Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Martina Hausmann zum Internationaler TNT-6-Tage-Bahnlauf von Erkrath (30.08.2007) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)

Zufälliges Zitat

"Du merkst, dass Du ein Ultra bist, wenn Du Dich wachlaufen musst um frühstücken zu können."

Sarah und Frank Hildebrand, 24h Seilersee

Nächster Ultramarathon

Alle zeigen - Bericht von Martina Hausmann zum Internationaler TNT-6-Tage-Bahnlauf von Erkrath:
Martina Hausmann , 30.08.2007

6 – Tagerennen von Erkrath 2007: Beschleunigt laufen oder beschleunigt einschlafen?

Wie schnell sind diese zwei Jahre seit dem letzten Erkrather 6-Tagerennen vergangen! Schier unglaublich. Schon stehe ich wieder in Bergen von Ausrüstungsgegenständen, zerre lustvoll Laufschuhe, Klamotten, Zelt und was noch alles aus allen Winkeln der Wohnung. Hoffnungsfrohe Gedankenfetzen im Hirn. „Werde ich den Rekordlauf von 2005 toppen können? Meinen Deutschen Rekord auf über 750 Kilometer setzen? Das wär’s…“ Während ich alle Sachen auf mein Bett häufele, stellt Herbert die unvermeidliche Frage: „Hast Du die Umzugsfirma schon bestellt?“ Quarkgesemmel. Walter Zimmermanns Auto ist groß genug. Bei Flugreisen muss ich immer furchtbar knausern mit dem Gepäck. Aber jetzt? Heimvorteil!
Ankunft im Stadion von Erkrath-Unterfeldhaus am frühen Abend vor dem Start. Viele Zelte stehen schon. Der Wetterbericht hat die Sintflut vorhergesagt. Ich schaffe es, mein Zelt trocken oberhalb der Ostkurve aufzustellen. Gabi Leidner logiert nicht weit weg. Sie hat sich netterweise bereit erklärt, mich neben Peter Gründling ein wenig mit zu betreuen. Einen persönlichen Betreuer erwarte ich für die zweite Hälfte des Rennens. Mein direkter Zeltnachbar ist Costas Baxevanis, der Organisator des Griechischen 7-Tage-Rennens. Ja, genau der, der nach eigenen Angaben gern Windschatten bei mir läuft, um mich am letzten Tag…schwupps…zu überholen! Na, warte!!! Wolfgang Schwerk und Helmut Schieke, der beste Betreuer aller Zeiten, haben das Lager daneben aufgeschlagen. Wolfgang ist natürlich der Favorit des Rennens. Er wird sich wohl am absoluten Weltrekord von Yiannis Kouros, 1036km, versuchen. Die Hauptkonkurrenz der Damen ist auch schon da. Edit Berces aus Ungarn hält mit 250km den Weltrekord im 24-Stundenlauf, außerdem gehört sie zur Weltspitze bei 48-Stundenrennen. Elke Streicher ist immer gut für 24er über 200km, und bei Länderdurchquerungen etappenweise ist sie immer ganz vorne. Beides sind Neulinge in Mehrtagerennen. Es wird sehr spannend werden, und ich freue mich darauf.
Unterdessen regnet es sich ein. Es tropft fleißig vom First des Zeltes, und ich stelle einen Eimer in die Zeltmitte. Immerhin schlafe ich gut. Als ich früh vors Zelt trete…au Backe…hat sich die Aschenbahn in einen See verwandelt. Petrus dreht kurz vor dem Start um 15 Uhr den himmlischen Wasserhahn zu. Das Wasser staut sich in der Ostkurve knöcheltief. Der Gulli daneben bewältigt die Massen kaum. Ständig strömt neues Wasser von der Senke des Hartplatzes im Innenrund des Stadions nach.

