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3.1 Biel 1966

Aus dem Archiv des 100 Kilometer Laufes in Biel wurden mir netterweise der folgende Bericht von Adolf Weidmann zur Verfügung gestellt, indem er seinen ersten Bieler Lauf und die Beweggründe fürs Wiederkommen schildert:

Bericht von Adolf, Rechtschreibfehler vom Steppenhahn ;-))

Mein ersters 100-km-Lauf-Abenteuer in Biel in der Schweiz im Jahre 1966

Erinnerungen von Dr. Adolf Weidmann

Mein Entschluß, zum ersten Mal überhaupt an einem 100-km-Lauf teilzunehmen, ist im Januar des Jahres 1966 gefaßt worden. Und das kam so: An jenem Januarabend saß ich nach einem absolvierten Waldlauftraining in Frankfurt am Main in einer Gaststätte im Stadionbereich im Kreise meiner Kollegen und Freunde vom Sportclub Deutsche Bundesbank beim wohlverdienten Dämmerschoppen. Im Verlaufe der stillvergnügt dahinplätschernden Unterhaltung fiel die Bemerkung, daß in der Schweiz alljährlich ein 100-km-Lauf stattfinde. Ich horchte auf, von einer solchen Veranstaltung hatte ich zuvor noch nie gehört. Ohne viel zu überlegen meinte ich, das diese Strecke "zu schaffen" sei. Meine durchweg 30 bis 35 Jahre jüngeren Freunde lächelten. Gar mancher wird gedacht haben, daß meine Bemerkung im Grundsatz wohl stimme. Ob jedoch gerade ich mit meinen rund 65 Jahren - wenige Monate vor dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst bei der Deutschen Bundesbank - dazu berufen sei, in Biel anzutreten, stehe auf einem anderen Blatt. Mir kam ein solcher Gedanke nicht, und ich fragte, in welchem Monat denn der Lauf stattfinde? Jeweils im Juni, lautete die Antwort. "Im Juni?", rief ich, dann hätte ich ja noch 5 Monate Zeit, mich entsprechend einzutrainieren! Nach kurzer Überlegung erklärte ich, daß ich starte.

Meine Freunde waren überrascht, sie staunten ein Weilchen. Zuguterletzt aber war, ganz unverhofft, ich an der Reihe zu staunen, denn meiner Sportkameraden erklärten spontan, dann auch mitzumachen und ab sofort zusätzlich zu trainieren. Von da an fuhren wir Samstags oder am Sonntag jeweils in den bergigen Taunusbereich, liefen und marschierten 30 oder 40 Kilometer und mehr. Das Trainingsvolumen reichte aus, den Biel-Start zu wagen.

Es wurde ein schwieriges Unterfangen. Keiner von uns hatte Ultralanglauf-Erfahrung, wir betraten Neuland in jeder Beziehung. Um so erfreulicher war der Erfolg. Alle erreichten das Ziel, bis auf einen Sportkameraden, der während des Laufes in der Nacht stürzte und infolge einer Knieverletzung aufgeben mußte. Ich benötigte für die 100 Kilometer 17 Stunden und 8 Minuten. Meine Freunde waren eher am Ziel.

Damals schon fragte ich mich, ob mir der Biel-Start geglückt wäre, wenn ich mutterseelenallein in die Schweiz gefahren wäre. Sportkameradschaft, Solidarität, gemeinsamer Unternehmungsgeist und unbeugsamer Leistungswille, wer wollte behaupten, daß darin kein Schlüssel zum Erfolg liegt?!

Das war damals. Und heute? Ist es heute anders beim Sport?

Wäre es übrigens nicht gar zu vermessen, diesen Schlüssel zum Erfolg jedes Einzelnen, aber auch der Gemeinschaft, nur dem Sport in den Schoß zu legen? Gilt dieser Grundsatz vielmehr nicht allgemein in allen Bereichen unseres Wirkens und Handelns?! Diese Frage stellt sich unwillkürlich. Eines jedoch scheint gewiß zu sein: Dem Leistungssport ist - wie noch darzulegen sein wird - eine Vorbildfunktion beizumessen.


