Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Mattin Becker zum Internationaler TNT-6-Tage-Bahnlauf von Erkrath (29.10.2007) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
Alle zeigen - Bericht von Mattin Becker zum Internationaler TNT-6-Tage-Bahnlauf von Erkrath:
Mattin Becker , 29.10.2007

6-Tage neben der Spur

Aus Vor-Sicht
Der 6-Tage-Lauf hat schon eine sehr lange Tradition. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es Wettkämpfe mit herausragenden Leistungen über diese Distanz. So liefen im Mai 1880 Amy Howard 658,451 km sowie Sara Tobias 644,197 km. Bei den Männern war es im Februar 1888 James Albert Cathcard mit 1000,613 km und George Littlewood mit 1003,832 km im Dezember 1888. Diese Leistung sollte erst im Juli 1984 durch Yiannis Kouros überboten werden.

In den 80er Jahren des 20.Jahrhunderts noch mal eine Belebung der Veranstaltungen gegeben hat, neben New York und Colac welche bis heute überlebten, gab es noch Läufe in Gateshead und Nottingham (GB) sowie La Rochelle (F) und Odessa (UKR). Dann war es wieder viele Jahre ruhig geworden. Im Jahre 2004 stellten Conny und Siggi Bullig mit Hilfe des örtlichen Sportvereins SC Unterbach einen 6-Tage-Lauf auf die Beine, welcher durch die deutsche Gründlichkeit, den englischen Charme, die italienische Leidenschaft, und die französische Hingabe bestach. Nach 2005 gab es nun vom 29.07. bis zum 04.08.2007 die dritte Auflage dieses unvergleichlichen Laufevents.

Aus Meteorologen-Sicht
Litten die Leistungen im ersten Jahr unter der andauernden Hitze, glich die Laufbahn im Jahre 2005 eher der eines Schwimmbades.

In diesem Jahre konnten alle Beteiligten eher vom Glück reden, obwohl es noch bis kurz vorm Start heftig regnete. Die ersten Stunden war die Aschenbahn recht rutschig gewesen, doch im Laufe des Abends wurden alle Pfützen leer getreten. In der Folge gab es täglich mal noch einen kurzen Schauer, nachts war es schon mal „Maikühl“, aber insgesamt wurden die Bedingungen zum Ende des Rennens dann doch immer besser.

Aus Helfer-Sicht
Die „Stammmannschaft“ war nun im 3. Jahr schon gut eingespielt. Ob Paul u. Patrick Gerbers die mit Irene und Daniela Schulte sich für die Küche und ein ausgezeichnetes Essen zuständig zeichneten, ob Stephan (Steppenhahn) mit Oskar, Jorret und Birke welche die IT-Versorgung sicher stellten, ob Inge und Ingo Schulze welche für Frühstück und logistische Versorgung verantwortlich waren, ob Familie Droste und alle fleißigen Helfer des SCU welche sich für die Gesamtorganisation einsetzten, sowie Annika Schröder, Michael Larsen und meine Wenigkeit welche schon das 3. Jahr den Verpflegungsstand bestückten, sich für die Motivation der Läufer zuständig zeichneten, sowie auch die anderen Helfer welche spontan eingesprungen waren und einfach immer dort aushalfen, wo gerade Not am Mann war.

Aus IT-Sicht
Dieser Lauf erlebte eine bislang in dieser Breite noch nicht da gewesene Internet-Präsentation. Von Anfang an wurden die Zwischenergebnisse stündlich, auch des Nachts, online gestellt. Daraus waren auch die mehr oder weniger erfolgreichen Leistungskurven zu erkennen. Jürgen Spitzer war täglich auf der Anlage um kleine Video-Sequenzen zu erstellen, welche jedem Internet-Nutzer einen „laufenden“ Einblick in das Geschehen vor Ort ermöglichte. Gabi „Werwolf“ stellte täglich etliche Bilder des Geschehens online. Somit konnten alle vom Nord- bis zum Südpol jederzeit „live“ dabei sein. Die Zugriffszahlen auf die Seite verdoppelten sich vom ersten Tag an.

