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Stop, leider geschlassen!

 

Roland Rothfuß zum Swiss Alpine Marathon, Davos (21.06.2007) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
Alle zeigen - Bericht von Roland Rothfuß zum Swiss Alpine Marathon, Davos:
Roland Rothfuß , 21.06.2007

Schlammschlacht und Rippenprellung

Samstag, 5 Minuten vor 8 Uhr: Ich stehe zum 8. Mal im Davoser Stadion am Start dieses Schweizer Kultlaufes. In der Nacht hat es stark geregnet, die Bäche rauschen überall. Um mich herum hektisches Treiben, Japaner fotografieren, Läufer traben umher, letzte Küßchen für die Partnerin, dann wichtige Anweisungen des Rennarztes per Ansage: Viel Trinken !!!

Bumm- das Feld setzt sich in Bewegung, halbe Stadionrunde, `raus auf die Davoser Prachtstraße, die Promenade, vorbei am Hotel Steigenberger, Tagungsort des Weltwirtschaftsforums, dichte Zuschauerreihen wie bei einem Marathon.

Neben uns fährt langsam der rote Sonderzug der Rhätischen Bahn- er bringt Angehörige bis nach Bergün; auch meine besorgte Ehefrau hat sich`reingequetscht. Der Zug ist immer proppenvoll. Später erzählt dann der Stadionsprecher von einigen Armbrüchen und Ausgestiegenen, was natürlich für die Wartenden wenig lustig ist...

Meine Nervosität ist schlagartig weg mit dem Startschuß, denn die Daten dieses Laufes sind schon respekteinflössend: Es sind 78.5 Km bei plus/ minus 2320 Meter Höhendifferenz zu laufen, höchster Streckenpunkt ist die 2632 m hohe Keschhütte bei km 53; dann kommt der 7 Km lange Panorama-Trail in ca. 2300 m Höhe bis zum Scalettapaß (2606 m). Nun geht`s nur noch bergab bis Davos.

Die Soll-Zeit beträgt 12 Stunden und ist in 5 cutt-off-Zwischenzeiten eingeteilt. Nr.1 in Filisur, Nr.2 in Bergün ( Beginn Alpin-Teil ), Nr.3 in Chants ( Beginn hochalpiner Streckenteil ), Nr.4 Keschhütte ( vor Panorama-Trail ) und Nr.5 Dürrboden ( wieder unten, nach Scaletta-Paß ).

Verspätete Läufer werden jeweils aus dem Rennen genommen, da anschließend die Streckenteile gleich durch Läufer des Orga-Teams abgesucht und geschlossen werden. Man kann pauschal sagen, daß die aktuelle Biel-Zeit etwa der zu erwartenden Davoser Zeit entspricht. Allerdings kann das Wetter buchstäblich einiges " verhageln. " Also wer Biel nicht sicher unter 12 Stunden schafft, der bekommt hier garantiert Schwierigkeiten. Die cutt-off-Zeiten werden strikt eingehalten, außerdem sind Doping-Kontrollen zu erwarten- nicht nur bei den Spitzen-Läufern- richtig, wie ich finde.

Das Gewitterrisiko scheint gebannt durch den gestrigen Temperatursturz, uff...Das Wetter ist hier schon ein gewisses Risiko, vor allem Gewitter- hinzu kommen die dünnerwerdende Luft, was man so ab 1800 Meter merkt und die sinkenden Temperaturen in dem hochalpinen Bereich zwischen Keschhütte und Scaletta-Paß.
Durch die kühlen Temperaturen trinken manche Läufer zu wenig, man schwitzt trotzdem viel heraus- und mancher ist dann dehydriert. Oben auf dem Paß haben schon einige dann vom Rennarzt eine Infusion verpaßt bekommen- denn hier wird JEDER inspiziert, ob er/ sie weiterlaufen darf !

