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uli schulte zum Internationaler 6-Tage-Bahnlauf von Erkrath (11.08.2005) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
Alle zeigen - Bericht von uli schulte zum Internationaler 6-Tage-Bahnlauf von Erkrath:
uli schulte , 11.08.2005

6 – Tage – Bahnlauf in Erkrath vom 31.7. bis 6.8.2005

Zum zweiten Mal habe ich mich auf das Wagnis und das Abenteuer eines 6 – Tage – Bahnlaufs eingelassen. 144 Stunden auf einer 400 Meter Aschebahn zu leben, von einem Eisenzaun umgeben, den neugierigen Blicken kopfschüttelnder Betrachter preisgegeben – im Gehege gut umsorgt und betreut.

Dabei stand es bis zuletzt auf Messers Schneide, ob ich als aktiver Sportler teilnehmen können würde, da mich über Monate eine verschleppte Halsentzündung beeinträchtigt hatte. Eine Woche vor dem Start gab mein Arzt mir grünes Licht und die erforderliche Unbedenklichkeitsbescheinigung. Trotz der Erkrankung im Vorfeld des Wettkampfs fühlte ich mich körperlich und mental hinreichend stark, nicht zuletzt durch eine seit über 500 Tagen anhaltende Streak, also den täglichen, ununterbrochenen Dauerlauf von durchschnittlich 10 km pro Tag. Ein 24 Stunden Lauf vor 5 Wochen und ein Marathonlauf 1 Woche vor Start gaben mir die Gewissheit, die 6 Tage auf der Bahn der Reinhardt von Hymmen Sportanlage in Erkrath Unterfeldhaus bestreiten zu können.

Als Wettkampfziel hatte ich für mich wie üblich 3 Optionen formuliert. Minimalziel: mit der täglichen Marathondistanz in der Wertung zu bleiben. Als realistisches Ziel: die 365 km des letzten Jahres noch einmal zu erreichen. Als Traumziel: die 400 km Marke klar zu überschreiten.

Um mein Ziel zu erreichen, legte ich mir im Vorfeld während langer Laufstunden eine Renneinteilung zurecht, sinnierte lange darüber, im Geist oft schon auf der Aschebahn, machte mir meinen Plan zu einem Teil von mir, ließ ihn mir in Fleisch und Blut übergehen. Im Gegensatz zum letzten Jahr, wo ich in sturem Tag und Nacht Rythmus 35 – Runden – Blöcke, unterbrochen jeweils von einer Pause, abarbeitete, nahm ich mir für dieses Jahr vor, jeweils vormittags, nachmittags und abends zu laufen, die 4 bis 5 Stunden zwischen den Mahlzeiten zu nutzen, um jeweils etwa 25 km zu erkämpfen. Die Stunden zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens sollten der Ruhe für Körper und Geist vorbehalten bleiben.

Vor jedem Mehrtageslauf stellt sich die Frage nach der Ausrüstung. Wie viel Paar Schuhe nehme ich mit? Welche Hemden, Hosen, Socken, Mützen sollen ins Gepäck? Kleidung für kaltes, warmes, nasses, trockenes Wetter will bedacht sein. Welche Medikamente, Cremes, Wässerchen, Pflaster, Bandagen könnten benötigt werden? Ich entschied mich aus Erfahrung dafür, ein besonderes Augenmerk auf die Füße zu richten, die am meisten leisten müssen und am stärksten gefordert und beansprucht werden. Ich nahm mir vor, die Füße mehrmals am Tag mit Babytüchern zu säubern und mit Ringelblumensalbe zu behandeln, um sie geschmeidig zu erhalten. Außerdem nahm ich ein Paar Laufschuhe der Größe 49 mit, 4 Nummern größer als für mich üblich. So können nach einigen Tagen Laufen Beschwerden an den stark geschwollenen Füßen etwas reduziert werden.

Als am Sonntag Nachmittag um 15.00 Uhr Ex – Bundesligaprofi Thomas Allofs den Startschuss gab, regnete es in Strömen. Der Regen setzte die Bahn teilweise unter Wasser, und sie ließ sich nur durch die redliche Mühe der Helfer, das Wasser von der Strecke zu fegen und durch kleine Gräben abzuleiten, leidlich belaufen. Das regnerische, wechselhafte Wetter zog sich durch die Veranstaltung, unterbrochen von einigen sonnigen Abschnitten, um allen mit voller Gewalt einen unvergesslichen Abschuss des Rennens zu bescheren. Da mich Wärme und Licht eher positiv motivieren, hatte ich stark zu kämpfen, um angesichts der sinnflutartigen Regenfälle gute Laune zu bewahren. Das Wetter können wir nicht ändern, wohl aber unsere Einstellung zu den Widernissen, die uns auf der Strecke entgegen schlagen.

