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Stop, leider geschlassen!

 

Bericht 5. Röntgenlauf - Ultramarathon beim Steppenhahn (11.2005)

Zufälliges Zitat

"Das wichtigste des ersten Schrittes ist die Richtung, nicht die Weite."

Unbekannt

Nächster Ultramarathon

Gottfried Oel , 17. November 2005

5. Röntgenlauf

Am 30. Oktober 2005 in Remscheid
63, 3 km

Vom wackeren „Fähnlein der Sieben Aufrechten“(1), die beim LLC Marathon Regensburg zum Ultralaufen gefunden haben, entfliehen zu viert am Samstag den 29. Oktober dem Regensburger Graunebel Gerald, Eckhard, Ines und Gottfried, um den in der Weitlaufszene schon bemerkenswert bekannten Röntgenlauf in Remscheid unter die Füße zu nehmen. Anlässlich zum 100. Jahrestages der Nobelpreisverleihung an Wilhelm Conrad Röntgen, dem berühmtesten Sohn der Stadt Remscheid, wurde der bereits seit 1930 bestehende, vom Sauerländischen Gebirgsverein angelegte Weg „Rund um Remscheid“ 1995 in „Röntgenweg“ umbenannt. Dieses Jahr wird dieser Lauf nun schon zum 5. Mal ausgetragen, bislang jedoch oft an sturmgeplagten Tagen, im grauen Nebellicht und auf rutschigen Waldpfaden, die im Dauerfall des Novemberregens etappenweise schwerlich zu passieren waren. Heute aber scheint die Sonne so kraftvoll und wird diesen Tag noch einmal mit einer letzten Wärme füllen. Mittlerweile gehört dieser Lauf zu den größten und beliebtesten Landschaftsläufen in Deutschland; mit 63, 3 km und fast 1200 Höhenmetern – wer ihn in einem Stück läuft, ein bestimmt anspruchsvoller Trail durch das Bergische Land.

Gottfried Oel beim Roentgenlauf 2005

Wo diese bayerisch fremde Gegend läge, fragten wir Iris, die die anstoßende Idee zu diesen Lauf gab und die sich aufgrund unumstößlich zu hinterfragender weiblicher Intuition (aber mit ziemlich ungesicherten geographischen Material) sicher war, dass das Bergische Land auf jeden Fall benachbart den „Kasseler Bergen“ zu finden sei.

Weil wir es auch nicht besser wussten, - wir ahnten natürlich etwas(2)-, weil der Lauf im Fahrbereich unserer für Heuer noch unabgegoltenen Abenteuerlust lag, wir uns nach einem 50 km Lauf (Ekkehard und Gerald beim Alp Marathon) noch nicht ausgelastet genug fühlten, uns die lockende Herbstsonne noch einmal ins Freie zwang, entschieden wir uns zu Fahrt und Start spontan.

Der Röntgenlauf lockt schon lang Deutschlands Ultras an. Diesmal sollte im Hotel Mercure, dem offizielle Marathonhotel, eine Luxusunterkunft auf uns warten, von Gerald gebucht; ein seltener Genuss für Ultraläufer, hochwillkommen natürlich, da sie meist während der Wettkämpfe – dauern sie 6 Stunden, 12 Stunden, 24 Stunden oder gar mehrere Tage – in Zelten oder Turnhallen nächtigen müssen. Ultramarathonveranstaltungen sind – meist, aber nicht in der Regel – weit entfernt von der Pauschaltouristik der Marathonwettbewerbe. Wer sich auf lange Strecken wagt, dem hilft zum Bestehen des Laufes - im günstigsten Fall - eine innere Einstellung, wie sie von Epiktet im System der Stoa(3) gelehrt wurde: „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von den Dingen“. Die Qualität eines Umstandes (ungünstige Wettkampfbedingungen etc.), mag diese mich ärgern oder quälen liegt nicht ausschließlich in dieser selbst, sondern darin, wie ich empfinde und emotional darauf reagiere. Mein Wirklichkeitsraum besteht wesentlich aus meinen Urteilen, weil wir allzu leicht die „Dinge“ mit unseren subjektiven Vorstellungen identifizieren oder verwechseln

Wir fanden also den Weg nach Remscheid, neben Solingen und Wuppertal die dritte Großstadt im Bergischen Land. Der Naturpark Bergisches Land, 1973 gegründet, ist über und über bedeckt mit Buchenwäldern, ein 300 bis 400 m hoher Gebirgsstock, zusammengefaltet und geschoben durch Urgewalten des Mesozoikums, zerschnitten und gespalten durch unzählige Bäche und plätschernde Rinnsale, die Täler oft kaum 50 m an der Sohle messend.

