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Jürgen "FunRunny" Hoffmann , 18. August 2004100 Km Dodentocht oder Ultra-Duschen
Die Idee den Dodentocht (Todesmarsch) zu machen kam mir, nachdem ich den Bericht von Frank Hildebrand beim Steppenhahn gelesen hatte. Klar, warum zuerst nach Biel, wenn Bornem liegt so nah? Konnten wir (meine Frau und ich) doch so endlich auch mal wieder eine Bekannte in Brüssel besuchen.
Die Vorbereitung:
Wie sollte ich mich auf ein solches Vorhaben, 100 Km laufen, und dann noch ohne viel Schlaf vorbereiten? Ich plante Wochenkilometer von 90 bis 120 in den 8 Wochen vor Dodentocht. Außerdem Nüchternläufe in den frühen Morgenstunden ab 4 Uhr und ab und zu Doppeleinheiten will heißen Morgens 11-14 Km und abends 15-20 K und zum Wochenausklang jeweils einen Langen Lauf 30-35 Km. Der letzte lange Lauf war der Monschau-Marathon 5 Tage vorher.
Die Anfahrt:
Freitag der 13! Darauf gebe ich nichts, also wie immer um 5:30 Uhr aufstehen, Frühstück, zur Arbeit. Um 12:00 Uhr nach Hause und die Sachen gepackt, noch schnell den Rest Nudeln vom Abend gewärmt und verdrückt, Auto vollgetankt und über die A3 Richtung Köln. Am Heumarer Dreieck der 1. Stau, dann recht zügig bis Leuven, quälend langsam durch Mechelen und jetzt war schon klar, den Treffpunkt 17:30 Uhr am "Tent" mit Florian und Bruno würde ich nicht schaffen, aber wozu gibt’s Telefone? Die beiden wollten dort auf mich warten. Ich fand sogar einen Parkplatz am Bahnhof in Bornem und dann ab zum Treffpunkt. Bruno hatte schon 2 Bier getrunken und irgendwie "Hummeln" im Hintern. Das Abholen meiner Startkarte dauerte genau 2 Minuten, jetzt mußte noch ein Erinnerungs-T-Shirt her. Ich kaufte es gegenüber im Dodentocht-shop.
Langsam füllte sich der Platz mit Wanderern und der Himmel mit Wolken. Bruno und Florian suchten sich ein Lokal wo Sie die Wartezeit bis zum Start trocken und sitzend überbrücken konnten. Wir vereinbarten einen neuen Treffpunkt am Gepäckzelt um 20:00 Uhr. Inzwischen hatte unsere Bekannte aus Brüssel meine Frau in Bornem abgeholt, die Mädels konnten also einen gemütlichen Frauenabend verbringen während ich mir die Nacht um die Ohren schlagen wollte. Ein heftiger Gewitterregen prasselte so gegen 18:30 Uhr nieder, danach wieder trocken, na ja, wenn’s so bleibt.
Die Ausrüstung:
Laufsocken Falke RU4; Schuhe ASICS GT2080; Unterhose von Odlo; Laufhose und Hemd aus Funktionsstoff; Kappe vom Köln-Marathon 1999; Windjacke von Gonso, faustgroß zusammengepackt.
Gepäck am Mann in Gürteltasche von Deuter (3 Liter Volumen), Inhalt:
4 Cornys; wasserdichtverpacktes Ersatz-Laufhemd; wasserdichtverpackter Personalausweis, Scheckkarte, 30 Euro, Autoschlüssel; kugelschreibergroße Taschenlampe von Maglite mit 2 Ersatzbatterien, Papiertaschentücher; Windjacke.
Der Start:
Zurück zum Auto, Laufsachen und Gepäck an, noch schnell 2 Bananen und ein Corny reingedrückt 0,5 Liter Wasser getrunken und ab zum Gepäckzelt. Kein Bruno und kein Florian zu sehen, dafür aber Tausende Wanderer und hier und da auch mal ein Läufer. Durchs Gewühl am Marktplatz zu den Dixis gekämpft, Blase entleert, zurück durchs Gewühl zum Start. Hier wollte ich nach Florian und Bruno suchen, keine Chance, alles stand dicht an dicht und ich konnte mich nicht nach vorne durchmogeln, also abwarten. Um 20:40 Uhr begann es regnen, die Wanderer spannten Ihre Schirme auf, ich zog die Kappe auf und ein Blick in den Himmel versprach nichts Gutes, alles schön einheitlich grau. Kalt war es noch nicht, aber die Feuchtigkeit, das schweigende Warten und der Zigarettenqualm (!!!) der umstehenden Wanderer trugen wenig zu meiner Erheiterung bei, erste Zweifel machten sich breit.