Nach etwa 35 Minuten Genuß-Lauf mit ständigem Beifall durch die Hauptstraße von Davos sind wir am Ortsrand und beim Coop-Center geht es gleich zur Sache: Asphalt ade, Naturwege ahoi ! Rauf und wieder runter in ständigem Wechsel bis Spina, meinem Lieblingsort: Hier bauen die wenigen Bewohner jedes Jahr ein Tor zur Begrüßung der Läufer, liebevoll jedes Jahr anders geschmückt: Einmal mit bunten Luftballons, vor 2 Jahren mit grünen Girlanden, dieses Jahr mit Strohgirlanden. Von der Großmutter bis zum gerade gehfähigen Nachwuchs stehen sie alle Spalier, bewaffnet mit Kuhglocken von 10 Zentimeter bis zu etwa Ein-Meter-Größe: Ein Höllenspektakel, ich bekomme hier garantiert immer feuchte Augen !!! Auch dieses Mal bin ich wieder sehr gerührt.

Märchenwald-Wurzelweglauf, kleine Bäche müssen übersprungen werden, dann Monstein, unter mir sehe ich das Kirchlein, durch den Ort, am Silberberg runter: Mehr rutschen als laufen, leicht gefährlich, man kann auch sagen: Pervers...Man muß aufpassen, daß die Füße nicht wegrutschen und man sich hinsetzt...Außerdem ist der Trail sehr eng, man muß darauf achten, daß man nicht an Wurzeln hängenbleibt und sich den Knöchel bricht. Manchmal helfe ich mit den Händen nach, indem ich mich abstütze. Dann quere ich zum Schluß das Bahngleis, gesichert von freundlichen Ordnern: Ich bin heil unten.

Jetzt laufen wir in die Zügen-Schlucht `rein, der Wildbach tost, es geht durch drei Tunnels, Windlicht-erhellt, überhängende Felswand. Wie es aussieht, droht hier Steinschlag-Gefahr. ( " Hier nicht rasten, " ) meint ein Warnschild wohl aus gutem Grund. Einige faustgroße Brocken zeigen die Berechtigung der Warnung, also bleibe ich eng an der Wand. So zieht sich das lange hin, neben uns donnert der Wildbach. Der Weg ist aus, Treppen runter, schmaler Steg über tiefe Schlucht, ich schaue geradeaus, weil ich Höhenangst habe. Wurzelweg-hüpfen.

Dann der Bahnhof Wiesen, Verpflegung,`rauf auf`s Wiesner-Viadukt: Wir laufen außen auf einem Gittersteg, der etwas vibriert durch die vielen Läufer- ich schaue stur geradeaus, denn es geht hier höllisch runter und ich vertraue der Schweizer Ingenieurs-Kunst...

Über der Schlucht steht knatternd und höllisch lärmend ein Hubschrauber und gibt dem Ganzen ein Flair von Bedeutung...^^ Die Insassen filmen den Läuferlindwurm über den Steg.

Dann wieder Wurzelweglauf-endlos- bis Filisur.
Die Landschaft ist atemberaubend, doch man muß jede Sekunde aufpassen.
An jedem Verpflegungsstand die gleiche Prozedur: Ein Bissen Weißbrot, ein Stück Banane, ein Becher Wasser und einer mit Iso. Weil so viel atemberaubende Landschaft zu bewundern ist, merkt man die Strapazen kaum, mir geht es blendend.

In Filisur geht`s ganz runter, der tiefste Streckenpunkt- es folgt eine endlose Gerade, schließlich kommt ein schmuckes Haus, in einem Gehege meckern Ziegen mich freundlich an, ich laufe über eine kleine Brücke, dann geht`s aufwärts über einen schmalen Trail- etwas rutschig- zur Bergüner Steige. Auf dem dicken steinernen Geländer sitzt ein Mann, hat seine Beine über den Abgrund hängen und fotografiert uns- mich friert`s- Höhenangst...

Es folgt ein Stück Straße bis Bergün, ich überhole laufend gehende Kollegen, wieder Stadtlauf-Feeling, Zwischenzeiten werden registriert per Chip-Tore, ich treffe meine Frau, jetzt ist sie zunächst beruhigt: " Bis nachher im Stadion !" Nun folgt der alpine Teil.

Breite, steile Fahrstraße, dann Weg durch eine Art Steinbruch, Wildbäche rauschen, tosen urgewaltig, noch ist es angenehm warm und bewölkt, dann steigt der Weg in Serpentinen an, es geht nur noch bergauf. Ich kann einige Läufer überholen, bergauf geht´s mir nicht schlecht, das ist meine Stärke...