Um 8:30 Uhr, sonntäglich milde beschienen von einer Sonne, die uns dankbare Wärme und Heiterkeit spendet, warteten wir mit 3. 500 Läufern auf den Start, der nicht kommen wollte, da in der Innenstadt Autos noch die engen Wege durch die Altstadt blockierten.

Neben ca. 400 Ultras (bei welchem Rennen kommen schon einmal so viele zusammen?), starten auch die Marathonis und im stärksten Kontingent natürlich die Halbmarathonläufer. Der Lauf führt mit einer relativen Kantenlänge von 15 km, viermal die Himmelsrichtung wechselnd, um die Stadt Remscheid. Auf der zu durchlaufenden Strecke befinden sich die Ziele für Halbmarathon und Marathon, die der Ultraläufer jeweils zu durchlaufen hat. Wer dreimal die Halbmarathondistanz hintereinander laufen kann, bedauert die Halbmarathonläufer wegen ihres Erlebnisdefizits; die Marathonläufer dagegen beneidet er, selber möglicherweise schon bedauerlich müde geworden, ob ihres guten Ankommens im Freibad Eschbachtal. Aber erst jenseits des Marathonziels wartet die wahre Herausforderung, das wissen Weitläufer; hier erst findet man erhoffte Genugtuung und vollkommene Zufriedenheit.

Die Ultramarathonszene ist eine kleine Familie. Man trifft sich immer wieder bei Läufen. Was man gemeinsam durchgestanden hat, verbindet ungemein. Gottfried Oel beim Roentgenlauf 2005Iris trifft Lothar Preissler vom 7- Tage Lauf Genf-Basel, „Isy“ Steppenhahn (die ultimative Internetseite zum Thema Ultramarathon!), zwängt sich als hätte er mich gesucht in die dichtgedrängte Reihe, fast provozierend submaximal relaxt; mit Olaf Schmalfuß, vom Isarlauf, noch im heiligen Fluidum des Spartathlonbewältigers, gibt es ein herzliches Wiedersehen, begleitet von Erwin Bittel (www.team-bittel), den ich erst nächsten Sonntag beim LGA-Inndoor-Marathon in Nürnberg unvergesslicherweise (unter der Dusche) kennen lernen werde.

Nach nun doch endlich erfolgtem Start, wir hätten auch weiterhin keine Einwendungen erhoben noch weiter zu warten (und zu ratschen), beginnt der Lauf mit einer Pendelstrecke die hinunter nach Lennep, einem Stadtteil von Remscheid, ins alte dörfliche Zentrum der Stadt führt. Sigrid Eichner mit ca.1050 Marathon unangefochtene Weltrekordlerin und gerade vom „Badwater“ zurückkommend, überholen wir grüßend. Achim Heukemes (lief u. a. vom Nordkap nach Sizilien und durch Australien dieses Jahr) kommt auf der Pendelstrecke unermüdbar entgegen. Mensch, welch ein Städtchen! Schiefergrau sind die Fassaden und Dächer der Häuser, mit weißer Farbe die Fenster und Türen bemalt, mit Grün die Fensterläden und die Dachrinnen. Der Dreiklang der Farben (Grau/Weiß/Grün) prägt das bauwerkliche Landschaftsbild. Im Innern dieser Städte findest du unerwarteterweise fast dörfliche Beschaulichkeit; kleine Läden, Kneippen, Bistros. Beim Vorbeilaufen entdecken wir das Röngtenmuseum, das heute nach unserer Rückkehr in die Stadt leider schon geschlossen hat.

Gottfried Oel beim Roentgenlauf 2005

Weit hinaus zieht der lange Strom der Läufer, hinab in schattige Täler, die von der Endoktobersonne nie mehr beschienen werden; wieder hinauf zum Gegenhang geht der Weg, drahtumzäunte Wiesen auf denen passend zur Hausarchitektur grau-weiß gefleckte Kühe wiederkäuend uns gänzlich ignorieren.