Erster Tag: Start ins Überlebenstraining. Kurz nach dem Start entspringen alle wie entfesselt. Ich bewege mich noch langsamer wie ohnehin gewohnt. Meine Füße landen nie da, wo ich sie hinsetze, sondern schlittern unter dem Wasser im Matsch umher. Die Knie haben sich im nasskalten Wetter gleich verspannt, wortwörtlich laufend bekomme ich Krämpfe in der Kniekehle und ich kann fühlen, wie die Knie schon in den ersten Stunden anschwellen. Überlebenstraining satt. Gegen Abend erfahre ich zufällig, dass ich auf Platz 37 von 41 liege. Wolfgang Schwerk lässt es dank der Pampe auch vorsichtig angehen und liegt ungefähr auf Platz 20. Schrecklich interessant? Die Stundenprotokolle sind heiß begehrt. Eifrig werden Computerprognosen diskutiert. Nach vier von 144 Stunden! Bedeutsamer finde ich, dass mit Eintritt der Dunkelheit wortwörtlich Land in Sicht ist. Doch erst am nächsten Vormittag kommt man wirklich trocken über die Runden. Die Beine fühlen sich nicht mehr wegen Matsch, sondern wegen der dicken Knie unstabil an. Meine erste Rundumerneuerung mit Kleider- und Schuhwechsel stehen an. Eine halbe Stunde mindestens lasse ich mir dafür Zeit. Zuerst die Schuhe weg, tief ausatmen, von der Matratze aus alle Handgriffe ganz entspannt tun. Fußpflege. Beinselbstmassage. Hätten Füße jetzt ein Gesicht, würden sie mir dankbar zulächeln. Die Knie sind zwar dick, aber nicht rot oder heiß, also nicht akut entzündet, Nach den ersten 24 Stunden habe ich knapp 149km zurückgelegt. Für meine hochgesteckten Ziele vom „grünen Tisch“ zu Hause zu wenig. Da hatte ich mir 100 Meilen für den ersten Tag angedacht. Diese Gangart haben Edit und Elke vorgelegt. Doch ich habe bisher aus jeder Minute des Rennens für mich das Beste gemacht. Für ein optimales Ergebnis brauche ich optimale Bedingungen. Es sollte halt nicht sein.

Zweiter Tag: Erste neckische Rangeleien um Platzierungen. Optimistisch, vielleicht zum dritten Mal innerhalb von vier Monaten 704 Kilometer in 6 Tagen zu erreichen, starte ich in den zweiten Tag. Wieder regnet es, es bilden sich Pfützen, daraus wächst der sattsam bekannte kreisförmige See. Bereits jetzt habe ich mich auf schnellmarschieren verlegt mit wenig Schlurflaufeinlagen, um verschiedene Muskelgruppen durchwegs ökonomisch zu belasten. Die Runde schaffe ich so gut unter vier Minuten, ein bisschen schneller als 6 km/h. Nach der Quasinonstopmethode ist dies erfahrungsgemäß ausreichend für ein solides Endergebnis von über 700 Kilometern. Einige Etappensprinter pausieren bereits ausführlich, sogar mehrere Stunden am Stück, um hinterher eher langsamer weiterzumachen. Elke und Edit scheinen sich gegenseitig zu beobachten und zu jagen. Elke hält allerdings an ihrer für sie bewährten Intervallmethode fest, während sich Edit vielleicht ein Tempo aufdrängen lässt, das für sie nicht passt. Damit habe ich kein Problem. Bei mir ist der Tempomat eingerastet oder auch eingerostet. Die Skandinavier witzeln schon und schließen Wetten ab, wann ich wen durch nichts als schiere Hartnäckigkeit auf der Piste überhole. Costas heftet sich diesmal nicht an meine Fersen, sondern sicherheitshalber an die Zehen…immer wenige Kilometer voraus. Gegen Ende des zweiten Tages habe ich weitere knapp 119km aufgesammelt. Ich tauche nun langsam im Mittelfeld auf und freue mich auf meine erste einstündige Pause.