Aus Läufer-Sicht
Am 29.07. um 15:00h standen 36 Männer und 5 Frauen aus 12 Ländern am Start. Darunter viele Mehrfachtäter, aber auch einige welche sich dieses Abenteuer erstmals vorgenommen haben. Für einen jeden sollte es eine „Reise ins Ich“ (Jens) werden. „Ungewöhnlich war, dass trotz aller Widrigkeiten stets viel gelacht und gescherzt wurde. Eine absolut positive Lebenseinstellung scheint eine wichtige Eigenschaft eines Ultraläufers zu sein.“ (Christian)

Die ersten Stunden gingen die Läufer aufgrund des matschigen Untergrund verhalten an, erstaunlich: auch Wolfgang Schwerk mit neuer Taktik, auffällig: Björn Hytjanstorp mit seinen Tempointervallen (aufgrund seiner enormer Grundschnelligkeit – „5km in 17:00min“).

Die Temperaturen waren angenehm, so dass viele Läufer in den ersten 24h fast über sich hinaus wuchsen. Doch bemerkenswerter weise bekamen etliche bereits am 2. Tag ihr Tief, waren es bei manchen die Blasen, welche sich durch die nassen Füße der ersten Stunden ergaben, oder bei anderen der schon einsetzende Shin-Splint. Gerade die „Rookies“ hatten darunter zu leiden, bangten darum überhaupt in der Wertung zu bleiben, und so wurde die Anforderung von „mindestens einen Marathon in 24h“ für manchen zu einem fast unerreichbaren Ziel. So sind alle im Laufe der 6 Tage über Berg und Tal gegangen. Drei Läufer haben das Ziel auf dem nächsten Berg nicht erreicht, zwei Läufer sind mit mentalen Problemen ausgeschieden.

Viele liefen am 3. Tag mehr als am zweiten. Das Bergfest gab noch mal einen Motivationsschub, so dass der 4. Tag schnell verging. Jetzt waren es nur noch 48 Stunden und wenig später wurde der letzte 24er eingeläutet. Hinter der Spitze kämpfte Hans-Jürgen Schlotter mittlerweile auch mit Schienenbein-Beschwerden um seinen 2. Platz, kam aber am letzten Morgen noch rechtzeitig auf die Strecke zurück, um den Dritten, Seigi Arita mit 15km Vorsprung auf Distanz zu halten. Auch nachfolgend wurde um die Platzierungen gefightet, besonders die schwedischen Läufer Mattias Bramstrang und Andreas Falk schoben sich die letzten Stunden immer weiter nach vorne.

Bei den Damen bestach einmal mehr Martina Hausmann durch ihre Konstanz. Mit täglichen Leistungen von mehr als 100km schob sie sich mit ihrem unvergleichbaren Schritt kontinuierliche nach vorne, hatte letztendlich mehr als 50km Vorsprung auf Edit Berces (Ungarn) welche sich erstmals über eine solch lange Distanz traute. Auf dem 3. Platz landete Elke Streicher, ebenfalls erstmals über eine solche Distanz am Start. Sie fing stark an, zum Ende schonte Sie sich allerdings aufgrund des bevorstehenden „Trans Gaule“.

Eine Bereicherung für das Läuferfeld und die Zuschauer waren sicherlich die „Senioren“ auf der Strecke, Tom Scriven (Irland) 75 Jahre, 433 km, verlangte 15 Minuten vor Ende vehement „i want a Guiness“, und Dan Coffey (England) 76 Jahre, 400km. Beide waren stets gut gelaunt und zu Scherzen bereit.

Aus Helmut-Sicht
Helmut Schieke „der beste Betreuer der Welt“ hatte wieder das Coaching von Wolfgang Schwerk übernommen. Mit einer täglichen Leistung von 170km wollte dieser Yiannis Kouros den Weltrekord von 1036,800 km entreißen. Trotz verhaltenem Start gelangen ihm am ersten Tag knapp 205 km, ebenfalls Tag 2 (182 km) und Tag 3 (172 km) lagen über dem Soll und alles lief nach Plan. Wolfgang gönnte sich des Nachts oftmals nur 1-2 Stunden Schlaf, was mit der Zeit natürlich auch Helmut ziemlich „alt“ aussehen ließ. Nachmittags kam dann noch Wolfgangs Familie zur moralischen Unterstützung. Als „weltbester Betreuer“ muss man ab und zu auch mal ein dickes Fell haben, damit der Läufer auch zum erwarteten Ziel kommt. Einen leichten Einbruch hat es bei Wolfgang dann am 4. Tag gegeben, 142 km waren die Folge eines 45minütigen heftigen Regenschauers, der die Bahn wieder rutschig machte und es nicht ermöglichte über mehrere Stunden das gewohnte Tempo zu laufen. 150 und 156 km an den Tagen 5 und 6 brachten Wolfgang letztendlich noch die Super-Leistung von 1010,083 km ein, was der Entfernung von Flensburg bis Garmisch entspricht.
Diese Leistung wurde bislang nur von Yiannis Kouros übertroffen.