Dann endlich um 21:00 Uhr der Start, langsam schob sich der Tross der 8000 vorwärts. An Laufen war nicht zu denken, genau wie Arnd Jünnermann es im Forum beim Step beschrieben hatte.
Der Lauf:
Ich überholte nun am rechten Straßenrand zickzack laufend mit einigen anderen Läufern und Soldaten in Uniform die Wanderer bis nach so ca. 35 Minuten das Laufen erstmals einigermaßen ohne Hindernisse möglich wurde. Dort vor mir, das war doch Florian, oder? Ja, er war es unverkennbar mit den Dodentocht-Buff. Er erzählte mir von Brunos Mißgeschick, Bruno hatte seine Startkarte verloren, deshalb konnten Sie nicht am Gepäckzelt warten. Ich erkundigte mich noch nach Brunos Outfit und verabschiedete mich von Florian. Bruno konnte laut Florian noch nicht weit vorne sein. Inzwischen war es wie beim einem richtigen Lauf, nur noch Läufer um mich herum, und nur ganz vereinzelt Marschierer. Da, Bruno mit grellgelber Warnweste und seinem unverkennbaren Laufstil. Eine kurze Plauderei, ein paar Hundert Meter gemeinsames Laufen, die Erste Getränkestelle, dann wieder solo, Bruno blieb zurück.
Richtig naß war ich bereits ab 22:00 Uhr, und ab 23:00 Uhr hatte ich auch wassergekühlte Füße. Der Funktionsstoff meiner Laufbekleidung vermittelte mir allerdings kein klatschnasses Gefühl, hat wohl doch irgendwas, dieses high-tech-Zeugs.
Gelaufen wurde bis jetzt auf asphaltierten Straßen und Wegen, absolut kein Autoverkehr. Übrigens, wenn es nicht regnete, schüttete es. Ein Handbiker vor mir kurbelte unermüdlich und fuhr ungefähr mein Lauftempo, würde er es 100Km durchhalten? Irgendwann zog ich an Ihm vorbei. Bornem, wir durchliefen den Zielkanal in anderer Richtung. Tausende Zuschauer bejubelten uns, es war ein Gefühl wie beim Köln-Marathon. Musik dröhnte und alle waren super drauf. Nach 15 Kilometern war ich körperlich in guter Verfassung, aber Trinken mußte ich jetzt unbedingt. Die Erste richtige Verpflegungsstelle kam dann auch in Roddam nach 16,8 Km, leider gab es nur ISO und fürchterlich süße Puddingteilchen, die durch den Regen auch noch schön aufweichten.
Der Warum-Kilometer kam diesmal ziemlich früh, warum laufe ich hier halb nackt im strömenden Regen nachts durch Flandern? Welche Chance hatte ich? Aufhören, und dann? Nachts nach Brüssel zu meiner Frau und unserer Bekannten? Und wenn ich Ihre Wohnung nicht finde? Nein nicht aufhören, ich will laufen, deshalb bin ich hier. Mir fiel ein Refrain aus einem Lied der Toten Hosen ein, "Steh‘ auf wenn Du am Boden liegst...". Ich wollte das Drama so schnell wie möglich hinter mich bringen und habe ab diesem Zeitpunkt alles darauf fokussiert. Ach ja, noch was zu den Zuschauern.
Die Zuschauer:
Schon beeindruckend, wie die Einwohner der Orte den Dodentocht feierten. Sie saßen auf Stühlen unter Regenschirmen am Straßenrand, wer sind hier die Verrückten, die Teilnehmer oder die Zuschauer? In den Garagen waren Musikanlagen aufgebaut, Straßengrillfeste wurden trotz Regen gefeiert und in den Dörfern gab es Zelte mit jeder Menge Remmidemmi. Mancherorts spielten Livebands. Das änderte sich auch bis weit in den Morgen nicht.
Zurück zum Lauf:
Als es gegen Mitternacht richtig kalt wurde, habe ich die Jacke angezogen, naß war ich dann zwar auch noch, aber es kam wenigstens kein Wind durch. Die schon zurückliegende erste "Sonderprüfung" im Wald mit den Matschlöchern war noch nichts gegen den ersten unbefestigten Feldweg der jetzt kam, tiefe Pfützen ohne Ende, knöcheltiefer Schlamm und nichts als Wasser ohne Ende von oben. Wie eine Wildsau pflügte ich dadurch, mir war alles egal, es begann sogar Spaß zu machen. Was wohl der Handbiker hier gemacht hat?
Am Verpflegungspunkt der Duvel (Teufel) Brauerei gab es dann endlich mal Starkregen, das Wasser lief mir aus den Ärmeln und ich kippte mir zusätzlich noch zwei Becher Wasser in die Figur (ich hatte vorher schwarzen Tee erwischt, das war nicht der Bringer). Der Dodentocht ist halt eine Wanderung und richtet sich mit Getränk und Essen nach den Bedürfnissen der Wanderer, hatte ich fast vergessen.