Dritter Tag: Beschleunigt laufen oder beschleunigt einschlafen. Das Wetter hat sich offenbar zu unserem Gunsten entschieden. Wegen der Knie kann ich trotzdem nicht richtig rennen. Immerhin komme ich im gleichen Tempo problemlos voran. Wolfgang hat den Turbo geladen und Claude abgehängt, der später frustriert oder verletzt nach Hause fahren wird. Hans-Jürgen Schlotter schickt sich an, Claudes Platz einzunehmen. Immer lustig drauf ist der Schwedische Jungmannschaftszug. Mattias Bramstang, Andreas Falk und Peter Johansson wetzen gewöhnlich dicht hintereinander über die Piste. Nachts versammeln sie sich im Außenbereich der Ostkurve zum geselligen Plausch am Lagerfeuer. Zum ersten Mal erlebe ich hier, dass junge Leute große Freude an scheinbar monotonen Mehrtagerennen haben! Wiewohl ich mich immer frage, wie einem hier langweilig sein kann? Hochspannend, die Entwicklung dieses Mikrokosmos als einer der 41 Hauptdarsteller zu verfolgen! Elke hat entweder bemerkt, dass ein Mehrtagenonstoprennen doch nicht so einfach als Etappenrennen abzuspringen ist, oder ihr ist eingefallen dass sie zwei Wochen später zum Trans Gaulle fährt. Jedenfalls werden die Pausen zur Schönheitspflege immer länger. Edit beobachtet und jagt nun ersatzweise mich. Leider bin ich nicht gut zu jagen, da ich nur den immergleichen Schlappschritt beherrsche. Außer Wolfgang, Costas, Edit und mir ist in der Nacht früh um eins kaum jemand unterwegs. Plötzlich höre ich zwei Paar andere Schritte hinter mir! Sagt der hinterste ungeduldig zum Vordermann: „Kannste nicht mal beschleunigt laufen?“ – „Das einzige, was ich noch kann, ist beschleunigtes einschlafen.“ Was nicht gar? Ich mache die Innenbahn frei und muss mich erst mal auslachen. Doch halt! Michael Krüger trifft den Nagel auf den Kopf! „Beschleunigtes einschlafen…vom zweiten Tag an innerhalb jeder meiner halb- oder einstündigen Pausen circa alle 6 Stunden…ich könnte noch bessere Resultate erzielen…ach was…mir ständen alle Rekorde offen!“ Die Meditation zum Thema hat Erfolg. Ich pausiere 1½ Stunden lang vor Sonnenaufgang, und verschlafe davon über eine Stunde. Meine erste Stunde richtiger Schlaf! Ich nehme mein Thema gedanklich wieder auf. „Beschleunigt laufen bringt Belastungsspitzen und damit erhöhtes Verletzungsrisiko. Man ermüdet viel schneller. Beschleunigtes einschlafen zwischen Phasen der ruhigen Fortbewegung dagegen bringt lohnendere Kurzpausen. Ich werde Yogi Nidra, den ‚Schlaf des Yogis, gezielt trainieren…ha!“ Tom Scriven, den munteren M70er aus Irland, ficht das alles nicht an. Sein Einschlafrezept: Rotwein! Am Ende des Rennens wird er den ein Jahr älteren Dan Coffey um 33km abgehängt haben. Vielleicht liegt es auch daran, dass er sich nach dem Weingenuss rasanter in die Kurven legen kann? Ich selbst habe bis zum Ende der dritten 24 Stunden 115 weitere Kilometer aufgeklaubt. Zum ersten Mal ist es gelungen, Rückstand auf Edit gut zu machen. Ab zur einstündigen Rundumerneuerungspause!

