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Roland Rothfuß zum Biel 2002 (04.07.2007) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
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Roland Rothfuß , 04.07.2007

BIEL- my love- vom Lauf-SAULUS zum Running-PAULUS

Freitag, 22 Uhr, Biel-Bözingen im Jahr 2006, Eisstadion: Noch 3 Minuten bis zum Start, ich bin freudig-angespannt-nervös...Aber ich weiß, ich habe trainingsmäßig alles getan- ein gutes Gefühl! Keine Angst, liebe Leserin oder Leser, jetzt folgt nicht die übliche Streckenbeschreibung, die Du schon kennst, siehe Steppenhahn Biel 2002 und 2004... Ich erzähle Dir, auf welchen Umwegen und w i e ich hierher kam.

Rückblende: Als 13- jähriger Gymnasiast wurde ich mit meinen Mitschülern morgens aus einer alten Turnhalle in die Morgenkälte gescheucht, full speed war zu laufen und ohne Aufwärmen gleich den Berg hoch- hechel, hechel...Ich als Morgenmuffel und Endurance-Typ fand das zum Knochen-kotzen. Nach 10 Minuten hatten wir unsere Waldrunde gelaufen, und ich spürte wohlig die frische Luft in meinen Lungen, war jetzt gerade warmgelaufen: Da war`s schon aus, ich im letzten Drittel- und wir bekamen dann zu hören, wir seien ja ziemliche Flaschen. Das knurrte unser Lehrer, der mit Stock bewaffnet auf uns gewartet hatte, also ein echtes Vorbild...

Mittlerweile laufen wir durch die hell erleuchteten Bieler Straßen, Stadt-Marathon-Feeling, dichte Zuschauer-Reihen- und viel Beifall, Tröten wie im Fasching, Kinder wollen abgeklatscht werden...

Nicht besser war ich beim 50-m Lauf, den hasste ich noch mehr. Turnen konnte ich eh nicht, und so kam ich über Note 3 im Sport nie hinaus. Wen wundert`s, daß ich Laufen abgrundtief verachtete !? Da gab es plötzlich eine neue Sportart, Judo, bald hatte ich den grünen Gürtel.

Aus Frankreich kam dann die Kunde einer unheimlich interessanten Kampfkunst: KARATE. Ich durfte in den Sommerferien einen Lehrgang auswärts besuchen mit dem damals einzigen deutschen KARATE-Meister Jürgen Seydel, der damals in Bad Homburg Elvis Presley unterrichtet hatte, der in Germany seinen Militärdienst ableistete. Das war 1964, und ich machte rasche Fortschritte.

Wir sind immer noch in Biel, jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen, es kommt die erste langgezogene saftige Steigung, Richtung Ortsrand. Ich überhole Leute mit Rucksack, die dann plötzlich zu marschieren anfangen, sind viel zu schnell angegangen...Ich laufe locker bergan, erhalte freundlichen Beifall.

Als ich 19 war, machte ich eine schöpferische Sportpause- das war die 68-iger Zeit: Diskussionen nächtelang, Vietnam-Krieg, Alkohol, Rauchen- und sich dazwischen beruflich etablieren. Prompt hatte ich mit 30 meine vorgezogene midlife-Form-crisis, stand sozusagen " gut im Futter "- also hörte ich zunächst mit dem Rauchen auf- Leute, das war pickelhart !!!

Natürlich legte ich an Gewicht damit noch zu, denn essen war schon immer eine meiner
Lieblingsbeschäftigungen.
Als nächstes reduzierte ich durch die Atkins-Diät ( ungesund, aber effektiv ) mein Gewicht um 16 Kilo in 2 Monaten und fing mit Tennis an. Die Winter waren damals bei uns zuhause auf der Alb sehr schneereich, mich zog`s in die Natur- Langlaufen machte mir sehr viel Freude, es folgten erste Wettkämpfe. Mittlerweile ging es mir immer besser- und ich begann wieder mit Karate, wo ich es bis zum Braunen Gürtel und Jugendtrainer brachte- der ersehnte Schwarzgurt war greifbar nahe !

