Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Peter Haarmann zum Brocken-Challenge (05.03.2008) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
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Peter Haarmann , 05.03.2008

Der "Kotzbrocken" – BC 2008

Brocken-Challenge 2008

Es war am 15.12.2007 als Jens mir den Vorschlag unterbreitete, ihn bei der Brocken-Challenge zu begleiten. Brocken-Challenge, hört sich interessant an, dachte ich mir. Nachdem ich kurz die Eckdaten zur Kenntnis nahm – Doppelmarathondistanz mit gut 2000 zu überwindenden Höhenmetern durch teils ungespurten Schnee bei widrigen Wetterverhältnissen – war die Sache so gut wie beschlossen. Keine weiteren Fragen.

Die Anreise sollte am Vortag erfolgen, da der Start für 6:00 Uhr in der Frühe angesetzt war. Zur offiziellen Pre-Race-Veranstaltung im Göttinger Sportinstitut würden wir es nicht pünktlich schaffen, da wir beide noch einen stundenreichen Arbeitstag zu absolvieren hatten, somit wurde dieser Teil aus unserem Programm gestrichen. Wir waren kurzfristig bei Frank Kleinsorg – einem Mitglied des Orga-Teams – untergekommen. Frank hatte im letzten Jahr die BC in neuer Rekordzeit gefinisht – nebenbei bemerkt in 7h und 30min. Wobei seine eigentliche Paradedisziplin der Marathon ist, wie er bemerkte. Seine Zielsetzung für das Jahr 2008 lautet schlicht sub 2:30h! Mit Hilfe der „nette Dame vom Aldi“, so wie Jens sein Navigationssystem nennt, sind wir punktgenau in Göttingen gelandet. Thorsten, der Mitbewohner von Frank, nahm uns direkt vor der Haustür in Empfang und wir bezogen unser Quartier. Nach einer üppigen Mahlzeit verkroch ich mich dann gegen 23:00 Uhr in meinen Schlafsack. Ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt noch pudelwohl und hatte keine Ahnung, wie es mir ein paar Stunden später ergehen sollte. Gegen 2:00 Uhr war ich wieder hellwach und musste permanent gegen ein flaues Gefühl in der Magengegend ankämpfen. Eine Stunde später hatte ich diesen Kampf verloren und ich befreite mich auf der Toilette von dem scheinbar überflüssigen Inhalt meines Magens. Dieses Schauspiel sollte sich direkt nach dem Aufstehen um 4:30 Uhr wiederholen. Mir stand der kalte Schweiß auf der Stirn und ich versuchte mich unter Kontrolle zu bringen. An ein Frühstück war absolut nicht zu denken. Schon ein Schluck Cola bereitete soviel Unbehagen und nahm kurz darauf denselben Weg retour, wie er gekommen war. Ohne Flüssigkeit und Nahrung ist schlecht mit Laufen, dachte ich mir. Erstmal anziehen und raus an die frische Luft, dann wird es mir besser gehen. Ich wollt in meinem Zustand keine Belastung für Jens und Co. darstellen und ermahnte mich zur Disziplin. Die Zeit drängte, denn mit einem Mitglied des Organisationsteams im Auto mussten wir pünktlich am Startpunkt erscheinen. Dort angekommen atmete ich erst einmal kräftig durch und versuchte mich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Mit leicht zittrigen Händen befestigte ich meine Startnummer am Startnummernband. Langsam keimte wieder Zuversicht auf, nachdem die Flüssigkeit, die ich schlückchenweise zu mir nahm, dort blieb wo sie angekommen war.

