Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Peter Haarmann zum Karstadt Ruhrmarathon (22.05.2007) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
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Peter Haarmann , 22.05.2007

Marathon-Day bei Karstadt: Eine Region in Bewegung

Laufbericht zum Karstadt Ruhr-Marathon 2007
Webseite des Veranstalters: Diese Veranstaltung gibt es leider nicht mehr!

© Pete(R) Haarmann, Mai 2007 / Überarbeitet 2011 - Mehr zum Thema Marathon, Ultra- und Traillaufen findest du hier: www.badwaterultra.de - Schuhe, Laufbekleidung und Ausrüstung beziehe ich von: www.wat-laeuft.de

Über den Versuch, sich selbst zu übertreffen...

Ein Stadtmarathon, der vor einer Kulisse von fast einer Million Zuschauer ausgetragen wird, das ist immer wieder etwas Besonderes. Auch wenn ich mich grundsätzlich bei den mit viel Liebe vorbereiteten kleineren Landschaftsläufen um einiges wohler fühle. Aber gerade dieser Marathon, der Karstadt Ruhr-Marathon ruft im mir ganz besondere Erinnerungen wach. Nachdem meine Teilnahme an der Debüt-Veranstaltung im Jahr 2003 durch einen hochmotivierten und überaus pflichtbewussten Internisten vereitelt wurde, durfte ich im darauffolgenden Jahr endlich meinen ersten Marathon laufen. Die normalerweise obligatorischen Vorbereitungswettkämpfe über die “Sprintdistanz” - zehn Kilometer und Halbmarathon - habe ich unvernünftiger Weise ausgelassen und mich direkt in das Abenteuer Marathon gestürzt. Zu dieser zurückliegenden Veranstaltung sei nur soviel gesagt, ich wurde direkt nach dem Lauf von einem mehrtägigen Runner´s High ergriffen. Ein Gefühl, welches ich danach in der Intensität nicht mehr erlebt habe. Ich muss eingestehen, im Nachhinein war die Vernunftentscheidung, noch ein Jahr zu warten, die goldrichtige gewesen. Eine zielgerichtete Vorbereitung kann den ersten Marathon zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lassen. So hatte ich doch eigentlich meine Lektion gelernt, so sollte man meinen, aber gleich im Anschluss ist mir ein folgenschweren Fehler unterlaufen. Aus diesem Hochgefühl heraus, ich kann Bäume ausreißen, hatte ich mir die Messlatte für den ersten Ultramarathon, den ich bestreiten wollte, mit einhundert Kilometern eindeutig zu hoch aufgelegt. Ich lernte nun die Kehrseite der Medaille auf eine sehr schmerzhafte Art und Weise kennen. Danach wusste ich nur zu gut, was genau mit der Ultralaufweisheit gemeint war, nicht die Strecke tötet, sondern die Geschwindigkeit. Der Erfahrungsschatz setzt sich bekanntlich sowohl aus Erfolgserlebnissen, als auch aus Negativerlebnissen zusammen. Mit dieser Betrachtungsweise lässt sich auch einem DNF - did not finished - noch etwas positives abgewinnen. Erfahrung ist bekanntermaßen durch nichts zu ersetzten, außer durch noch mehr Erfahrung.