Da erkannte ich plötzlich, daß ich hier nicht mehr viel weiterkommen würde, zumindest nicht über einen gewissen Level hinaus. Ich würde nie das Niveau der Japaner erreichen, außerdem hatte sich Karate von einer Verteidigungskunst zum reinen Sportkarate entwickelt, mit Liga-Kämpfen und Mannschaftsinteresse- und das Spirituelle war auf der Strecke geblieben. Da traf ich meine große Liebe...

Ich suchte für den Sommer nach einem Ersatz für`s Langlaufen, und das in der Natur. Damals hörte ich zum ersten Mal das blöde Wort " Jogging "- aber Laufen ohne Zeitdruck, locker, einfach so- das gefiel mir. Eines Sonntag-Morgens schlich ich mich sehr früh aus dem Haus, angezogen mit einem alten Pulli, meiner Karate-Hose und alten Lederstraßenschuhen...

Ich lief vom Haus weg den Waldweg hoch- und wieder zurück. Laufen fand ich damals einen Sport für Weicheier, deswegen die Premiere in aller Frühe. Und als ich wieder zurück war, fühlte ich mich supergut, nicht überanstrengt und glücklich. Kurz, das war Liebe auf den ersten Blick- kein Vergleich zum erzwungenen Schülersprinten !

Ja, in der Schweiz bist Du wer als Endurance-Typ, egal ob Runner oder Velo-Fahrer:
Die Straße hebt sich hell gegen die Dunkelheit ab, gleich kommt " mein Aarberg, " jedes Jahr bekomme ich hier eine " Hühnerhaut, " wie die Eidgenossen so nett sagen. Hell erleuchtet sehe ich schon die typisch-schweizerische Holzbrücke mit Dach, die Bewohner stehen schon vor der Brücke und erst drinnen Spalier: Sie lassen uns Läufern eine Gasse von etwa 80 Zentimeter, Beifall und Anfeuerungen lassen den Adrenalinspiegel hochpfeifen. Ein Genuß- dann bin ich draußen auf dem schmucken Marktplatz, ebenso dicht stehen die Leute, nur eine
Gasse- unglaublich ! Nach etwa 80 Meter geht es in`s Dunkel eines Haus-Durchgangs- hier aufpassen, Sturzgefahr, es geht plötzlich eng in den dunklen Durchgang und gleichzeitig scharf bergab !

Rückblende: Nun war ich also ein " Jogger " geworden; direkt an unserem Haus vorbei schlängelte sich ein netter Waldweg, nach 1 Km fing der Wald an- also ideales Trainingsgelände. Bald wurden meine Kreise, die ich zog, immer größer. Gerne versuchte ich mich auch an Bergen, alles in einem Wohlfühl-Tempo. Von Dr. van Aaken wußte ich noch nichts, mein damaliges Motto war selbst erfunden: " DO IT, " später las ich dann Nike`s Spruch " Just do it..." Doch dieses Grundlagen-Training über 5,5 Jahre hinweg war die Basis meiner heutigen Leistungen und Fitness...

Ich laufe in angenehmen Tempo durch die Bieler Vollmondnacht, es ist diesmal trocken und ideal kühl. Um mich `rum laufen Gleichgesinnte und etwa Gleichschnelle- links heben sich die Bergzüge des Schweizer Jura scharf gegen den Himmel ab, wir laufen auf guter, verkehrsfreier Straße, sind kurz vor Oberramsern. Einige werden von Velo-Fahrern gecoacht, leise summen die Dynamos. Man hört ab und zu ein Geräusch von Tieren, sonst nur den eigenen Atem und das Trappeln von vielen Füßen. Hier sind die Gespräche schon verstummt, es geht ja auch auf Kilometer 38 zu... Ich fühle plötzlich eine heiße Dankbarkeit in mir aufsteigen, daß ich hier sein darf, fit und austrainiert und durch diese wundervolle Nacht laufen kann- DANKE !!!
Ich werde euphorisch durch die Endorphin-Ausschüttung meines Körpers- das sind körpereigene Opiate, die Schmerzen lindern und kurzfristig " high " machen.