Dann die Ortschaft Tour-Davants, Verpflegung und Sanitäts-Posten. Durch ein malerisches Wiesentälchen laufen wir, dann kommt eine schmale, rampenähnliche Straße hoch nach Chants, dem " point of no return." Zunächst gibt`s hier Verpflegung und " Sanität, " wie die Schweizer sagen. Denn jetzt wird es ernst. Wer hier in Schwierigkeiten kommt, muß entweder umkehren oder sich auf die Bergwacht verlassen.

Mittlerweile habe ich Chants hinter mir, es geht in Serpentinen hoch- plötzlich Abzweigung in eine Art Geröllrinne, sehr steil, sehr hoch die treppenähnliche Stufen, überall faustgroße Steinbrocken. Trittsicherheit ist hier gefragt, man kann schnell umknicken...So geht das kilometerweit, manchmal hohe Absätze, man rutscht, es wird merklich kühler und beginnt zu nieseln. Ich laufe an einem Engländer vorbei, Union-Jack auf dem Rücken, stehend k.o. Der Boy tut mir leid, doch habe ich gerade selbst mit mir zu tun. Wildbäche donnern mit einem Heidenlärm zu Tal, sie sind vom gestrigen Regen gut aufgefüllt.

Wind kommt auf, es wird lausig kalt, wir queren auf schmalen Stegen rauschende Bäche, mein Atem geht tief, man wird sehr demütig in dieser unwirklichen, ja feindseligen Landschaft. Ein großer Wildbach donnert zu Tal, springt über eine Felskante- und hier sprudelt er urgewaltig meterhoch in die Luft wie ein überdimensionaler Springbrunnen. Aus dem Dunst taucht ein weißer Zeltpavillion auf, Verpflegung- und noch 3 Km bis zur Keschhütte !!! Man glaubt, auf dem Mond zu laufen, man sieht nicht sehr weit- Nebel beeinträchtigt die Sicht.

Erinnerungen an 1991 kommen auf: Damals gab es 10 cm Neuschnee in der Nacht und auf dem Sertig-Paß- der Start mußte um 1.5 Stunden verschoben werden. Außerdem gab es so viele Schneefelder wie noch nie !!!

Mittlerweile ist es unheimlich ruhig geworden- ab und zu höre ich das Pfeifen der Murmeltiere, einmal sehe ich so einen kleinen netten Kerl aus den Augenwinkeln, denn man muß ja auf jeden Schritt achten. Interessiert verfolgt er- hoch aufgerichtet- mein Bemühen, dann ist er blitzschnell weg. Nach einer Ewigkeit erreiche ich schließlich die Keschhütte, weit hinter meiner Vorjahreszeit; ich laufe gleich weiter, die meisten zieht`s in die Wärme der Hütte- ich vertraue auf meine Notausrüstung, einen Müllbeutel gegen die Kälte, leicht aber effizient. Mir ist lausig kalt, doch noch geht es ohne meine " Notjacke."

Jetzt wird`s pervers, finde ich: Näße, Bäche, wo sonst keine sind, Kälte und ein Trail, gespickt mit Raffinessen: Rutschige Felsen, schlammiger Boden, der Weg schlängelt sich am Berg entlang, mal rauf, dann runter. Ein besonders gefährliches Stück ist mit Flatterband gesichert, wohl wegen der optischen Anzeige. Hier geht es senkrecht runter...

Einmal liege ich schon waagrecht in der Luft, kann mich an einem Felsblock abfangen, habe zum Schutz Radhandschuhe angezogen, dann wate ich durch Bäche- was den rauchenden Füßen sehr guttut- über glitschige Felsen und dann der Hammer: ein Felsplattenweg-Labyrinth, ca. 15 m lang.

Da ich wie schon erwähnt nicht gerade schwindelfrei bin, ein hartes Stück Arbeit... Nun werde ich von jüngeren und risikofreudigeren Läufern überholt, winke sie auch vorbei, denn überholen geht nur mit Ansage. Es herrscht aber ein rücksichtsvolles Verhalten, alle leiden auf diesem Streckenteil. Hier oben ist man auf das menschliche Minimum reduziert, ich fühle mich klein und geduldet, eben demütig. Auf diesem Streckenabschnitt büße ich ziemlich an Zeit ein, denn ich bin halt keine Gemse...