Aus Mediziner-und Physiker-Sicht
„Wer nur Schwielen hatte, konnte von Glück reden“ – mit Blasen hatte fast jeder zu kämpfen, wehe sie platzten und entwickelten sich nur noch zu rohem Fleisch am Fußballen. Tägliche Fußpflege war Pflicht.

Shin-Splint muss wohl ansteckend sein – der eine infizierte sich früher, der andere später, manch einer wurde schon vor Ort geheilt.

Dreimal am Tage schaute eine Ärztin vorbei, Einweisungen und ambulante Behandlungen waren allerdings nicht notwendig. Mit guten Ratschlägen, Tipps, beruhigenden und aufmunternden Worten, schaffte sie es einen Jeden wieder auf die Piste zurück zu bringen.

Uneigennützig in den Dienst der Sache stellte sich auch „Doc“ Leismann. Eigentlich hatte er sich für den Lauf viel vorgenommen, war aber jederzeit zur Stelle um das Laufen mit Shin-Splint durch seine Tapes wieder erträglich zu machen. Im Laufe der Woche sah man viele Teilnehmer mit farbenfrohen Bändern am Bein herumlaufen.
Leihenhaft ausgedrückt entsteht Shin-Splint durch Überbeanspruchung des Fuß-Heber-Muskels. Dieser schafft es mit der Zeit nicht mehr die Fußspitzen anzuheben, Fuß und Schienenbein müssen fixiert werden, so dass die Hebefunktion aus dem Knie heraus passiert. Dadurch werden Muskeln und Sehnen im Fußknick entlastet und können noch während des Laufes heilen.

In die Physikbücher der nächsten Generation wird vermutlich der „Friedemannsche Hebel“ als neue Errungenschaft eingehen. Friedemann Hecke selber von starken Schmerzen in beiden Beinen geplagt, bewies in den letzten 24h im Kampf um den 7. Platz Kreativität und fertigte aus Tape-Verband eine Art Steigbügel welchen er unterhalb des Knies befestigte, und somit die Hebelkraft des Knies direkt auf den Vorderfuß übertrug. Not macht erfinderisch. Trotz teils dubioser Pressemeldungen „das kann doch nicht gesund sein“, muss man einfach mal die Frage herumdrehen und fragen: „wie gesund muss man sein, damit man so etwas leisten kann“ – somit erklärt sich schon, dass alle Starter in bester körperlicher Verfassung waren und besondere mentale Stärke bewiesen.

Aus Nach-Sicht
Es wurden etliche Landesrekorde aufgestellt, u.a. der ungarische, schwedische, norwegische und deutsche Rekord über 6 Tage, der 6-Tage-Altersklassen-Weltrekord, sowie der 1000km-Altersklassen-Weltrekord durch Wolfgang Schwerk, ohne die unzähligen persönlichen Bestleistungen über 6-Tage und die vielen Zwischenresultate.
„Fast jedem der 6 Tage und Nächte dabei war stand am Ende das Pipi in den Augen“ – ein Lauf wo sich wieder viele Freunde gefunden haben, wo mit einander geweint, gelacht und gealbert wurde. „Ich glaub ich habe mich verschluckt“-„Wieso du bist doch noch da“ –- „Was ist der Vorname vom Reh?“ -– „Was ist das Gegenteil von Lopen?“
Die Antwort darauf gibt es hoffentlich bei der nächsten Veranstaltung.

Ein wenig wie im Affenkäfig, ein wenig neben der Spur !

Hans-Peter Burger nahm Conny und Siggi bereits in die Pflicht in dem er noch während des Laufes seine Anmeldung für das nächste Mal abgab.
Vielen Dank den Beiden sowie allen die diese Veranstaltung ermöglicht und miterlebt haben.

Mattin Becker


© Mattin Becker, 29.10.2007

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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