Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Bernd Mohr zum Lauftage 100 KM Biel-Bienne (19.06.2007) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)

Zufälliges Zitat

"Auch wenn die Zeichen gerade alle gegen dich stehn und niemand auf dich wetten will, du brauchst hier keinem irgendeinen Beweis zu bringen, es sei denn es ist für dich selbst!"

Die Toten Hosen

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Alle zeigen - Bericht von Bernd Mohr zum Lauftage 100 KM Biel-Bienne:
Bernd Mohr , 19.06.2007

Die 100 km von Biel in 20 Stunden – ein „Lauf“-Bericht

Ich bin eigentlich Läufer und kein Walker, Geher, Steher oder Sitzer. In Biel wurde ich trotzdem zu Allem davon und das erlebte ich so:

Nach dem Start nehme ich mein geplantes, ruhiges Lauftempo auf - und beginne zu Frieren. Zuvor hatte ich mich lange vorbereitet, sieben Monate nach Plan trainiert, bei Kälte, Dunkelheit und Kyrillsturm. Ich hatte den Streckenplan auswendig gelernt und Unmengen von Berichten gelesen. Ich fühlte mich gut vorbereitet und jetzt, nach wenigen Kilometern - ist mir kalt.

Mein Körper ist um diese Uhrzeit auf „Schlafen“ eingestellt und will sich nicht umstimmen lassen. Der Kreislauf kommt nicht in Schwung. Die Extremitäten werden nicht gewärmt. Der Schweiß an Kopf und Rücken fühlt sich an wie Eis.

Nach ein paar Kilometern kommt der erste Berg. Ich verfalle in taktisches Gehen, um Energie zu sparen. Dabei versuche ich, die Knie und Oberarme mit den Händen zu wärmen. Die Haut ist eiskalt. Das Frieren zehrt an meinen Kräften, aber ich muss zunächst nur bis Lyss kommen. Da wartet mein Fahrradcoach und in dem Fahrradkorb meine wärmende Regenjacke.

Ein paar Minuten später ist der Ortsausgang von Biel erreicht, es geht in die Dunkelheit und die Felder. Hier draußen ist es noch kühler, aber die Atmosphäre ist so schön, wie ich sie erwartet hatte: in Dunkelheit und Ruhe traben Hunderte von Läufern durch die Felder. Schaut man nach hinten, sieht man ein langes Band von Stirnlampen. Dazwischen sind viele Läufer ohne Lampen. Auch ich habe meine Lampe nicht eingeschaltet, um die Situation zu genießen. Nur ab und zu benutze ich sie, weil es manchmal Pfützen auf dem Weg gibt und nasse Füße kann ich wirklich nicht gebrauchen. Pfützen kündigen sich im Allgemeinen durch ein *platsch* an. Dieses Geräusch ertönt, wenn ein Läufer ein paar Meter vor einem in eine Pfütze tritt. Dann schalte ich kurz die Lampe an und laufe um das Wasser herum. Naja, vielleicht gibt sich das mit der Kälte bald?

*platsch, platsch, platsch* Ohne Vorwarnung laufe ich gleichzeitig mit zwei anderen Läufern in eine riesige, tiefe Pfütze. Diesmal war keiner vor uns, um uns zu warnen, weil sich eine große Lücke zur nächsten Gruppe aufgetan hat. Die Schuhe sind durchnässt und ich habe ein Problem mehr. Es wird Zeit, dass ich an meine Jacke komme. Weiter geht es, durch Aarberg, durch die Holzbrücke, noch 4 km.

So, endlich in Lyss und damit beim Radbegleiter und meiner warmen Jacke. Ich sage, dass fast alles nach Plan läuft, dass ich nur ein großes Problem mit der Temperatur habe. Dann nehme ich meine wärmende Jacke aus dem Fahrradkorb und bin wieder zufrieden. Weiter geht die Reise. Nach der ersten Euphorie über die Jacke merke ich, wie viel Kraft das anfängliche Frieren gekostet hat. Es geht hoch, runter, rechts, links, km 38, 42, 46. So weit lief ich noch nie. Ich habe mitten in der Nacht einen Marathon absolviert - und fühle mich auch entsprechend. Die Muskeln und jeder Schritt tun weh. Kurzes Laufen ist möglich, verbraucht aber viel Energie. Walken geht noch. Damit hatte ich mich bisher nicht groß beschäftigt, aber ich imitiere mal das, was ich so bei „ernsthaften“ Walkern gesehen habe. Also schwenke ich die Arme und schlage einen forschen Schritt an. Das geht ein paar Kilometer gut.

Dann nimmt die Geschwindigkeit ab, die Energiereserven schmelzen weiter, sind aufgebraucht, trotz Bananen, Tee mit KH, u.ä.. Ich konzentriere mich darauf, wenigstens langsam zu Gehen. Ein Läufer sieht das Drama und meint: „Wenn die Sonne aufgegangen ist und man mal 50 km geschafft hat, dann sieht das anders aus.“ Ich hoffe, er hat recht.

Das 50 km-Schild kommt. Die Sonne steht schon hoch am Himmel. Nichts sieht anders aus, zumindest nicht besser. Es hat kurz geregnet. Ich kann nur noch vor mich hintapsen. Es geht langsam voran. Ich muss manchmal Stehen bleiben. Kurze Pausen, die keine Erholung bringen. Ich mache eine längere Pause, bringt auch nichts. Kirchberg nähert sich. Dann habe ich 56 km geschafft. Mal rechnen: für die letzten 44 km hätte ich dann noch 11 Stunden. Ein Schnitt von 4 km/h. Den laufe ich jetzt genau. Allerdings geht es immer schwerer. Ich käme ins Ziel, wenn ich das Tempo halten würde. Aber wie soll ich das schaffen? Ich werde dauernd langsamer, die Schritte werden immer schwerer. Ich gehe meinen Notfallplan durch und zähle mir die Gründe auf, weshalb ich finishen will. Es nützt nichts. Bei Kirchberg muss ich raus, damit ich wenigstens eine Teilstreckenwertung erhalte und nicht ganz umsonst gekommen bin. Der nächste Ausstiegspunkt, mit Wertung, ist erst bei km 76, viel zu weit.