Kurz vor dem Paß sehe ich vor mir plötzlich 2 gutaussehende und topausgerüstete Japaner, ziemlich fertig, genau gesagt sie schleichen dahin. Ich schließe langsam auf und weil ich schon immer ein besonderes Faible für dieses Land und seine Bewohner habe, rufe ich laut:" Hai, konichiwa, gambate ! " Also ungefähr " Hallo, guten Tag, durchhalten ! " Da rucken die Köpfe schlagartig herum, die schlaffen Bodies straffen sich, ein erstaunt-freudiges " Hai, Hai " bringen sie noch heraus, also etwa " O.K., jawoll ". Dabei strahlen sie wie die Sonne Nippons ! Dann ziehe ich langsam vorbei, dieser Kontakt hat auch mich wieder hochgepusht, das ist eben Völkerverständigung nach meinem Geschmack und es geht beschwingt weiter...

Plötzlich kommt Euphorie in mir hoch: Der Scaletta-Paß ist in Sicht, dann bin ich oben, der Rennarzt fragt nach meinem Befinden: " Super," sage ich- nicht mal gelogen...Kurze Verpflegungspause, 30 Sekunden, dann runter..

Abwärts ist es nicht ungefährlich, alles glatt, rutschig, überall lauern tückische Felsen. Da langsam die Konzentration schwindet, wird es nicht leichter. Hauptsache, es geht abwärts. Langsam wird es wärmer, wir laufen durch den Ort Dürrboden, hier gibt es zur Stärkung die Davoser " Marathon-Brötli " mit Rosinen, es wird nach und nach flach, doch selbst in der Wiese sind noch Felsbrocken versteckt, die einen zur Achtsamkeit zwingen.

Durch das Dischma-Tal geht es nun Richtung Davos, nahezu flach, noch 9 Km und meine Stimmung steigt: Dann- es geht leicht bergab- bleibe ich an einem Felsstück hängen, es knallt mich `rein und rutsche mit Schwung mit der Brust gegen einen Felsblock...

Leute, das ist wie ein Schock, ich glaube zu träumen, rapple mich hoch, meine Rippen schmerzen höllisch, sonst nur eine blutende Wunde am rechten Außenknie. Nichts gebrochen ! Das alles hat mein Hirn realisiert, während ich schon wieder weiterlaufe und das Blut am Bein hinab... Allerdings haben meine Radhandschuhe gute Dienste geleistet, denn auch im Vorjahr hat es mich hingelegt, über eine Wurzel schon vor Monstein...

Dann Ortsrand Davos, Asphalt- wie schön- aber nur wenige Meter: Wieder `rauf in den Wald, wunderschöner Waldweg, wieder`runter, aber dann nur noch breite Straße, ich sehe das Stadion, höre die Ansage, jetzt fühle ich mich superglücklich, kriege eine " Hühnerhaut " laut Schwyzer-Dütsch, laufe durch Zuschauerreihen, werde angefeuert, Stadioneinlauf, 10:26 h und 9. M60 nach 10:07 h letztes Jahr.

Wie immer kommt mir das " Augenwasser " beim Zieleinlauf, und ich schäme mich nicht.
Neben einem Riesen-Essen und einer heiß-kalten Dusche ziehe ich meinen Liter frische Davoser Milch `rein- Mensch, das Leben ist einfach schön...Warum merkt man das immer erst, wenn man durch Schwierigkeiten geht?

Allerdings bin ich auch sonst ein glücklicher und zufriedener Mensch, aber nach einem Ultra halt noch ein bißchen mehr...Und Davos, das ist halt ein Klassiker und wunderschön, aber auch schwer in punkto Konzentration.

Organisch fällt er mir leichter als mancher flache Asphalt-80 Km-Lauf, vielleicht weil ich gerne bergauf laufe oder wegen der Abwechslung der Streckenschönheiten. Allerdings ist er nicht völlig ungefährlich- no risk- no fun...

© Roland Rothfuß, 21.06.2007

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