Vierter Tag: Große Freude über zusätzliche Hilfe. Nun warte ich weitertrabend vor allem meinen Betreuer herbei. Ich kenne ihn bisher nur aus Emails und von Telefonaten. Ich bin sehr neugierig und freue mich riesig über die angesagte Unterstützung. Ernährungsberater Michael Göhner hat mich ursächlich angerufen aufgrund meines Athen-Berichtes, in dem ich diverse orthopädische Supergaus erwähnt habe. Er dachte, der Frau kann ernährungstechnisch geholfen werden. Ich war der Ansicht, das können wir im Erkrather Ernstfall gleich testen. In der späten Abenddämmerung steht er plötzlich vor meinem Zelt, das dank der LG Würzburg Flagge ja gut als meines zu finden ist. Er macht von Anfang an einen äußerst sympathischen Eindruck. Ohne dass ich viel erklären müsste, räumt er mir meinen „Haushalt“ gleich pickobello auf, kümmert sich um feuchte Schuhe und um versandete Zeltplanen. Spitzenklasse! Ich schicke ihn zum nahen Supermarkt zum Weißkohleinkauf. Die Blätter eignen sich sehr gut als entzündungshemmenderUmschlag für die Knie während meiner kurzen Pausen. Der Wirkstoff von Kohl ist z.B. im teuren Wob Enzym enthalten, das ich für die innere Anwendung benutze. Er legt mir einen Packen vorbereiteter Blätter zur Selbstbedienung neben mein Bettchen. Als Freiberufler ist er natürlich sehr beschäftigt, hat seinen Laptop dabei und muss abends im weiteren Verlauf des Rennens auch mal weg zu einer Besprechung. Kein Problem! Er ist auch selbst Läufer und hat genau im Gefühl, was er mir wie für die nächsten Stunden vorbereiten sollte. Außerdem steckt er viel mit Starbetreuer Helmut zusammen! Was soll da schief gehen? Mit Costas und Edit verbringe ich einmal mehr eine kurzweilige Nacht. Wir kennen uns untereinander sehr gut; mal stecke ich mit der einen, mal mit dem anderen schwätzend zusammen. Auch kilometermäßig sind wir nicht weit voneinander entfernt. So beäugen wir uns neugierig, geben alle motiviert unser Bestes, haben ausschließlich positiven Stress miteinander. So stelle ich mir Wettkampf ideal vor! Sogar Elke sprintet heute Nacht stundenlang über die Piste und wird zum Ende des Tages über 100 Kilometer stehen haben! Offenbar hat ihr der gestrige Ruhetag gut getan. Was mir Sorgen macht, ist allerdings die Wettervorhersage: Reichhaltiger Schauer für den nächsten Nachmittag! Ich minimiere meine ohnehin minimalistische Nachtpause. So erwirtschafte ich Zeit für eine längere Säuwetterpause, ohne mein 700+ Kilometerziel zu gefährden. Mit der Müdigkeit komme ich klar dank breitbeinigem Gewatschel. Das mag furchtbar aussehen, erhöht aber die Standfestigkeit. Das Wetter hält bis Mittag. Es schüttet plötzlich wie aus Eimern! Ruckzuck steht die Piste wieder unter Wasser. Fieberhaft überlege ich. „Dies ist eher kein Dauerregen. Nach wenigen Stunden wird der Regen aufhören. Dann dauert es noch mal eine Stunde, bis das Wasser von der Bahn abfließt und eine weiter Stunde, bis das Wasser vom Innenplatz kommend abgeflossen ist. Vier Stunden kann ich nicht pausieren. Die schöne Zahl 700, oder 704, oder gar 710, wäre futsch. Ich werde weiterlaufen, bis der Schauer aufhört. Anschließend Pause mit schlafen und Fußpflege für 1 ½ Stunden. Ich würde so platt sein, dass ich garantiert zum zweiten Mal beschleunigt einschlafen könnte.“ Krisenmanagement. Erst durch irgendeine spöttische Bemerkung von Wolfgang merke ich, dass ich als Einzige auf der Strecke geblieben bin! Ich ziehe meinen Plan durch, die Rechnung wird perfekt aufgehen. Zum Ende des Tages habe ich zusätzliche 105km beisammen. Gleichstand mit Edit! Costas 6km voraus!