Kirchberg kommt. Wir stehen in Sichtweite der Verpflegungsstation. Dort soll ich dann gleich sagen, dass ich aufhöre. Ich nehme den Streckenplan aus dem Fahrradkorb und lese die Ortsnamen, die ich nicht live sehen werde. Ich stecke die Karte weg. Hole sie wieder raus und lese erneut: Emmendamm, Bibern, Büren, Pieterlen.

Ich stopfe die Karte in den Korb, sage nur: „Weiter! Es wird nicht aufgegeben!“ und renne zur Verpflegungsstation. Stopfe mir zwei Bananen rein, sage dem Coach: „Wir sehen uns hinter dem Emmendamm.“ und rase weiter. Ich laufe, als ob ich eine neue 10 km-Bestzeit schaffen will. Noch 11:08 h für 44 km. Ich überhole viele. Nach ein paar Kilometern: kurzes, schnelles Gehen. Dann wieder Laufen, und zwar richtig. Nicht dieser Ultramarathon-Schlappschritt, den ich mir extra angewöhnt hatte, sondern wie beim einem 10er oder HM.

Emmendamm geschafft, jetzt geht es aufwärts. 10 km lang, es wird immer steiler. Laufen ist wieder vorbei. Schnelles Gehen auch. Ich setze den rechten Fuß vor *aua*, ich ziehe den Körper nach *aua, aua*, ich setze den linken Fuß vor. Nach je 100 m bleibe ich stehen. 70 km habe ich. Bei km 76, in Bibern, kann man wieder mit Wertung aussteigen. Ich setze mich auf ein Geländer, torkele weiter bergauf. Kurz stehen bleiben, die Hände auf die Oberschenkel abstützen, die Augen fallen zu. Ich reiße die Augen auf. Nicht einschlafen! Noch 2 km bis Bibern. Ein Sanitätswagen kommt und der Fahrer fragt, wie es mir geht und ob er mich mitnehmen soll. Ich winke ab, er fragt immer wieder nach. Vielleicht hat er mich schon länger beobachtet? Ich bin mir aber sicher, dass ich die 2 km noch schaffe, auch wenn ich 2 Stunden brauche. Er fährt weiter. Mir war klar, dass ich mit diesem Getorkel nicht ins Ziel kommen kann und in Bibern aufhören muss. Ich bleibe ja immer öfter stehen und mache Sitzpausen. Aber auf die Teilstreckenwertung möchte ich nicht verzichten.

„Teilstreckenwertung“, den Begriff hatte ich in den letzten Wochen zum Tabuwort erklärt. Ich hatte mir nicht mal angeguckt, ob man dafür eine Urkunde bekommt. Ich weiß nur, dass man eine Medaille ausschließlich im Ziel erhält. Alles umsonst. Keine Kraft. Nach Bibern geht es steil den Berg hoch. Dann an der Aare entlang, ohne Schatten. Noch 6:49 für 23,3 km, wieder ca. 4 km/h-Schnitt. Den habe ich in den letzten Stunden nicht gehabt. Keine Medaille. Dabei bin ich nur deswegen hergekommen.

Nicht für eine Teilstreckenwertung. Keine Teilstrecke. Medaille haben. Am Ziel ankommen. Sage zum Coach: “Da ist Bibern. Befürchte, dass es danach weiter geht.“

Bibern. Weiter. Alles riskieren. Wenn ich jetzt anhalte, gibt es gar nichts. Das war die letzte Ausstiegsmöglichkeit mit Wertung. Meine Frau kommt jetzt oft an die Strecke, alle paar Kilometer, hilft mir sehr.

Ich habe den letzten großen Berg überwunden, stolpere der Aare entgegen. Wie befürchtet, kein Schatten, aber wolkenloser Himmel. Immer wieder hochrechnen: es wird knapp. Sonne, heiß, weit, Fuß nach vorne, Körper nachziehen, es wird wieder langsamer. Meine Frau steht in Büren. Ich soll meine Arme in den kalten Brunnen tauchen. Mache ich. Kühlt gut. Weiter, Sonne, Brücke, Gärtnerei, Pieterlen, ich könnte es schaffen. Weiter. Keine Energie mehr, nur noch ein paar km. Letzte Verpflegungsstation, ich nehme das volle KH-Programm. Viel Trinken. Süßigkeiten-Notration essen. Irgendwie weiter.

Kein Schatten, kein Biel. Noch 2 km. Unter der Brücke, über die Straße, Biel in Sicht. 1 km. Eisstadion, Sprecher. Ziel.

20:00:26 Stunden. Medaille.

© Bernd Mohr, 19.06.2007

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


Kommentare Kommentare zu diesem Bericht:
 
  • Kein Betreff Susanne 21-06-2007 22:17
  • Respekt Orca6 07-09-2007 09:55

Orca6 schrieb am 07-09-2007 09:55:

Respekt

Hallo Bernd,

mein "erstes Mal" wird -nicht soll- nächstes Jahr in Biel stattfinden.

Respekt vor Deiner mentalen Leistung!
Ich war in meinen Triathlons maximal etwas über 11 Stunden unterwegs und es hat mir gereicht.

Sehen wir uns nächstes Jahr in Biel?

Viele Grüße
Martin
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Viel Lärm um Nichts!
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