und einem Fässchen Altbier klingt eine schöne und anstrengende Woche nett und lustig aus. Einige reisen gleich ab, andere übernachten ein letztes Mal – wir gönnen uns ein schönes weiches Hotelbett gegenüber der Anlage und machen uns am Sonntagmorgen auf den Heimweg, verlassen den Container ohne Container und übergeben uns wieder dem Alltag.



© Gabi Leidner, 07.08.2005

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