Fünfter Tag: Herbert bei Tag – gesellige Hasen bei Nacht. Ich bin fast bereit für die Pause, freue mich schon darauf. „Der rote Wahnsinn, nur mit …“ Hä??? Wie das??! Nein, keine Einbildung. Das Zitat aus dem Bürgerkriegsdrama um Florian Geyer klingt ganz real in meinen Ohren. Herbert hat sich auf der Freilichtbühne zum ersten Mal – sehr erfolgreich übrigens – als Schauspieler versucht. Die Piste von Erkrath erscheint mit einem Mal weit weg. Ich habe mir das Stück dreimal angesehen und war jedes Mal ganz aus dem Häuschen. Da steht Herbert vor mir mitten auf der Bahn! Die Überraschung ist voll gelungen. Begeistert harre ich mit wunden Füßen noch viele Runden aus, bis ich mich endlich zur dringend nötigen Pause entschließe. Wieder unterwegs, sehe ich Edit wandernd und diskutierend unterwegs mit Organisator Sigi Bullig. Ich erfahre von Costas, sie will ihre Sachen packen und heimfahren! Die Bahn sei kaputt und es könne nicht sein, dass dauernd stundenlang das Wasser draufsteht. Sigi gelingt es endlich, sie zu überzeugen, dass nicht die Piste sondern eher das deutsche Wetter „kaputt“ ist. Sie legt sich längere Zeit schlafen, fotografiert anschließend noch ein bisschen und ist dann wieder richtig gut drauf! Herbert hat sich inzwischen durch all seine vielen Bekannten hindurchgeschwätzt. Alle? Abends sucht er immer noch nach Walter! „Ich sage ihm immer, er soll sein supergemütliches Sofakissen zu Hause lassen! Er ist eben ein guter Kamerad und schläft für mich gleich mit.“ Schließlich taucht er doch auf, und Herbert kann beruhigt die lange Heimreise antreten. Ich schiebe am späten Abend noch eine Kurzpause ein und bin gerüstet für eine aufregende lange Nacht. Herrje! Irgendwas kitzelt in der knielangen Hose. „Oh, oh, der Weißkohlumschlag!“ Ich werde die Blätter auf der Wiese nebenan entsorgen müssen, sonst liegen sie irgendwann auf der Strecke verteilt und der nächste rutscht aus.“ Ich stehe am Geländer der Außenbahn und pule ein Kohlblatt nach dem anderen aus der Hose. Von hinten nähert sich Barbara Becker und beschaut irritiert mein sonderbares Treiben. Sie kann sich gar nicht beruhigen und kichert unentwegt. Nun lenken Costas und Wolfgang die Aufmerksamkeit auf sich. Mit einem Tempo von 10 km/h rennen sie hintereinander her. Eine volle Stunde lang! In der fünften Nacht!! Bei Wolfgang sieht das entspannt, locker und gemütlich aus; kleine Erfrischung gegen aufkommende Müdigkeit? Das Tempo berechne ich aus der Frequenz, in der ich überholt werde. Bei Costas sieht das gleiche Unternehmen brutal anstrengend aus. Hinterher ist er total kaputt, pfeift auf dem letzten Loch und kriecht zum Wasserhahn an der Strecke, um Beine und Füße zu kühlen. „Hallo Wolfgang, was hast Du mit Costas gemacht?“ Der Gewaltritt wird ihn den Platz vor mir kosten! Wolfgang wandert nun im Geschwindschritt neben mir. „Gar nichts. Er dachte, er kann mein Hase sein für den absoluten Weltrekord. Leider war es wohl für umsonst.“ Nun nähert sich Edit kichernd. „Frau Professorin, ich brauche auch einen Hasen. Ich möchte ungarischen Rekord laufen! Über 620km brauche ich am Schluss!“ Ultra Professorin? Der neue Titel schmeichelt mir. Ich bleibe eine Weile bei ihr. Die Sache wird voll anstrengend! Soll ich so enden wie Costas?! „Edit! Dein Hase ist platt. Zieh los!“ Längst greife ich begierig nach allen Stundenprotokollen, die rund um die Uhr nach vollen Stunden von Familie „Steppenhahn“ sowohl ins Internet gestellt als auch direkt auf der Bahn verteilt werden. Sie geben der Laufzeit Struktur. „Das Wort zum Freitag mittag, bitte!“ Unbedarfte Zuschauer stehen zu solchen Stoßzeiten mitunter vor einem Rätsel wegen der zahlreichen, in Lektüre vertieften Läufer. Den Vogel schießt eine Schulklasse ab: „Kriegen die Notenzettel?“ Gewissermaßen, ja. Mein fünfter Gesamtplatz scheint nach unten hin, vor Costas und Friedemann Hecke, abgesichert. Allerdings konnte ich den Friedemann nur „dank“ dessen Schienbeinmisere abhängen. Der Mann hat absolut Talent! Sehr hartnäckig, sehr besonnen, 100% zielorientiert. Er hat, nachdem die Tapes von Manfred Leismann ihm nicht wirklich viel brachten, zusätzlich eine Fußhebemaschine konstruiert. Einen Bügel unter den Vorfuß des Schuhes geschoben, das Ganze per Seilzug an der Wade befestigt. Pfiffig! Er wird bis zuletzt den Platz hinter mir und Costas halten können. Ich bin am fünften Tag über 113km weitergekommen. Nochmal 100km drauf, und ich hätte mein 700km Minimalziel erreicht!