Das Rennen nahm seinen Verlauf mit internationalem Flair: 35 Teilnehmer aus 14 Ländern bildeten in 6 Tagen und 6 Nächten eine starke und fast immer solidarische Gemeinschaft. Für mich ist dieses Miteinander der Nationen im Sport eine große Bereicherung. Eine gelebte Völkerverständigung im ganz kleinen Bereich. Ein sich einlassen auf Menschen verschiedener Länder, unterschiedlicher Kulturen, ein sich einander öffnen, das Gute erwartend. Stellvertretend für viele andere will ich hier unsere niederländischen Nachbarn nennen. Mit Regina, Ruud, Ubel und Theo verbindet mich ein Gefühl, dass weit über Sympathie hinausgeht. In den letzten Jahren habe ich die Ruhe, die Freundlichkeit, die Ausgeglichenheit und Stetigkeit meiner niederländischen Freunde mehr und mehr schätzen gelernt. Ich habe das Gefühl, dass es unter uns keinerlei Abneigung gibt, sondern eher tiefes Verstehen und Freundschaft. Von kaum jemand anderem habe ich so viel Freundlichkeit und aufmunternde Worte empfangen, wie von meinen niederländischen Kameraden.

Ein 6 tägiger Rundenlauf könnte sehr monoton sein. Es fehlen die äußerlichen Reize der Natur, wie sie beispielsweise ein mehrtägiger Landschaftslauf bietet. Beim Bahnlauf gilt es viel mehr, Innenwelten zu betrachten. Aber auch das reicht nicht aus, um sich über Tage zu motivieren. Also zieht der Läufer seine Kraft aus den vielen kleinen Dingen und Abwechslungen, die auch ein Bahnlauf bietet. Da ist der Laufrichtungswechsel alle 6 Stunden, der dazu führt, dass alle Teilnehmer mindestens einmal während des Wechsels aneinander vorbei, einander zugewandt laufen. Der Richtungswechsel wird durch Geläut angekündigt, und die Läufer klatschen einander ab. Vier mal am Tag ist dieses Ritual ein ersehnter Höhepunkt. An der Laufstrecke sind viele Zelte aufgestellt, in denen Läufer und Betreuer übernachten. Vor zwei Zelten war jeweils tags ein Blumenstrauß und nachts eine Kerze aufgestellt, für mich ein stets willkommenes und erwartetes Ereignis. Meine innere Kraft beziehe ich aus Gesprächen, Gebeten, dem Wind, den Wolken, den Bäumen. Die Sozialisation, der Kontakt zu den Mitsportlern durch ein Gespräch, durch einen Blick, eine Geste, eine Berührung ist für mich unabdingbar. Für mich ist es kein „small talk“, nein, es finden immer wieder auch tiefer gehende Gespräche statt. Zehn Runden kommunizierend bewältigt erscheinen mir nur halb so schwer, wie zehn Runden allein gemeistert. Sechs Tage lang etwa fragte Franz mich bei jeder Überrundung in wohlklingendem Schwitzerdütsch: „Na, Uli, geht’s noch?“ Meine Antwort: „Ganz gut, Franz, es muss ja. Und bei Dir?“ Eine fast liturgische Form der Kommunikation. Jeden Abend habe ich der Mitternacht entgegengefiebert, ein weiteres Ritual ersehnt: Die Mitternachtssuppe in der Gegenwart von Stephan einzunehmen und mit ihm zum Tagesabschluss ein Bier zu genießen. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle der Besuch von lieben Freunden an der Strecke sowie die e – mails, die einmal täglich ausgedruckt und uns Läufern auf der Strecke überreicht wurden. Auch war mir meine Frau Irene eine überaus wertvolle Hilfe. Sie erfüllte mir manche kleinen und größeren Wünsche.

Die ganze Veranstaltung steht und fällt mit dem engagierten Einsatz der Helfer und Betreuer. Zum zweiten Mal durfte ich nun erleben, mit welcher Begeisterung und Hingabe die meist selbst lauferfahrenen Mitarbeiter sich einsetzten und so den Rahmen boten für einen reibungslosen Ablauf und ein starkes Gefühl des „gut aufgehoben Seins“. Darf ich, ohne ungerecht zu wirken, zwei Menschen stellvertretend für Sigi und sein wunderbares Team hervorheben und gleichzeitig eine Lanze brechen für unsere Jugend? Oskar und Jorret, die Söhne des Steppenhahns, leisteten einen Dienst am Verpflegungsstand zu allen Tages – und Nachtzeiten, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann! Genauso erwähnenswert die beiden jugendlichen Söhne von Jürgen, die mit ihrer Webcam es einem großen Publikum ermöglichten, per Internet live an der Veranstaltung teilzuhaben! Im Hinblick auf die Betreuung hatte ich das Gefühl, dass mir jeder Wunsch von den Augen abgelesen wurde. Das hat man nicht oft im Leben, dafür kann ich mich gut und gerne etwas quälen!

