Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Bericht Steinfurter Marathon - Ultramarathon beim Steppenhahn (03.2003)

Elisabeth Herms-Lübbe , 26. März 2003

Steinfurter Marathon

Mein Mann hatte früher einen Landwirtschaftlehrling aus Westfalen, der Polizist wurde, als im erlernten Beruf die Chancen nicht mehr gut waren. Als Polizist war er im Einsatz beim Steinfurter Marathon, und er war als beruflicher Zuschauer so davon angetan, dass er später selbst dort einige Male gestartet ist. Dann allerdings trat er nicht mehr an. War die Begeisterung verflogen, und wenn ja, weshalb? Ich erahne jetzt den Grund, doch davon später.

Im vollen Auto fuhren wir am Morgen des 22. März 2003 von Vellmar bei Kassel nach Steinfurt. Die Fahrt westwärts war unproblematisch, das Finden unseres Reiseziels auch, die Organisation freundlich, effizient und erprobt, so dass wir noch viel Zeit bis zum Start hatten. Ich ging in die Cafeteria, und welch ein überwältigender Anblick: Torten, Torten, Torten! Torten auf Tischen, Torten die Treppe hoch, so viele habe ich noch nie versammelt gesehen. Die geballte Stofflichkeit beeindruckte mich. Inszenierte Üppigkeit ganz im Geist von Joseph Beuys, dachte ich mir als Kasseler Kunstliebhaber und Documenta ? Besucher. Auch er kam aus Deutschlands äußerstem Westen. Seine Honigpumpe war seinerzeit in Unmengen von wabbeliger Margarine gelagert. In Berlin im Hamburger Bahnhof ist eine Installation, die im Wesentlichen aus Kubikmetern von Rindertalg besteht, so hoch und so viel, dass man Schwierigkeiten hätte sie zu überklettern, wenn man denn auf einem Kunstwerk klettern dürfte.

Wir begaben uns zum Start vor dem von der Ausschreibung vertrauten mittelalterlichen Hintergrund mit der Fachwerkburg. Sie ist auch auf der Medaille, die es später gab. Außer Marathonis starteten noch Inlineskater sowie Rollstuhlfahrer, ihr Gerät beneidenswert elegant, grazil und schnell; Walker kamen hinter uns. Es war ein warmer Frühlingstag, viele Läufer waren in ?kurz?, die Sonne schien und die Pollen flogen. Als sparsamer Mensch hatte ich mich schon zu Weihnachten angemeldet und dabei meinen Heuschnupfen vergessen, der mich wie jedes Jahr um diese Zeit heimsuchte. Ich hatte zwar ein Medikament genommen, aber ich kam schwer in Schwung, und am nächsten Tag schmerzte mir die Lunge wie in vergangenen Rauchertagen nach lebhaften Nächten.

Die Strecke hat zwei Runden und ist eigentlich landschaftlich nicht so schön, eher ein Querschnitt durch deutsche Realität. Zuerst geht es ungefähr fünf Kilometer auf einer recht stark befahrenen Straße längs, die sich, je zur Hälfte, Läufer und Autos teilen, und dann durch Felder bis nach Borghorst, einer zum Stadtbrei ausgeuferten Kleinstadt. Es dauert etliche Kilometer, bis man dadurch ist, aber das liegt an der nicht gradlinigen Streckenführung. Danach läuft man wieder, teils auf Radwegen, an Feldern längs, bis Burgsteinfurt, ebenfalls von Stadtbrei umgeben, den Läufer wieder hat. Nach Durchquerung der Altstadt mit Fußgängerzone kommt das Ende der Runde. An der ganzen Strecke waren viele Ordner mit gelben Hemden sowie Feuerwehr, Krankenfahrzeuge und Polizei postiert, die die Läufer leiteten, denn Markierungen gab es kaum. Die Anzahl überraschte mich, auch hier westfälische Üppigkeit.

Die erste Runde war noch halbwegs kurzweilig. In Borghorst säumte lautes Publikum unseren Weg, eine Stimmung wie bei einem Stadtmarathon. Ein Sprecher begrüßte hier alle Läufer. Kurz vor mir lief jemand, der gewaltige Entfernungen zu Wasser, zu Rad und zu Fuß bewältigt hatte, ich habe es nicht so genau verstanden, es war wahrscheinlich der dreifache Ironman, ?an einem einzigen Tag?, sagte der Sprecher. Auch meine Wenigkeit wurde erwähnt, ?Wo ist sie denn??, ich war schon längst vorbei und hob noch einmal die Arme. Bald kam am Straßenrand ist eine ganz neue Kapelle zur Andacht für Reisende, wenn ich es richtig erkannt habe. Wir reisten jedoch zu schnell, nur einen Marathoni sah ich sie aufsuchen, eher ihre Rückseite, zwecks ?Männerpause?.

