Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Berichte - Ultramarathon beim Steppenhahn (11.2002)

Zufälliges Zitat

"Das war kein Marathon - das war ein Maratyrium"

Bruno Schneiter, Helgoland 21. Mai 2005

Nächster Ultramarathon

Untertage - Sparkassen - Marathon oder ein Berglauf unter der Erde

Ein Laufbericht von Uli Schulte, 100 Marathon Club

330 Kilometer von Bremen entfernt liegt Sondershausen in Thüringen. Hier gibt es die älteste befahrbare Kaligrube der Welt. Im Brüggemannschacht wurde fast 100 Jahre lang das "Weisse Gold" abgebaut, bis die Kaliproduktion nach der Wende im Jahr 1991 eingestellt wurde. Das unterirdische Stollennetz ist mit dem Straßennetz der Stadt Erfurt vergleichbar, und die weithin sichtbare Abraumhalde lässt erahnen, welche riesigen Hohlräume 700 bis 1050 Meter unter der Erde entstanden sind! Heute dient die Anlage als Erlebnisbergwerk. Hier kann man tief unter der Erde in einem Bankettsaal speisen, in einem riesigen Konzertsaal klassische Musik hören, an der tiefsten Theke der Welt Bier trinken, eine Bootsfahrt über einen unterirdischen See machen, heiraten oder auch - Marathon laufen!

Als Winfried Böttjer, meine Frau Irene und Tochter Daniela am Samstag morgen, den 26. Oktober 2002 auf das Bergwerk zu fahren, sehen wir schon von weitem den Förderturm, der uns den Weg weist. Anmelden, Startunterlagen abholen, für Frau und Kind je 10 Euro Besuchereintritt zahlen: schon sind wir auf dem Weg in die Kauen der Bergleute, um uns umzuziehen. Die Kleidersäcke können an Ketten zur Decke hochgezogen werden, meine beiden Damen werden mit blauem Kittel, gelbem Helm und Grubenlampe ausgerüstet. Dann geht es zum Schacht, um in einem doppelstöckigem Fahrstuhl mit 10 Personen pro Etage in die Tiefe zu sausen. Die Fahrt in der zugigen, stockdunklen "Kabine" dauert 3 Minuten. Irene und Daniela wird Angst und Bange, sie wollen raus - Tage später werden sie begeistert von nichts anderem reden, als ihrem "Unter Tage Abenteuer".

Unten angekommen gibt es ein Grüßen mit vielen Bekannten aus der Scene: gut 100 LäuferInnen aus 5 Ländern nehmen am Marathon teil. Ein kurzer Blick in den fürstlichen Speisesaal, Fahrradhelm aufgesetzt - und schon geht es los. Vier Runden á gut 10,5 Kilometer sind zu laufen, je Runde etwa 230 Höhenmeter zu bewältigen. Das sind zusammen fast 1000 Meter - der "Brocken" lässt grüßen!

Nach den ersten fünf Kilometern kommen leise Zweifel in mir auf. Ich bin eigentlich schon ziemlich k.o. Mein Körper stellt sich nur langsam auf die ungewöhnlichen Bedingungen von 25 ° Celsius und 30 % Luftfeuchtigkeit ein. Man beachte: Vor 14 Tagen beim Brocken - Marathon waren es bei eisigem Wind noch gefühlte 25 ° Minus! Werde ich einen guten Rythmus finden? In 2 Stunden und 45 Minuten muss ich die Halbmarathonmarke passiert haben, und mein größter Feind ist ja bekanntlich das Zeitlimit. Der Tunnel ist 3 - 4 Meter breit und ebenso hoch. Ich habe einen trockenen Mund, Salzgeschmack auf der Zunge. Am Rande sehe ich ausgediente Grubenfahrzeuge, konserviert in dem salzhaltigen Klima. Alle 2,5 Kilometer gibt es einen Getränke- bzw. Verpflegungsstand. Die Laufstrecke ist sehr profiliert, vereinfacht gesagt: das erste Viertel ziemlich stark bergauf, das zweite ziemlich viel Gefälle, das dritte ganz steil bergan und das letzte Viertel langgezogenes, leichtes Gefälle. Am Ende der Runde geht es noch einmal steil runter, hier ist die Gefahr, auf dem glatten Boden auszurutschen und sich zu verletzen, besonders gross.

