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Lesestoff - Ultramarathon beim Steppenhahn (04.2001)
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Deutschland, eine Reise - Wolfgang Büscher
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Deutschland, eine Reise Einmal kommt man wieder dahin, wenn man Glück hat. Zum Reisen pur. Allein. Unbehütet. Zugänglich und offen für alle Eindrücke, die vorhersehbaren und die überraschenden.

Wolfgang Büscher war wieder unterwegs. Nachdem er 2001 von Berlin nach Moskau gewandert ist, ist er nun an den deutschen Grenzen gewesen, einmal rund um Deutschland gereist, im Uhrzeigersinn. Mit leichtem Gepäck, zu Fuß, per Anhalter und mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein melancholischer Grauschleier liegt über seinem Bericht, denn seine Reisezeit war so grau wie die jetzige: Herbst und Vorweihnachtszeit. Er ist in bekannte und ungekannte Gegenden gekommen, und er hat die deutschen Grenzgebiete mit ihren Menschen von einer exotischen Seite erlebt.

Der Autor beginnt seine Reise mit einem herbstlich kalten Bad im Rhein. Und so endet sie auch zu Weihnachten. Allerdings taucht er dann nur der Kopf ein. Er schläft, wo der Zufall ihn hinträgt. Dafür gibt es eine Regel: „Entbehrung wird belohnt. War ich am Ende eines anstrengenden Tages in einem trostlosen Zimmer gelandet und fand mich nach einer Nacht auf einer Pritsche in einem überheizten Frühstückszimmer wieder, vor einem kalten Frühstücksei, attackiert von grauenhafter Radiomusik und einer aufgedrehten Moderatorin, die mich in Schwung bringen wollte für den Tag, einen neuen, wunderbaren Tag in ihrem Sendegebiet – dann konnte es gut sein, dass ich am Abend darauf in etwas Schönem landete.“

Das kann dann ein Luxushotel mit Kandelaberspeisesaal sein, wo er seine Weltläufigkeit herauskehrt und wie ein neureicher Russe über die Stränge schlägt. „Die Rechnungslegung würde wehtun, …doch der Gedanke, dass es nicht der geringste Luxus sei, ein Luxushotel zu Fuß aufzusuchen und zu Fuß wieder zu verlassen, tröstete mich. Ich schulterte meinen Rucksack … und wanderte…am Strand entlang. Sanddorn und Hagebutten, groß wie kleine Tomaten.“

In der Provinz ist es manchmal trostlos. „Ich sah mir Barth an, das vom Wasser aus so heil gewirkt hatte, und las die Namen der Geschäfte. Kramkiste. Fundgrube. Discount. Billigmarkt. Resterampe….So war es oft im Hinterland. Der Bahnhof von Barth verfügte über ein einziges Gleis, das Gleis über ein handgemaltes Schild: Gleis 1. Ein Zug nach Heidelberg war angekündigt, und die Vorstellung, dass es einen eisernen Pfad gibt, der das alles zusammenhält, eine durch nichts unterbrochene Linie von der ärmlichen Stadt am Bodden, von der Ödnis dieses Bahnhofes zum reichen Heidelberg…- dass es das wirklich gibt, wunderte mich.“

„Dann kam ich nach Guben, und Guben schlug alles, was ich kannte. Köln, Kiel Kassel waren ausgelöscht, verbrannt und zerpulvert, und doch stand da etwas, das Köln, Kiel, Kassel hieß und mit einigem guten Willen wie Köln, Kiel, Kassel aussah. Das war hier anders. Es war nämlich nicht so, wie gestern Abend der Wirt gesagt hatte, dass es kein Wirtshaus in Guben gab. Es war so, dass es Guben nicht gab. Ich hätte gern etwas Heißes getrunken und mir etwas zu essen gekauft, aber ich fand nichts. Die Straßen, die überlebt hatten, streunten in der Gegend der früheren Stadt herum. Eine nannte sich in einer komischen Regung zum Trotz „Stadtzentrum“, war jedoch bloß eine struppige Straße hinüber nach Polen, auf die Neißebrücke zu.“

Wie lebt man hier, ohne verrückt zu werden? Ein Herr am Nebentisch im Backshop, der schließlich für einen Imbiss gefunden wurde, antwortet sachlich: „Man muss sich was suchen zum inneren Überleben. Um nicht im Suff zu enden. Ich treibe Geschichte, das ist meine Methode.“ Die Methode des Autors ist, weiterzugehen.