Kurz vor Schluss der ersten Runde hörte ich Helfer sagen: ?Das könnte einen Streckenrekord geben!? Mit langen Schritten lief ein Afrikaner an mir vorbei, gefolgt von zwei Europäern, alle drei gut anzusehen in ihrer Geschwindigkeit. Auch mir wurde Applaus zuteil, weil die Leute gerade so schön am Klatschen waren.

Das war mein letztes heiteres Erlebnis. Es ging in die einsame zweite Runde. In Borghorst stand kein Publikum mehr, nur noch einige Kinder nahmen Kenntnis von mir, sie spielten sowieso draußen bei dem schönen Wetter. Irgendwie hatten wohl schon einige Helfer die Geduld verloren und waren unaufmerksam, jedenfalls lief ich falsch und kam an die Stelle, wo vor geraumer Zeit der Ansager gestanden hatte. Ich fragte nach dem richtigen Weg, denn ich musste noch über eine Matte für die Zeitnahme, das war mir in Erinnerung. ?Wat?n für ?ne Matte?? Keiner konnte mir helfen, und ich lief gegen die Strecke, bis ich meinen Ausgangspunkt ungefähr wieder hatte. So kamen rund zwei zusätzliche Kilometer zustande. ?Sind Sie Letzter??, fragten mich mehrfach Kinder. ?Sie werden Verlierer!? rief mir eins zu, es hatte gar nicht so unrecht, brachte es doch den Geist der Veranstaltung auf den Punkt. Meine Motivation war nicht mehr groß. ?Benehme ich mich falsch, indem ich hier laufe??, fragte ich mich, wie man sich so fragt, wenn man ganz allein etwas tut. Ich konnte nichts Falsches erkennen, hält mich doch das Laufen gesund, halbwegs ansehnlich und sanftmütig, so sanft, dass neulich im Wald nicht einmal die Rehe vor mir Angst hatten, vielmehr begaben sie sich ohne Hast nur ein gewisses Stückchen weg von mir und beäugten mich von dort mit ihrem Kuhblick. Hier war doch ein Volkslauf, nicht wahr? Wo sind denn nur die Frauen, die so wie ich mit durchschnittlicher Mutter-Geschwindigkeit laufen? Väter mit normaler Vater-Geschwindigkeit sind ja auch da. Ach ja, Mutter standen mal wieder am Rand, denn heute war eher Vatertag. Jetzt hätte ich gern zur Aufrüstung ein T-Shirt getragen, das ich mal auf einem Jahrmarkt gesehen habe und auf dem stand: ?Alle sind doof außer ich?.

Ganz kurz vor dem Ziel in der Altstadt wäre ich wieder fast falsch gelaufen. Die Kunden einer Würstchenbude riefen mir noch zu ?Hier geht? s längs!? Keiner begrüßte mich im Ziel, die Matten wurden eingerollt, die Schnüre darunter piepten aber noch. Männer tranken Bier. ?Ich brauch jetzt auch eins?, sagte ich, es war aber für mich keine Flasche mehr da, so gaben sie mir von ihrem etwas ab. Auch die Rosen für die Frauen waren alle weg, ebenso wie die Medaillen, von denen ich später aber noch eine bekam. Aber die Duschen waren warm und von westfälischer Üppigkeit wie Anzahl des Streckenpersonal und Torten. Schade, ich habe vor der Heimfahrt versäumt nachzusehen, ob sie gegessen worden sind.

Der Steinfurter Marathon ist ein geschwindigkeitsorientierter Lauf, etwas entfernt vom Gedanken des Breitensports, besonders geeignet und genutzt zur Selbstdarstellung schnellerer Läufer. Wer langsam ist, kann dort mentale Stärke trainieren, die man ja allgemein braucht in heutiger Zeit, aber kann auch leicht die Freude am Volkslauf verlieren. So ist es vermutlich dem früheren Lehrling meines Mannes ergangen, als er älter wurde und seine Schnelligkeit nachließ, ich werde demnächst nachfragen.


© Elisabeth Herms-Lübbe , 26. März 2003
isaherms@hotmail.com