Nun aber wollen wir das Augenmerk wieder auf den 4. Karstadt Marathon im Mai 2007 richten. Die Bestätigung des Veranstalters - auf Neudeutsch auch Confirmation genannt - flatterte in meinen Briefkasten, als ich die langwierige Vorbereitungsphase so gut wie abgeschlossen hatte. Die Strategie bestand darin, einen Plan A und darüber hinaus einen Plan B griffbereit zu haben. Ich arbeite gerne mit einem Konzept in der Tasche. Es sei an dieser Stelle angemerkt, es gab da auch noch einen Plan C. Bei allem Ehrgeiz sollte man jedoch nicht vergessen, seine eigene Erwartungshaltung der Realität anzupassen, um sich damit eine Enttäuschung höheren Grades zu ersparen. Meine Zielsetzung hatte ich im Plan A manifestiert, dieser sah vor, eine bestimmte Zielzeit zu erreichen. Diese sollte erstmals unterhalb der magischen Drei-Stunden-Grenze angesiedelt sein. Ausgehend von diesem Ziel hatte ich mir im Internet einen entsprechenden Trainingsplan runtergeladen und ausgedruckt. Dabei ist es dann letztendlich auch geblieben. Eine Umsetzung konnte ich aufgrund einer Sehnenreizung nicht konsequent fortführen. Es mangelte von Anfang an am erforderlichen Tempotraining. Wenn die vielen langen Vorbereitungsläufe mit einem Hauptgericht gleichzusetzen sind, dann ist das Tempotraining das passende Gewürz, um sich den Hauptgang schmackhaft zu gestalten. Fehlt dem Hauptgericht diese eine Kleinigkeit, nämlich die Gewürze zum Abschmecken, dann helfen einem auch die besten Zutaten nicht weiter. Aus diesem Grund musste ich die Umsetzung von Plan A mit einem großen Fragezeichen versehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ich es nicht probieren würde. Sollte allerdings mein intuitives Frühwarnsystem auslösen, dann käme sofort Plan B zum Einsatz. Der Plan B war daraus ausgerichtet “nur” eine neue persönliche Bestzeit zu erzielen. Dieses Ziel ist somit auch Bestandteil von Plan A, allerdings mit einer anderen Qualität - soweit die Theorie.

Der Wecker war auf fünf Uhr eingestellt. Er kam seiner Verpflichtung unerbittlich nach und gab zu der besagten Uhrzeit einen erwartungsgemäß unangenehmen Ton von sich. Ich nahm dieses Geräusch sofort und ungefiltert wahr, da ich bereits wach auf dem Bett lag. Ein leichter Krampf in der linken Wade machte dem Schlaf kurz zuvor ein jähes Ende. Na ja, der Tag beginnt ja “richtig traumhaft” so dachte ich. Also raus aus den Federn, der Morgen ist jung. Ich pflegte das zu tun, was ich jeden Morgen zu tun pflegte. Ich setzte eine große Kanne Kaffee an und folgte meinem Motto: „Erst mal eine Tasse Kaffe, danach sieht die Welt wieder anders aus.“ Der Rest war Routine. Ich folgte dem zuvor festgelegten Ablauf, ohne davon nur im Geringsten abzuweichen. Bis ich schließlich abmarschbereit, vor Nervosität auf der Stelle trippelnd, auf meinen Fahrer wartete.

Für den Fahrdienst zum Startbereich nach Dortmund hatte ich Jens Vieler “verpflichtet”, seines Zeichens Marathon des Sables-Finisher, Deutschlandläufer und 6-Tageläufer in spe. Man könnte auch sagen, er hat sich freundlicherweise angeboten. Eine nette Geste, die ich gerne angenommen habe. Ich wollte Jens eigentlich am darauffolgenden Wochenende bei seinem Eigeninitiativ-Ultralauf „TorTour de Ruhr“ auf dem Rad und im weiteren Verlauf per pedes begleiten. Dieses Vorhaben ist aber verletzungsbedingt um zwei Wochen in den Juni hinein verschoben worden. Ich muss gestehen, dass mir diese Terminverschiebung nicht ungelegen kam, so verlängert sich die Regenerationszeit nach dem Marathon für mich um diese zwei, beziehungsweise gefühlte vier Wochen. Gesprächsstoff gab es somit auf der gut dreißig Minuten dauernden Anfahrt zu genüge.