In diesen „Halbmarathonabschnitt“ laufen wir durch Bauernland mit Hütewiesen, die Hügel liegen offen, ohne aber horizontale Weitblicke zu gewähren. Eine Stadtshilouette erregt meine Neugierde. Dreimal frage ich Mitläufer um welch türmenden Ort des glänzenden Schiefergrau es sich dort drüben handle? Der jungen Läuferin, der es gelingt mir zwischen hochfrequenten Atemzügen, gerade einen steilen Feldweg hochlaufend, gepresste Auskunft zu geben, danke ich nur knapp; ihre Ablehnung mir gegenüber spürend: Remscheid also!

Gottfried Oel beim Roentgenlauf 2005

Wir tauchen ein in das Waldland – welch ein kosmisches Spektakel des Lichtes. Köstlich ist es irdisch zu sein. Von Farben in allen Schattierungen des Rots trunken nehme ich Abschied vom Lauf- und Lebensjahr 2005, nicht mit Wehmut wie sonst, sondern heute unter diesen Lichtdom geborgen in Verheißung und Verkündigung zukünftigen Erlebens. Die Stirn ist erhitzt, ich atme Licht, bin selbstvergessen.

Die 10km Marke ist schon nach 1 h und 2 min. erreicht, was bei meinem Trainingsstand (katastrophal) und dieser Tal- und Bergstrecke (phänomenal) mich doch erstaunt. Gleich danach überqueren wir die Autobahn A 1 auf einer schmalen Fußgängerbrücke. Die Sonne scheint noch von Westen in unsere Gesichter, jedoch auf Sonnenbrillen konnten wir verzichten. Vom Lauf durch eine erneute Großstadt, Lüttringhausen, bemerke ich nichts. Die Gottfried Oel beim Roentgenlauf 2005Wegpfade führen mitten durch eine unberührt gebliebene Mittelgebirgsregion. Der Anschein täuscht uns aber nicht. Die Miniaturhaftigkeit der Landschaftsform, die engen Täler messen im Talgrund kaum 30 – 50 m täuscht die Unberührtheit nur vor. Der Lärm der Bundesstraßen und Autobahnen mischt sich als Hintergrundakustik doch gar oft mit dem plätschernden Gesang der Bäche. Die Städte kraken ins Umland, fressen den Wald, entlang der Bäche und Niederungen schieben sie ihre hohen Mauerfronten(4). Eine Läuferin vor mir bleibt an einem Wurzelstock hängen und stürzt schwer. In schneller Folge wechseln rigide Auf- und Abstiege, von der blendenden Helle auf den Höhenrücken zur schattenbedeckten Talseite wechselnd. „Achtung Läufer!“ Schilder warnen uns vor gefährlichen Übergängen über so manch stark vom Ausflugsverkehr frequentierte Straße. Es gäbe ein Gedränge und Geschiebe, wir stritten uns gewiss um schnelleres Fortkommen, wären alle 5 Millionen Erholungssuchende dieser Region gerade heute auf unseren Wanderwegen unterwegs. Die Wunder der Farben, die spürbare Wärme und der Lauf über rotbraune Laubteppiche nimmt uns die Notwendigkeit beim anderen Begleitung und Nähe zu suchen. Im Läuferfeld ist es auffallend still geworden; zur Zeit sucht jeder seine eigene Mitte.

Der Weg verläuft nun schon recht stringent westwärts der Sonne entgegen, die uns durch das schützende Laubdach nur manchmal blendet. Die Bäume tragen ihre herbstlichen Trachten, sind noch nicht durch die Stürme, die dieses Jahr nicht gekommen sind, entlaubt.