Aber nun zurück zum Bieler Hunderter im Jahre 1966. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dort nur dieses eine Mal zu starten, um mir gewissermaßen selbst zu beweisen, daß ich 5 Monate zuvor am Biertisch nach dem Training den Mund nicht zu voll genommen hatte. Dann aber beeindruckte mich die Art der Versorgung und Betreuung rund um die Uhr, mit anderen Worten die Gesamtorganisation, so sehr, daß ich dazu neigte, auch im folgenden Jahre nach Biel zu reisen.

Den endgültigen Anstoß zu meinem Entschluß, dem Bieler Hunderter treu zu bleiben, aber verdanke ich einem Schweizer Polizisten. (Sagt man in Biel "Polizischt"?) An jenem Samstagabend nach dem Lauf fuhr unser Trainer Günter Junghans, der die 100 Kilometer gleichfalls mit Erfolg absolviert hatte - obwohl er an unserem Samstags- und Sonntags-Taunus-Training nicht hatte teilnehmen können - in seinem PKW zur Stadt, zum Hauptpostamt, um daheim anzurufen. Aus einer Nebenstraße kommend, fuhr er einem anderen PKW-Fahrer, der Vorfahrt hatte, in die Flanke; übrigens nicht wer weiß mit welchem Tempo, beileibe nicht, vielmehr ganz sachte. Immerhin hatte das Auto des Bieler Bürgers seinen Teil abbekommen. Was Wunder, der Bieler stieg aus, um sich den Schaden anzusehen. Da die Karambolage dicht bei einer zentralen Wegkreuzung geschehen war, wo ein Polizist seinen Dienst versah, war er natürlich gleich zur Stelle. Er waltete dann als Amtsperson auch gleich seines Amtes.

"Haben sie das Auto des Herrn des nicht gesehen, sind ihre Bremsen etwa nicht in Ordnung? Was, die sind in Ordnung?" Während der Gesetzeshüter diese Sätze - gewissermaßen im Selbstgespräch - vor sich hin murmelte, unterzog er den PKW unseres Trainers von vorne bis hinten einer eingehenden Besichtigung. "Aus Deutschland sind sie, aus Frankfurt am Main? Aber dort kennt man doch auch die Vorfahrtsregeln. Oder ist es drüben anders?", lächelte der Gendarm, indes er auf die PKW-Heckscheibe wies und wissen wollte, was der Aufkleber bedeutete mit der Aufschrift '100-km-Lauf Biel / TEILNEHMER'. "Haben sie da etwa mitgemacht, vielleicht gar mit Erfolg? Ja, dann ist das eine andere Sache!" Ganz unvermittelt wandte er sich an den PKW-Fahrer aus Biel, der dem Dialog interessiert zugehört hatte. "Was machen wir nun, mein Herr? Das ist ein Sportler, dem sind die 100 Kilometer in die Glieder gefahren." Der Bürger aus Biel lachte: "Mir wäre das schon nach 30 Kilometern passiert!" - "Also lassen wir den Amtsschimmel diesmal im Stall, und sie regeln die Angelegenheit auf privater Ebene. Sind sie damit einverstanden?" Indem sich der Polizist die lädierte PKW-Tür nochmals besah, fügte er hinzu: "Aber ihre Anschriften müssen sie auch mir geben; die brauche ich für den Fall, daß sie miteinander nicht einig werden. Dann würde der Amtsschimmel natürlich noch hinterhertraben und wiehern". Sprach's, lächelte, salutierte und kehrte zu seinem Standort zurück, wo sich ein Stau zu bilden begann.

Die Kurve um den Verkehrsknotenpunkt schaffte unser Trainer anschließend ganz elegant, und es reichte ihm auch noch, dem Polizisten zum Abschied zuzuwinken!

Diese Geschichte ist verbrieft. Es hat sich alles so zugetragen, wie geschildert. Allein der Text des Dialogs mag wohl ein anderer gewesen sein, und zudem überwiegend in "Schwizerdütsch", also zweisprachig gewissermaßen!


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8744 Zugriffe seit dem 30.11.2001, Stephan Isringhausen-Bley