Ich bin sehr gespannt, wie sich das Projekt „TorTour de Ruhr“ entwickeln wird. Diese zweihundertdreißig Kilometer wollen erstmal gelaufen werden, und das schließlich nonstop. Wenn alles planmäßig verläuft, dann wird Jens den Lauf eventuell im nächsten Jahr als Organisator auch für andere Ultralaufverrückte anbieten. Ich könnte mir zumindest vorstellen, dann als Läufer dabei zu sein. Die Liste der Interessenten ist beachtlich. Ich befürchte, das Potential an Läufern, die sich diese Distanz zutrauen, ist vorhanden. Es gibt bereits konkrete Anfragen von Läufern für das Jahr 2008, die gerne die komplette Bandbreite ihrer Leidensfähigkeit auskosten möchten. Neugierige können sich auf der eigens für dieses Lauf-Event erstellten Webseite informieren - www.tortourderuhr.de. Vielleicht hat dieser Lauf ja sogar das Zeug, zu einem Ultraklassiker zu avancieren.

Mit einem Navigationssystem ist heutzutage alles ganz einfach geworden. So konnte Jens mich circa zweihundert Meter entfernt vom Startbereich stressfrei absetzen, ohne sich in einem patentgefalteten Stadtplan zu verheddern. Man darf die Anreise zu solch einem Großereignis und die damit verbundene Belastung nicht unterschätzen. Es ist ein Riesenvorteil, wenn man sich als Läufer ausschließlich auf den bevorstehenden Wettkampf konzentrieren kann. Der Lauf beginnt eigentlich schon vor dem offiziellen Startschuss, das sollte man nicht vergessen. Der Stress schleicht sich nahezu unbemerkt an.

So kurz vor dem Start gibt es da noch einige mehr oder weniger große Probleme zu lösen. Eines davon ist, das richtige Timing zwischen Flüssigkeitsaufnahme und deren Abgabe zu finden, wohlgemerkt unter Berücksichtigung des Countdown-Timers und der immer länger werdenden Schlangen vor den schnuckeligen Dixischeißhäuschen. Wobei man den diametralen Zusammenhang von verbleibender Zeit in Minuten bis zum Start und der Länge der Schlange in Metern vor den Pinkelbuden rechtzeitig erkennen sollte.

Es war so weit, die Trennung zwischen den verschiedenen Startblöcken wurde aufgehoben. Instinktiv rückt das Feld nach vorne auf. Die Läufermasse kennt nur noch eine Richtung. Wie von einer unsichtbaren Kraft beeinflusst, zieht es sie alle zur Startlinie. Dicht gedrängt steht man da, den Atem von seinen Hintermann kann man im Nacken spüren. Countdown, Startschuss, los! Die Masse setzt sich in Bewegung und die Straße wird von der Läuferschar geflutet - ein imposantes Bild für den Betrachter.

Bereits nach den ersten zwei zurückgelegten Kilometern merkte ich, dass sich die Flüssigkeitsaufnahme und deren Abgabe nicht im Gleichgewicht befanden. Ich musste pinkeln! Da hilft alles nichts. Raus aus dem Feld und laufen lassen. Besser jetzt, wo noch so etwas wie ein Gebüsch in der Nähe war. Ein paar Meter von mir entfernt zogen die Massen an mir vorbei. Mit dem Rücken zu Geschehen versuchte ich mich schnellstmöglich von diesem aufgestauten Ballast zu befreien. Es bot sich mir eine interessante Geräuschkulisse. So, oder so ähnlich muss es wohl beim Stiertreiben im Pamplona zugehen. Ich wollte erst gar keine Überlegungen darüber anstellen, wie viele Plätze mich diese Pinkelpause gekostet hat. Wieder langsam eingliedern und weiter geht´s. Der Kopf war nun frei, um sich voll und ganz dem Rhythmus des Laufens hinzugeben.