Jetzt findet jeder sein eigenes Tempo, das Feld entzerrt sich, wir sind in der zweiten Runde. Ich laufe eine Wegstrecke mit Tad Lancucki und Peter Graham. Sie sind verantwortlich im 100 Marathon Club UK in England. Wir unterhalten uns auf Englisch über diverse Laufabenteuer. Plötzlich biegt Peter rechts ab. Geht es nicht geradeaus? Ein Markierungsband liegt auf dem Boden. Nach kurzer Zeit merken wie, dass wir uns verlaufen haben. Ein kleiner See? Den gab es in der ersten Runde nicht. Also zurück. Wir sind wieder auf der Strecke. Es wird dunkel. Peter fragt, ob er hinter mir laufen kann, da er sich kaum orientieren kann. Nach einiger Zeit laufe ich ganz alleine. Ich kann die Hand vor Augen nicht sehen. Trotzdem fühle ich mich in dem dunklen Tunnel seltsamer Weise geborgen. Allein das Licht am Ende der Strecke gibt mir Orientierung. Es ist ganz still. Ich bleibe stehen, und ich höre absolut nichts. Nur das Rauschen meines eigenen Blutes. Es geht weiter, und gedanklich entstehen Parallelen zum Leben. Manchmal muss ich im Leben durch einen dunklen Tunnel. Ich kann den Weg nicht sehen. Das Licht am Ende des Tunnels gibt mir Zuversicht, und ich fühle mich trotz aller Widrigkeiten geborgen. Mein Glaube an das "Licht der Welt" gibt mir Stärke und Zuversicht. Jetzt wieder erscheinen mir die Gänge wie Katakomben, dann ein großer, freier Raum, ich bin in einer Kathedrale. Sind es die fehlenden Reize der Aussenwelt, wie Sonne, Landschaften, Farben, die diese Bilder in mir entstehen lassen? Mir wird klar, dass dieser Lauf nichts für allzu sensible Gemüter ist.

Am Ende der zweiten Runde zeigt meine Uhr 2.42.37, ich bin also mit einem guten Polster von fast 3 Minuten unter dem Zeitlimit geblieben. Auf die Frage eines Helfers, ob ich aussteigen wolle, entgegne ich: "Warum sollte ich?". Sehe ich schon so kaputt aus? In der dritten Runde werden die Anstiege immer steiler, die Gefälle noch gravierender, die Geraden ziehen sich bis ins Unendliche. In dem diffusen Licht werden die Gesteinsformationen zu riesigen Gestalten, hier und da zu Monstern. Der Rennarzt schaut mir tief in die Augen. Ich sage: "Es geht schon noch!". Viel Trinken und fleissig Rosinen futtern.

In der vierten Runde geht es dann plötzlich wieder erstaunlich gut. Auf den letzten drei Kilometern kommt eine starke Euphorie auf, und ich werde immer schneller. Liegt das an dem knappen Sauerstoff oder an anderen Stoffen in der Luft? Für das schnellere Tempo werde ich mit einem Krampf gestraft. Erst im hinteren Bereich des Oberschenkels und beim Dehnen auch noch auf der Vorderseite. Jetzt ganz ruhig bleiben. Etwas gehen, etwas dehnen, es läuft schon wieder. Ich möchte gerne unter sechs Stunden bleiben. In 5.58.37 überquere ich die Ziellinie.

Im Ziel gibt es ein freudiges Schulterklopfen und Beglückwünschen. Mit Sigrid Eichner bin ich etwas traurig. Sie hat das Limit der HM Zeit knapp verpasst und wurde aus dem Rennen genommen. Wer Sigrid kennt, weiss, dass sie ihre Stärke oft im zweiten Teil des Rennens entwickelt. Ich bin sicher, sie wäre noch vor mir im Ziel gewesen. Aber Regel ist Regel. Nach einem Gang zur Theke, um den Bon für das Freibier (es gibt Clausthaler...) einzulösen, nach Empfang von T - Shirt, Medaille und Urkunde geht es mit dem Fahrstuhl wieder nach oben. Wie schön kann das Tageslicht, Wind und Wolken und ein Stück blauer Himmel sein. Für mich und meine Familie hat sich dieser Tag sehr gelohnt. Es war unter all den vielen Läufen ein ganz besonderes Erlebnis, das mich sehr bewegt hat und von dem wir noch lange zehren werden!


© Uli Schulte, 100 Marathon Club, Bremen, 01. November 2002
uli-schulte@gmx.net