Nach einer kleinen Ansprache schickte uns Organisator Markus Ohlef auf die 84 kilometerlange Strecke. Anfangs lief ich noch Seite an Seite mit Jens, aber nach ca. 15 bis 20 km musste ich das gewählte Anfangstempo weiter reduzieren, um Kraft zu sparen, die nun merklich nachließ. Ein kleiner Zwischenfall hätte beinahe für ein vorzeitiges Ende gesorgt. Nachdem ich an einem Verpflegungspunkt meine Trinkflasche aufgefüllt hatte, muss ich diese beim Einstecken in den Trinkgurt nicht richtig gesichert haben. Just in dem Moment, in dem ich den Verlust bemerkt habe, streckte mir ein Radbegleiter meine Trinkflasche entgegen – hab tausend Dank. Ohne die Möglichkeit, meinem Körper kontinuierlich Flüssigkeit zuzuführen, wäre die Unternehmung für mich definitiv zu Ende gewesen, da ich zu diesem Zeitpunkt ja bereits mit einem Flüssigkeitsdefizit unterwegs war, zumal die berühmt berüchtigte „Saftpresse“ noch vor mir lag. Nach dieser Schrecksekunde bekam ich einen mentalen Schub. Dieses Motivationspolster war allerdings nach weiteren 10 km komplett aufgebraucht. Der Salzverlust meines Körpers machte sich jetzt unbarmherzig bemerkbar. Keine hundert Meter nachdem ich die dritte Verpflegungsstelle passiert hatte, war der absolute Tiefpunkt erreicht. Ich konnte nicht weiterlaufen, bin vorn übergebeugt stehen geblieben und habe versucht die Wadenmuskulatur zu strecken. So ein Mist, alles verhärtet! Ich bin zurück zum Verpflegungspunkt gestrauchelt und habe mir salzige Brezeln geben lassen, die ich mir mit viel Flüssigkeit verabreicht habe. Mein Blick blieb an dem in unmittelbarer Nähe abgestellten Fahrtzeug des Malteser Hilfsdienstes hängen. Im Innenraum kauerten mehrer Mitglieder dieser Vereinigung in Schlafhaltung. Auf der einen Seite war die Verlockung sehr groß, sich dazuzugesellen und den Lauf hier und jetzt abzubrechen. Auf der anderen Seite war diese Vorstellung aber auch sehr abschreckend. Sollte es mir etwa besser gehen, wenn ich stundenlang in diesem Kleinbus ausharren musste. Letztendlich würde ich durch die Gegend gefahren und dürfte der Ankunft einer Schar von erschöpften, aber endorphindurchfluteten Läufer auf dem Brocken beiwohnen. Ich glaube, es gibt nichts frustrierenderes, als sich das anzutun. Es gab nur eine Möglichkeit, sich derartiges zu ersparen – also bloß weiter! Wer dem Druck einer Krisensituation nicht standhält, der wird im Anschluss eine noch größere Krise durchstehen müssen. Dieser Tatsache muss man sich bewusst sein.

So habe ich mich langsam wieder auf den Weg gemacht, mit respektvollen 50 km vor der Brust. In so einem Moment ist es wichtig, sich Etappenziele zu setzen. Ich habe mich von Verpflegungspunkt zu Verpflegungspunkt so durchgeschleppt. Jeder hinter einem liegende Meter muss als Erfolg interpretiert werden, jeder einzelne Schritt als Teil einer Strategie verstanden werden. Der Körper hatte sich langsam im Laufe des Tages erholt, ich fühlte mich zunehmend besser. Mit jedem Meter, mit dem ich mich dem Ziel näherte, wuchs auch die Gewissheit, dies auch zu erreichen. Die letzten Kilometer lagen irgendwann vor mir – die Rampe mit einer Steigung bis 48%. Der Vorteil bei dieser Rampe ist, dass man die ganze Pracht nicht auf einmal dargeboten bekommt, sondern diese häppchenweise serviert wird. Nach jeder Biegung wartet eine neue Teilaufgabe, insgeheim mit der Hoffnung verbunden, dass dies nun endgültig die letzte sein wird. Je höher ich mich diese Rampe empor gearbeitet habe, desto grandioser wurde der Ausblick von dort oben. Die untergehende Abendsonne tat ihr Übriges, um diesen Momenten die nötigen Aufmerksamkeit zu widmen. Der Ehrgeiz hatte mich schließlich noch mal gepackt. Ich wollte die letzten Kilometer durchlaufen, sei der Weg auch noch so steil. Bis auf wenige Ausnahmen ist mir dies auch gelungen. Ich befand mich kurz vor dem Ziel in der besten Verfassung des Tages.

Nach 11 Stunden und 21 Minuten war der Kampf endlich vorbei, der (Kotz-)Brocken war besiegt. Was ich bereits nach 30 Kilometern nicht mehr für möglich gehalten hatte, ist mir nun doch noch geglückt. Die Freude und Zufriedenheit über das Erreichte traten in den Vordergrund und ließen die benötigte Zeit zur Nebensächlichkeit verkümmern. Auch die kalte Dusche im Anschluss – für warmes Wasser musste man sub 9h gelaufen sein – konnte den Gesamteindruck nicht schmälern. Mit dieser bewältigten Aufgabe habe ich mir die Messlatte für zukünftige Herausforderungen wieder um ein paar Zentimeter höher aufgelegt. Obwohl die Latte diesmal kräftig gewackelt hat und mich ein DNF (did not finish) auf Schritt und Tritt verfolgt hat, habe ich meine Vorstellung, von dem was für mich machbar ist, im positiven Sinne revidieren müssen. Nicht zuletzt haben auch die überaus angenehmen Wetterbedingungen an jenem Tag ihren Teil dazu beigetragen, ein aufkeimendes Desaster zu vereiteln und doch noch ein Erfolgserlebnis zu schmieden. Ich kann mir gut vorstellen, im nächsten Jahr erneut anzutreten, um dem Brocken zu Leibe zu rücken und eine obligatorische Zeitkorrektur vorzunehmen – dann aber hoffentlich ohne Handicap.

© Peter Haarmann, 05.03.2008

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