6. Tag: Helga bei Tag – einsamer Hase bei Nacht. Meine Knie sind übrigens durch die viele Kohlbehandlung wieder ganz gesund, und froh gelaunt starte ich nach einer kleinen Pause in den letzten Tag. Ich bin nicht die einzige, die Verletzungen wortwörtlich laufend kuriert hat! Jutta Jöhring, die schon verletzt anreiste, springt herum wie ein junges Fohlen. Sie wird an diesem letzten Tag mit über 102km ihr bestes Ergebnis erzielen! Martin Sattler, nach Megaeinbruch am zweiten und vierten Tag, dreht frisch und munter jede Menge Runden. Plötzlich ruft jemand freudig aufgeregt: „Helga ist da!“ Helga? Ich kenne nur eine Helga. Ja! Es ist Helga Backhaus! Viele Runden lang wandert sie im Innenrund entlang, alle aufrichtig aufmunternd. Ich habe sie viele Jahre nicht gesehen; was hat sie sich zu einem feinen, herzlichen Menschen entwickelt! Erst spät am Abend verlässt sie uns, um am nächsten Tag wieder ganz bei uns zu sein. Ich erwarte, dass in dieser letzten Nacht die Bahn brechend voller Leute sein wird. Weit gefehlt! Schon vor Mitternacht verwaist die Piste wie nie zuvor. Edit wandert hartnäckig. Ich schleiche mich an: „Einsamer Hase, hoppelt träge über die Wiese, sucht Anschluss.“ Wir spinnen die Geschichte weiter aus. Uns fallen noch mehr Stimmungsbilder ein. Die dümmsten Einfälle klingen gerade am lustigsten! Michael Krüger, anstatt beschleunigt einzuschlafen, hat mittlerweile – leider - das schlafwandeln gelernt. Ich schiebe ihn gewissermaßen auf Platz 4 vor mir her und werde ihn bis zum Ende nicht einholen können. Auch Jutta und Friedemann sammeln noch fleißig Kilometer. Aber sonst?! Wolfgang bringt es auf den Punkt: „Fade Nacht heute, was?! Keine Konkurrenz da, die das Geschäft belebt.“ Also schalte ich auch um auf pure Eichhörnchentechnik: Kilometer sammeln, bis die Backen platzen!
Es dauert am letzten Morgen lange, bis sich die Bahn wieder füllt. Endlich sind fast alle wieder da, die Beine haben. Lediglich Elke steht teilnahmslos Blick abgewandt am Streckenrand. Es ist nicht ihre Welt geworden. Umso enthusiastischer ist Helga wieder zu Gange. Mit Walter wandere ich lange im Team, bis er sich dem stürmischen Schwedenzug anschließt. Ein Haufen Zuschauer versammelt sich bei schönstem Sommerwetter. Ingo Schulze moderiert mit Witz und Charme in Vertretung des vor Erkältung sprachlosen Sigi. Als Wolfgang mittags den 1000ten Kilometer durchläuft, bleiben wir alle im Start/Zielbereich stehen und applaudieren begeistert. Im Club der 1000 ist er weltweit gerade mal der fünfte! Da ich keine Rundenzeiten mehr kontrolliere, habe ich die Uhr auf Normalbetrieb umgestellt. Sie geht allerdings drei Minuten vor. So verfresse ich selig eine volle Runde am Verpflegungsstand, da ich denke, die Zeit ist eh gleich rum.
Wolfgang siegt haushoch mit 1010,083km und neuem Bahn-Weltrekord. Hans-Jürgen folgt mit 768,670km vor Seigi Arita mit 753,860km und vor Michael Krüger mit 720,230km. Ich freue mich riesig über meine 715,430km. Ach, was besagen nackte Zahlen! Welche persönlichen und gemeinsamen Abenteuer stecken doch dahinter, gemalt mit den Füßen in 144 Stunden. Nun ist das Gesamtwerk vollendet, findet Ausdruck in bewegten Gesichtern und ausgelassener, tiefer Freude. Unmöglich, solch überwältigende Stimmung in Worte zu kleiden!

Alle Einzelheiten und Infos unter
www.cosibullig.de
www.steppenhahn.de


© Martina Hausmann, 30.08.2007

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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