Doch zurück zu meiner großen Liebe: Ich kaufte mir zunächst ein paar Turnschuhe, richtige Laufschuhe waren in der Provinz damals kaum zu kaufen. Ich lief immer öfter, machte Fortschritte, die Strecken wurden länger, bergauf machte mir viel Spaß. Dann eröffnete bei uns ein Lauf-Shop, SPIRIDON gab es und die ersten NIKE-Schuhe. Ich debütierte beim ersten Volkslauf, gleich über 20 Kilometer- es gab nur gesüßten Tee, und die Papp-Nummernschilder lösten sich nach dem Einlaufen langsam auf...Aber jetzt hatte ich Blut geleckt !!!

So lief ich 5 Jahre begeistert vor mich hin, mit Karate hatte ich Ende 1983 aufgehört, um mich nur noch dem Laufen widmen zu können. Da las ich dann zufällig über den Mythos " Marathon " und allerspätestens jetzt hielt ich Laufen nicht mehr für einen Sport von Softies: Der Erfinder war schließlich dabei tot zusammengebrochen, so die Sage...Allerdings hatte er sich vorher mit den Persern bei Marathon eine heiße Schlacht geliefert, und wahrscheinlich war er einfach dehydriert und hatte kein Iso dabei...Doch der Kerl imponierte mir sehr !!!

Nach der Lektüre von M. Steffny`s Longseller " Marathon-Training " trainierte ich zielgerichtet, gab auch Tennis auf ( um meine Kniee zu schonen ) und startete im März 1984 meinen Marathon-Versuch: 40 Kilometer hatte ich eine Straßenstrecke abgemessen, ich machte so ziemlich alles falsch und erreichte platt unsere Wohnung und die Badewanne- nie wieder, schwor ich mir. Dies hielt ich 3 Tage durch...

Im September lief ich dann meinen Erstling in Kressbronn am Bodensee- morgens spürte ich noch meine leicht gereizte Achilles-Sehne, die mir in der Vorbereitung zu schaffen gemacht hatte...Nach dem Lauf in 3:12: h waren die Schmerzen weg- bis heute ! Ich staunte, wie leicht mir die Sache vorgekommen war- das lag am Trinken alle 5 Km. Im Training trinke ich
unterwegs nie bis 2,5 Stunden Laufzeit- das habe ich bis heute beibehalten...

Wochen später sehe ich im Fernsehen mit ungläubig-wachsender Begeisterung einen Film über " Übermenschen: " Die laufen 100 Kilometer um eine Stadt namens Biel, bei Nacht dazu und Regen...Ich bin hin und weg, ja gibt`s denn sowas !? Bin vor Ehrfurcht platt...

Im Jahr darauf hatte ich für Biel gemeldet. Da las ich von einem 100 Km-Lauf in Rodenbach bei Frankfurt: " Ebene, schattige Waldrunde..." Kurz entschlossen meldete ich auch hier- und schaffte meinen ersten Hunderter nahezu problemlos in 9:07:58 h Mitte April.
Bei meinem Debüt gut einen Monat später in Biel 1985 regnete es fast durchgängig, und ich hatte in Kirchberg Magenprobleme. Schlammverschmiert aber als Ultra geboren, lief ich in 10:12 h durch`s Ziel. Überglücklich war ich, jawohl !!!

Mittlerweile bin ich kurz vor Kirchberg, erreiche die Hochfläche nach dem Berganlauf im dunklen Wald, links steht immer noch die hohe Pappel, " bist mein zuverlässiger Freund, laß`es Dir weiterhin gutgehen. " Ich denke, sie versteht mich...Ich bin gut drauf, noch nicht müde, etwas verspannt von dem relativ hohen Tempo. Auf dem Ho-Tschi-Minh-Pfad werde ich mich demnächst etwas " erholen, " denn da läuft man langsamer und hochkonzentriert. Für mich ist es hier noch immer dunkel, der Morgen beginnt zu dämmern, auch wenn ich nun schon 60 Jahre alt bin. Durch die Konzentration vergesse ich meine Muskelverspannungen- und nachher sind sie weg...