Viel Spaß hatten wir auf der Strecke, mancher Witz, manche Anekdote wurde zum Besten gegeben, viel gelacht und gescherzt. Die Fähigkeit, den Humor zu bewahren, gehört meines Erachtens nach zu den wichtigsten Qualifikationen des Ultraläufers, den Spaß an der Sache und das Lächeln nicht zu verlieren. Gute Laune und die Freude sich erhalten – das Leid und der Schmerz kommen so oder so von selbst. Auch davon hatte ich in diesem Jahr reichlich zu verarbeiten. Eine Woche vor Beginn des Laufes stellte mein Zahnarzt eine entzündete Wurzel eines Backenzahnes fest. Eine Wurzelbehandlung brachte zwar noch etwas Erleichterung, aber keine Befreiung: Zahnschmerzen gehörten zum ständigen Begleiter des diesjährigen 6 Tage Laufes. Das größte Problem waren – wie im letzen Jahr – meine Füße. Mehrere große Blasen, taube Zehen, Schmerzen in Ferse, Sprunggelenk, Spann – die ganze Palette. In der Nacht vom dritten auf den vierten Tag erlebte ich meinen Tiefpunkt, als ich im Schlafsack lag. Der ganze Körper voller Schmerzen, Schüttelfrost und Hitzewallungen, Mutlosigkeit und Depression, Gedanken, abzubrechen und nach Hause zu fahren. Dann am frühen Morgen sich herausquälen aus dem Schlafsack, zur Tür humpelnd das Gesicht und den geschundenen Körper der aufgehenden Sonne und dem Licht entgegen haltend, die Erfahrung machend, von den Toten aufzuerstehen, mit neuer Kraft durchströmt zu werden, die Schmerzen den Körper fluchtartig verlassend. Wichtig war auch, sich selbst zu behandeln mit Tüchern und Salben, sich etwas Gutes zu tun, auch die Hilfe von anderen anzunehmen, wie die Hilfe von Manfred, der meine Archillessehnen tapt und mich dadurch zumindest an dieser Stelle dauerhaft von Schmerzen befreit. Das Leid sich zu teilen mit Hans – Jürgen, dem Zimmerkollgen, in stillem Verstehen.

So nimmt das Rennen seinen Lauf. Im Vergleich zum letzten Jahr kann ich von meinen Erfahrungen profitieren, mir Zeiten und Kräfte optimaler einteilen, mich in fast jedem Part des Rennens etwas verbessern. Im Ziel stehen dann 418 km zu Buche gegenüber 365 km im letzten Jahr. In der Platzierung konnte ich mich steigern vom letzten Rang im vorigen Jahr auf Rang 28 von 35 Teilnehmern in diesem Jahr. Ein kleiner, persönlicher Erfolg.

Zum Schluss will ich noch die Sponsoren erwähnen, ohne die heute ein solcher Wettbewerb kaum durchführbar wäre, ohne die Kosten für die Teilnehmer ins unermessliche zu treiben. Stellvertretend für viele möchte ich hier ein bekanntes Dienstleistungs- Express- und Logistikunternehmen nennen, dass schon im letzten Jahr maßgebich zum Erfolg des Laufes beigetragen hat. Nicht nur mit Geld- und Sachunterstützung war dieser Sponsor beteiligt, sondern auch mit sehr persönlichem und überzeugenden Engagement. Leitende Mitarbeiter verlegten kurzerhand ihre Sitzungen an die Laufstrecke. Die ganze Mannschaft der Niederlassung trat an, um uns persönlich anzufeuern und zu unterstützen. Zwei Mitarbeiter tauchten gar abends mit Schlafsack an der Strecke auf, um den Läufern auch in der Nacht Zuspruch zu geben. Ihr lieben Leute von TNT, es ist ein Unterschied, ob jemand nur sein Geld gibt, oder auch ein Stück von sich selbst. Eure Art des Helfens wird mir unvergessen bleiben!

Nachdem ich nun wieder zu Hause und in der Realität angekommen bin, stellt sich, schon während die Verletzungen heilen, zaghaft die Frage: Wenn es wieder einen 6 Tage Lauf geben wird, werde ich ein weiteres Mal daran teilnehmen? Antwort: Ich denke, schon. Aber frühestens in einem Jahr!


Bremen – Nord
10.8.2005

Uli Schulte


© uli schulte, 11.08.2005

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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