Und so trifft er den Bayrischen Wald an: „Es gab Tage, da begegnete ich keinem Menschen. Schwelende Nebeltage. Vorbei an den Wetterseiten mächtiger Scheunen, ihren regengeschwärzten Bretterwänden, die kein einziges Licht erlöste, in keinem einzigen Fenster. Wenn das Dorf hinter mir lag, sein tropfendes Schweigen, atmete ich auf. Ich war im Wald.“

Uns so Pforzheim: „Es war ein Ort für Apokalyptiker, es war die richtige Saison, das heuchlerische Weihnachtsgeklingel… brachte einen um den Verstand. Die Not war groß, die Armut, die spirituelle Armut von Westdeutschland. Diese Fußgängerzone schrie nach einem Fanatiker. Einem Prediger mit Glut in den Augen und einem starken, einfachen Wort.“

Nicht nur Orte, auch Menschen werden mit wenigen Worten beschrieben. „Ein kleines, hässliches Auto kam langsam den Waldweg herauf, und als ich es anhielt, sah ich, dass der Fahrer ein kleiner, hässlicher Mann war. Er hatte auch ein kleines, hässliches Herz. Meine Frage nach dem Weg beantwortete er nicht. Bevor er Gas gab…, meckerte er aus dem Seitenfenster „Ham S`ka Karte?“

Er trifft eine Frau „die eine spitzig-metallische Brille trug – so eine sperrige, wie sie Frauen tragen, die dieses Adjektiv für ein Kompliment halten, das sie gern auf ihre Person allgemein beziehen würden…“

Touristen bei Neuschwanstein werden so beobachtet: „Eine Gruppe Japanerinnen,… und es lag wohl an der ludwiglichen Aura hier, dass sie alle, kaum hatten sie ihren Fuß auf Ludwigboden gesetzt, verspielt wie Kinder wurden. Die Japanerinnen hatten sich ulkige Strickmützen aufgesetzt, sie rannten aufgeregt im Kreis herum und kreischten, als seien sie aus dem Ernst des Lebens in die Ludwigslust entlassen….Kurz darauf trottete ein ernster Trupp mittelalter, märchenimmuner Deutscher im lockeren Gänsemarsch durch den Park…Männer und Frauen um die Fünfzig im praktischen Freizeitdress. Was sind wir bloß für ein eigenartiger Stamm, schoss es mir durch den Kopf.“

In Exkursen behandelt der Autor Begebenheiten aus seiner eigenen Vergangenheit, oder, häufiger, historische Geschehnisse, wie solche am Rande des letzten Krieges. Manchmal ist man dann geneigt zu denken, er gehöre zu einer Generation vor uns. Er bedient sich einer klassischen, zeitlosen Sprache, klar und poetisch.

Es ist ein wunderbares Buch entstanden, großartige Reiseliteratur. Ich denke, Läufer haben einen Hang zu Reiseliteratur. Aber ich würde es auch meinen Eltern zu Weihnachten schenken, wenn sie noch lebten. Nun schenke ich es meiner alten Tante, damit sie es meinem noch älteren Onkel vorlesen kann. Ja, dazu ist es mit seiner schönen Sprache und den fließenden Sätzen sehr geeignet. Und meiner Zahnärztin schenke ich es auch.

Wolfgang Büscher: Deutschland, eine Reise
Rowohlt Berlin

Elisabeth Herms-Lübbe


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