Auf meine Ernährung achte ich seit Beginn des Lauftrainings, habe damals auf vollwertige, gesunde Ernährung umgestellt, ab 1984 überwiegend, ab 1993 ausschließlich auf vegetarische Kost- auch aus ethischen Gründen. Ich liebe alle Tiere, möchte nicht, daß sie wegen mir sterben müssen. Leiden müssen sie immer noch immens, ich sage nur Tierversuche und " moderne Massentierhaltung"- eine Kulturschande !!!

Zum 13. Mal nehme ich nun diesen Waldpfad unter meine Füße, zwar rauscht die Emme wie immer, doch der Pfad hat sich in den Jahren wie ich verändert. Heute entdecke ich, daß am Schluß ein Stück verbreitert und plattgewalzt ist, fein gekiest. Zerstört doch nicht diesen urigen Pfad !!!

Nach meinem ersten Bieler Lauf strotzte ich vor Selbstbewußtsein, es folgten der erste 12-h-Lauf, zwei 100-Meilen-Läufe mit einem 3. Platz und einem Sieg in der Gesamtwertung in Augsburg und mein erster Swiss-Alpine-Marathon Davos, damals noch über 67 Km. Dann der Karwendel-Lauf ( sehr ruppig...) in Mittenwald, Euerbach 60 Km, der gute Nidda-Lauf über 80 km und als Krönung zwei 24-h-Läufe, einer bei Kälte, der zweite bei 30 Grad auf schattenloser Strecke in Fellbach bei Stuttgart.

Immer wieder zieht es mich nach Biel, die Atmosphäre ist nur durch Davos zu toppen oder zu vergleichen. Außerdem liegt mir die Strecke einfach, so mancher 80-Km-Lauf hat mir schon mehr zu schaffen gemacht; selbst die Streckenänderung seit 2004 laufe ich genauso
" leicht, " vielleicht einfach weil ich diesen Lauf liebe.

Auf Asphalt laufe ich im frisch erwachten Morgen dem Ziel entgegen, ab Gerlafingen gebe ich richtig Gas und überhole ziemlich viele Kollegen. Ich bin wie aufgedreht. Die Vögel zwitschern munter, einige Kühe schauen verdutzt auf unser Treiben und manchen abgeschlafften Mitstreiter. Bibern, Berg hoch- ich laufe locker hoch, fast alle gehen- und wieder runter nach Arch- dort steht an der neuen Bäckerei meine Frau und freut sich, daß ich gut in der Zeit auftauche. Glücksgefühle treiben mir kurz die Tränen in die Augen. Mir kommt halt " das Augenwasser, " wie die Schweizer sagen. " Tschüs, bis im Ziel "- und weiter...

Neben dem Nidda-Büren-Kanal geht es auf romantischem Feldweg weiter. Jetzt trifft er mich- der Hammer- habe überrissen- wie kann man so blöd sein als Routinier? 10 Km lang wird es hart, ich laufe, aber langsam, besser gesagt, ich eiere, dann macht es wieder Spaß...Kilometer 90 sieht mich wieder lächeln und flotten Schritts- doch meine 9:56 h des Vorjahres sind futsch- egal...

Pieterlen, Verpflegungsstelle an der Tonfabrik, Bahnhof, Waldweg, Km 95, 96, dann sehe ich ES, das Kilometerschild 99, ich laufe wie auf Wolken, 10:27:51 h und Platz 2 in M60. Für mich ist ein Traum wahr geworden, ich stehe in meinem geliebten Biel auf dem Treppchen, zusammen mit dem Sieger, einem superschnellen Schweizer und dem Dritten, einem Leipziger.

Und ratet mal, wo ich irgendwann mal wieder starten werde: Klar, ich muß mal wieder nach Biel !!! Und so wie die große Schleife um Biel schloß sich auch für mich der Kreis, ich war vom Saulus ( der Laufen nicht ausstehen konnte ) zum Running-Paulus geworden, hatte mich in punkto Running um 180 Grad gedreht.

Was das Leben an Merkwürdigkeiten parat hat...Einfach toll !!! Und vorbestimmt- glaube ich...

© Roland Rothfuß, 04.07.2007

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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