Das ist der Rhythmus, bei dem man mit muss. Immer wieder konnte ich beobachten, wie Läufer, die ich zuvor schon überholt hatte, beflügelt durch die heißen Sambarhythmen und die Gänsehautatmosphäre, quasi an mir vorbei flogen. In den meisten Fällen ein Vergnügen von recht kurzer Dauer. Es ist eine Gratwanderung auf den Wogen der Begeisterung, angespornt durch diese aufgeheizte Atmosphäre, das maximale Leistungsvermögen abzurufen. Sehr leicht lässt sich hier der Bogen überspannen. Die leicht bekleideten brasilianischen Damen haben die Herzfrequenz so mancher Läufer zusätzlich in die Höhe getrieben und diese damit endgültig in den anaeroben Belastungsbereich abdriften lassen. Dieser Effekt wurde natürlich von den Routiniers auf der Strecke kaltblütig ausgenutzt. Es scheint mir in diesem Fall gelungen zu sein, dem Gruppenzwang zu widerstehen, obwohl ich mich zu diesem Zeitpunkt auf keinen Fall als Routinier bezeichnen möchte. Ich habe mich konsequent auf meine innere Stimme verlassen und im Zweifelsfall ein Blick auf die Uhr riskiert. Allerdings nach der Halbmarathondistanz stand für mich bereits fest, von Plan A konnte ich mich so langsam aber sicher verabschieden. Wenn man mit so einer Zielsetzung an den Start geht, dann muss für eine erfolgreiche Umsetzung jedes Detail stimmen. Ich konzentrierte mich von nun an auf Plan B - zur Erinnerung: neu persönliche Bestzeit unter drei Stunden.

Du hast die Haare schön, du hast die Haare schön. Mit diesem Gesang hat mich eine größere Zuschauergruppe in Gelsenkirchen empfangen. Dieser Refrain stammt von einer weniger begnadeten DSDS-Kandidatin aus Wuppertal, soweit ich mich erinnere. Ich kontrollierte bei der nächsten Gelegenheit sofort meine Haarpracht mit Hilfe meines Spiegelbildes in einer Schaufensterscheibe. Manchmal sieht meine Frisur, “verschönert” von einem klebrigen Gemisch aus Schweiß, Salz und diversen Erfrischungsgetränken, wie selbstgemacht aus. Der Fahrtwind tut sein übriges dazu, um mich so richtig durchzustylen. Doch in diesem Fall stellte ich fest, das sieht doch alles halb so schlimm aus. Ich weiß gar nicht was die haben.

Die volle Konzentration sollte jetzt aber wieder auf die Strecke und auf die vermeintlichen Signale meines Körpers gerichtet sein, anstatt sich über das optische Erscheinungsbild weiter Gedanken zu machen. Mein Oberschenkel ist quasi meine Achillesverse, mein neuralgischer Punkt. In der Vergangenheit hatten mir meine Oberschenkel schon des öfteren Probleme bereitet. Ich hatte da eine beängstigende Vision vor Augen. Ich befand mich bereits auf dem „Flamme rouge“, als meine Oberschenkelmuskulatur von Krämpfen heimgesucht wurde und mich auf den letzten Metern zum Walken zwang. Nur zu gut waren die nicht verblassten Erinnerungen in meinem Kopf aufgehoben, aber diesmal ging alles gut. Geschafft! Die Distanz von 42,195 Kilometern wurde von mir bezwungen und am Ende kam sogar eine neue persönliche Bestzeit dabei heraus. Was will man mehr?

Mein Kompliment an dieser Stelle gilt dem fantastischen Publikum an der Strecke, das einem Hobbysportler wie mir ein Gefühl vermitteln konnte, wie es sonst nur die Profis erleben dürfen. Die absolute Krönung wäre gewesen, wenn sich der Marathonlauf nahtlos in die Meisterfeier der Schalkefans hätte integrieren können. Leider wurde diese Möglichkeit von dem Rivalen aus Dortmund am vorletzten Spieltag zunichte gemacht. Der Pott kocht - eine Region in Bewegung. Es herrscht eine ganz besondere Atmosphäre hier im Ruhrgebiet. Ich lebe und laufe gerne hier, hier im Revier.

Ist das Ziel schlussendlich erreicht, stellt man sich kurz darauf die Frage, ist nicht der Weg bereits das Ziel gewesen und ist nicht das Ende eines jeden Weges bereits der Anfang eines neuen Weges?


© Peter Haarmann, 22.05.2007

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