Eine Teerstraße wird erreicht und auf ihr weiterlaufend hören wir alsbald aufdringlichen Lärm immer mehr anschwellend. Die Halbmarathonmarke ist erreicht. Auch hier im Gelpetal beim Industriedenkmal Clemenshammer ist zwischen den Abhängen so wenig Stauraum für Menschenmassen, dass sich die vielen Zuschauer eng an die Straße drängen, ihre „Helden“ jahrmarktlärmend feiern und bejubeln, aber den Durchlauf für die Marathon- und Ultraläufer doch erheblich blockieren. Augenblicklich wissen wir nicht, wohin wir laufen müssen.Wir trinken wie Kamele und hoffen –sollte es wieder erst in 15 km eine Trinkverpflegung geben, genügend in Magen und Darm speichern zu können, um unbeschadet bis dorthin zu kommen. Unsere Sorge wird sich als unbegründet erweisen, denn hervorragend und lobend zu erwähnen ist die Verköstigung auf den folgenden Wegabschnitten. Hinab ins Tal der Wupper gelangen wir alsbald. Das Ortsschild „Wuppertal“ kündet von einer großen Stadt an deren bewaldeten Peripherie wir nun einige Kilometer entlang laufen. Der Name Wupper leitet sich vermutlich vom Wippen des Wassers über die Steine im Bach und Flussbett her, bedeutet also „hüpfendes Wasser“. Es stimmt. Im klaren Grund spiegeln sich impressionistisch die farbentflammten Talhöhen, über die Großkiesel plätschert schnellfließendes Wasser. Bei nur 112 Kilometer Flussstrecke fällt die Wupper erstaunliche 400 Höhenmeter bis zu ihrer Mündung in den Rhein. Breitere Flankenwege in mittlerer Höhe des linken Talhanges verführen zu ausholenden Schritten. Ein Läufer im schleppendem Gottfried Oel beim Roentgenlauf 2005Buckelschritt macht mich auf die Müngstener Brücke aufmerksam, eine stählern filigrane Eisenbahnbrücke, die Remscheid und Solingen miteinander verbindet. Im Land der raren Superlative ist sie mit 107 m Höhe über dem Wasserspiegel der Wupper Deutschlands höchste Eisenbahnbrücke und wird, so ergänzt der Läufer resignierend stöhnend, doch gar oft von Verzweifelten als letzter Lebensausweg missbraucht; im Steinbruch unter dem zweiten Brückenbogen fände man sie meistens frühmorgens zerschmettert, wisse er vom Lesen des Remscheider Generalanzeigers.

Nur kurz flackert nach meiner Motivierung (oder gerade deswegen) in ihm die Fackel der Hoffnung, sich bis ins Marathonziel irgendwie durchzuschlagen. Am äußerst gelegenen Stadtrand von Remscheid, was nur durch ein genaues Studium der Umgebungskarte zu erschließen ist, führt der Röngtenweg entlang, markiert mit dem schwarzen R im runden Kreis, dem Wanderer oder Läufer augenfälligen Orientierungstrost spendend. Der Streckenverlauf fordert nun kurz vor Erreichen des Marathonziels, inzwischen laufen wir Gott sei dank wieder ostwärts zum letzten Bogen um Remscheid ausholend, höchste Konzentration und bewusstere Kontrolle unserer Laufbewegungen. Über rutschige Sturzbahnen geht es in die Tiefe, Wurzeln greifen wie Fangleinen nach unseren Füßen, Steine legen sich unfair in den Weg.