Ich war jetzt zu 2 jungen Belgiern aufgelaufen, die wie ein Uhrwerk gleichmäßig die Km abspulten. Ohne mit einander zu sprechen bildeten wir eine Zweckgemeinschaft und pflügten in einer Dreierkette stumm durch die Schlamm- und Wassermassen. Es bereitete mir jetzt richtig Freude, wir gewannen Km um Km und wurden nur manchmal von Fahrradfahrern überholt. Ich vergaß zu erwähnen, das es immer noch wie aus Eimern goß. Ich nahm den Regen nicht mehr war, nach 5 Stunden Dauerduschen gewöhnt man sich halt daran, nur die Finger waren schrumpelig wie nach einem langen Bad in der Wanne.
Mein 2. Corny für diese Nacht linderte das aufsteigende Hungergefühl. Das Essen an den Verpflegungspunkten sagte mir nicht zu, ich wollte auch kein Risiko eingehen und trank also immer nur einen Becher Wasser. Nach 5 Stunden und 41 Minuten erreichte ich das 50 Km Schild, ha, Bergfest, ab jetzt ging‘s abwärts mit den Km. Bei der Palm Brauerei gönnte ich mir eine heiße Suppe, das tat richtig gut, auch das Sitzen. Schade, schon wieder eine Brauerei und ich will Laufen. Hier konnte man übrigens sein Gepäck vom Start hinbringen lassen, und wider retour zum Ziel. Aber was hätte ein Kleiderwechsel gebracht? Trocken für 10 Minuten und dann genau so naß wie vorher. Außerdem, wenn man als Läufer ziemlich früh (gegenüber den Wanderern) im Ziel ist, wie lange wartet man dann im Ziel auf sein Gepäck?
Weiter, weiter hinaus in die Nacht. Die Strecke wurde einsamer, nur ab und zu wurde ich von einem Läufer mit Fahrrad-Supporter überholt. Jetzt mußte ich selbst auf die Streckenführung aufpassen, aber die Beschilderung war sehr gut, normaler Weise konnte man sich nicht verlaufen. Bis zur nächsten Station in einer Sporthalle begleitete mich nur der Dauerregen aber das Laufen machte immer noch Spaß. Im Vorfeld hatte ich mir Gedanken über die Müdigkeit (ich war jetzt immerhin seit 22 Stunden ohne Schlaf auf den Beinen) gemacht, Müde? Keine Spur! Wie auch, beim Duschen bin ich noch nie müde geworden.
So einsam durch die Nacht machte Spaß, ich konnte die Gedanken schweifen lassen und empfand tiefe Zufriedenheit. An einer Wegegabelung entdeckte ich 3 Läufer, die die falsche Richtung genommen hatten, durch lautes Rufen wurden Sie auf mich aufmerksam und kamen wieder auf den "rechten" Weg, der aber nach links ging. An einer erneuten Abzweigung mitten im Feld blieb ich stehen da ich die Dodentocht-Aufkleber auf dem Boden nicht sehen konnte. Ich suchte die Umgebung ab und fand das Hinweisschild an einem Pfosten. Mittlerweile war ein Belgier zu mir gestoßen der fast so schnell marschierte wie ich lief. Ich blieb bei Ihm und marschierte mit. Wir haben uns glänzend über Gott und die Welt unterhalten und nicht mehr auf die Wegmarkierungen geachtet. Wir hatten uns tatsächlich verlaufen. Zurück marsch marsch. Unterwegs sprach er einen haltenden Autofahrer an und bat Ihn, doch nach der Abzweigung, die irgendwo hinter uns sein mußte , zu suchen. Er tat es und fand sie. Zwei Kilometer hin und zurück macht 4 Km, na ja, jetzt aber aufgepaßt, das darf nicht mehr passieren.
An unserer verpaßten Abzweigung begann der "Horrorfeldweg" und Laufen wurde unmöglich. Wir balancierten und glitschten wie Primaballerinas mit ausgebreiteten Armen. Sofort bekam ich kalte Füße, da ich immer wieder abrutschte und in knöcheltiefe Pfützen trat. Nachdem diese Passage überstanden war, lief ich immer solange, bis das Wasser aus den Schuhen war, dann gönnte ich mir auch mal kurze Gehpausen. Mein 3. Corny war fällig. So gestärkt verabschiedete ich mich von meinem Begleiter, bedankte mich für die nette Unterhaltung und lief in den grauenden Morgen, es regnete noch, allerdings nicht mehr so heftig. Ich lief jetzt im gemütlichen GA1 Tempo und "sammelte viele Läufer ein. Die 75 Km Marke passierte ich um 6:30 Uhr. Es ging durch wunderschöne Wohngegenden mit herrlich verklinkerten Häusern, die von gepflegten Gärten umgeben waren.
Es kamen keine Läufer mehr von hinten, und auch vor mir war es sehr einsam. So um 8 Uhr kam die Sonne und ich habe mich dann noch mit einem Niederländer, der auch in Monschau gelaufen war, sehr nett auf Deutsch unterhalten (er hatte bereits weit über 100 Marathons und mehrere 100er hinter sich). In der Sporthalle der Verpflegungsstelle St.-Amands machten wir gemeinsam Pause. Hier gab es Twix, Mars und andere Schokoriegel, das war was für mich! "Mars gibt verbrauchte Energie sofort" lautete mal ein Werbespruch in den sechziger Jahren, das konnte ich jetzt live testen. Die letzten 10 Km begannen wie ein frühsommerlicher Morgenlauf. Es ging über den Damm an der Schelde entlang. Ich wechselte trotz "Mars" in den 2-Minuten-Gehen und 8-MinutenLaufen- Rhythmus.
Ab jetzt war sogar meine Kleidung, bis auf Socken und Schuhe, wieder trocken. Dann der letzte Kontrollpunkt bei Branst, nur noch 6 Km. Sollte ich hier ein Bier trinken? Nein, ich mußte ja noch Auto fahren, also nur wieder Wasser und weiter auf dem Damm der Schelde. Ich lief einem Läuferpaar hinterher, immer weiter, weiter, weiter. Plötzlich hörte ich lautes Rufen hinter mir, ich hatte mich zum 2. Mal verlaufen. Die Läufer vor mir hatten mit dem Dodentocht nichts zu tun. Gott sei Dank diesmal nur 500 Meter zuviel, aber immer hin es machte auch 1 Km aus, und mit denen der Nacht schon 5 Km. Eigentlich wäre ich ja jetzt schon im Ziel, warum laufe ich denn noch?
Jetzt werde ich nacheinander von 3 Läufern eingesammelt und mobilisiere die letzten Reserven. Gehen, Laufen, Gehen, Laufen. Ich stelle fest, Laufen geht eigentlich besser als Gehen. Am Ortsrand von Bornem beginne ich wieder zu Laufen, der Ort ist noch richtig ausgestorben, die Zuschauer hatten ja auch eine anstrengende Nacht und lagen bestimmt noch in den Betten. Fünfhundert Meter vor dem Ziel kam dann der Abschlußregenschauer und die Trockenheit hatte ein Ende. Als ich in den mit Panikgittern abgesperrten Zielkanal einlief, spielte der Veranstalter für mich (ich war ganz allein) "Bridge over Troubled Water" von Simon & Garfunkel (paßte irgendwie), und das Wasser stand mir diesmal in den Augen. Nach 12:41 Stunden im Ziel, Annanas, Gladiole, Orden und Urkunde empfangen und jetzt erst einmal setzen, Wow!!!
Die Organisation:
Einfach alles super! Man bedenke, es war eine Wanderung wo auch gelaufen werden durfte. Besser geht es nicht. Ein Rundum-Sorglos-Paket für Euro 22,-- bei über 8000 Teilnehmern. Ideal für 100 Km Premieren. Ein nettes Feature für die daheimgebliebenen Angehörigen ist das scanning und tracking per Internet.
Glückwünsche:
Herzlichen Glückwunsch auch an meine beiden Mitläufer und Steppenhühner Bruno Schneiter und Florian Bechtel. Sorry Jungs, ich konnte im Ziel nicht auf Euch warten, ich wollte mal "richtig" baden, so mit "HEISSEM" Wasser und belgischem Bier in der Hand.
Fazit:
Heute, vier Tage nach dem Lauf muß ich noch dauernd an den Dodentocht denken, nur die Arbeit holt mich in die Realität zurück. So war es auch nach dem RU 2003.
Meine Ausrüstung war OK, nur Taschenlampe und Ersatzlaufhemd waren absoluter Quatsch. Diesen Lauf werde ich nie vergessen. Am Anfang war es mentales Härtetraining, aber ich habe sehr viel gelernt, und glaube: Bei "schönem" Wetter wäre ich nicht so gut durchgekommen. Das es mir dann plötzlich richtig Spaß machte, kann ich mir nur so erklären: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, oder ich wollte meine Tochter nicht enttäuschen, die im Netz meinen Lauf verfolgte. Wer als Läufer Dodentocht 2004 "überlebt" hat, ist reif FÜR BIEL 2005!!!
© Jürgen "FunRunny" Hoffmann, 18. August 2004
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