Die Marathonläufer werden im Ziel begeistert beklatscht, von der schräg stehenden Sonne wie Sieger angestrahlt. Nur Zwei-Drittel-Sieger wie wir, die doch weiterlaufen wollten, haben hier noch keinen Grund abwartend dem emphatischen Treiben länger zuzuschauen. Wir unterqueren die Autobahn A 1 und wandern die Eschbachtalsperre passierend aufwärts. Wer einen Blick auf den Stausee werfen möchte, sich aber nicht zu Fuß bis hierher plagen will, sollte zur Rast oberhalb in der Autobahnraststätte „Remscheid“ - mit Aussichtsterrasse – einkehren. Aus ist es mit dem Waldlauf. Im letzten Drittel der Strecke erleben wir wieder das Bergische Land in seiner agrarisch genutzten Form, vornehmlich wahrscheinlich wird Milchwirtschaft betrieben. Bei km 57 soll es Bier geben; der Läufer unter der Müngstener Brücke hatte dies schon mit genussentbehrter Miene erzählt. Mehrere Bundesstraßen müssen überquert werden, was leicht gelingt. Viele Augen wachen sorgsam über uns. Das „Danish Dynamit“ zündet grad gar nicht mehr, ächzend fällt der Läufer vor mir in einen für seine Nation ganz unüblichen Stechschritt und fasst sich an den krampfenden musc. semimembranosus oder ist es der musc. semitendinosus? Ist bei mir alles in Ordnung? Das ich über vier Monate keinen langen Lauf mehr gemacht habe, durch eine Krise musste, um wieder ins Laufen zu kommen, ist mir mehr als bewusst. Ich bin wieder dabei! Gerade als ich beim Verpflegungsstand ankomme höre ich, dass das Bier nun alle ist. Auf meine flehentliche Bitte hin, die aufgrund der drohenden Genussenttäuschung schon grob dialektgefärbt ist, tröpfelt der freundliche Sauerländer noch einen 0, 1 l Rest vom köstlichen Gerstensaft aus dem Fass zusammen. Bergauf krampfen meine Oberschenkel Unheil verkündend. Ich bin so frustriert, dass ich sie für ihren Ungehorsam mit trommelnden Fäusten bestrafe. Glaubte ich denn ich könnte ohne ausreichendes Training diesen schweren Geländetrail gleichsam im Sauseschritt durchmessen? – Ausdauerlaufen fußt auf ausreichendem Training oder steter Gewöhnung. Immer wieder will ich ins Laufen zurück, trabe wieder an; will nicht wahrhaben, dass sich meine Oberschenkel verweigern. Es geht nicht mehr. Will ich nicht riskieren unten an der Wuppertalsperre rücklings wie eine umgekippte Riesenschildkröte am Wegesrand verkrampft und vor Schmerzen zappelnd liegen zu bleiben, will ich ins Ziel kommen (ich muss!), dann hilft hier nur Bescheidenheit, das bedeutet: die restlichen 6 km bis ins Ziel aufwendig abzuschlurfen, wie ein aus einer geriatrischen Klinik, weil kein ausreichendes Rehapotential mehr gegeben war, vorzeitig Entlassener. Der Durst der Ruhrgebietler scheint groß. Trotz reichlich Regeneintrags in diesen Sommer ist der Pegel des Wupperstausees deutlich erniedrigt. „Hello and good luck“, wünscht mir der überholende Läufer in seinen dänischen Farben. Ah, dieses Rot macht einfach aggressiv. Das Gehen schafft mir eine akzeptabel wiederermutigte Atmosphäre. Nur wenige Läufer laufen noch an mir vorbei. Iris und Gottfried Oel beim Roentgenlauf 2005Lothar Preissler, wo ich die beiden mindestens eine Stunde hinter mir wähnte, haben sich auch nach 7 Stunden noch etwas zu erzählen und überholen mich, wir mir scheint, im rasanten Tempo. An der vorletzten Verpflegungsstation holt auch Eckehard Niessen mich noch ein; aus Furcht den letzten steilen Anstieg nur noch leidend zu bewältigen, streut er sich mindestens einen Teelöffel Salz in den Trinkbecher, angeblich die Nitratkonzentration so in den Muskelnzellen blitzschlagartig steigernd. Von Gerald Sack findet sich schon lange keine Spur mehr. Nach dem Zieleinlauf, um nicht auf uns warten zu müssen, marschiert er noch die 4 km bis zum Hotel Gottfried Oel beim Roentgenlauf 2005weiter. Die letzten zwei Kilometer, nachdem ich aus dem Wuppertal hochgestiegen bin, überhole ich heimkehrende Spaziergänger, die vor der heute um eine Stunde früher einbrechenden Dunkelheit lieber frühzeitig zuhause sein wollen. Immer wieder passiert es und es ist erstaunlich, wie Läufer Innenwege spontan zueinander finden können. Eine Frau meines Alters wandert mit mir fünf Minuten bergauf. Oben angekommen wusste ich von Scheidung, vom schmerzlichen Alleinsein, von wiedergefundenem Selbstvertrauen, von einer rückgekehrten Zukunft, die ihr wieder dank neuen Lebensmutes offen erschien. Nach 63 km ist sie ganz bei sich und mit einem Glücksgefühl angekommen. Die letzten 200 m bis zum Ziel, um schöne Fotos von mir zu bekommen, laufe ich noch, brauche mich aber nicht mehr zum Lachen zwingen. Mir ist so zumute.

  1. Dem Fähnlein der Sieben Aufrechten (Novelle von Gottfried Keller) gehören zur Zeit im Verein folgende Personen an: Gerald Sack, Jens Boellert, Anje Werner, Dietmar Kaiser, Gottfried Oel, Iris Reindl, Eckkehard Niessen. (Alle im „Fähnlein“ haben Erfahrungen im 100 km Lauf.)

  2. Der Naturpark Bergisches Land liegt zwischen der Köln-Siegburger Bucht im Westen, den Ausläufern des Sauerlandes im Osten, dem Westerwald im Süden und den bergischen Städeband Wuppertal, Remscheid, Solingen im Norden.

  3. Epiktet, Handbüchlein der Ethik

  4. ein anschauliches Bild der Verstädterung liefert ein regionaler Übersichtsplan in der offiziellen Marathonzeitung, die jeder Läufer ausgehändigt bekommt.


© Gottfried Oel , 17. November 2005

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