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3.3 Biel 1991

Ebenfalls aus dem Archiv des 100 Kilometer Laufes in Biel wurde mir Adolf Weidmanns Bericht zu seinem Lauf zum Deutschen AK-Rekord M90 über 100 km Straße zur Verfügung gestellt:

Bericht von Adolf, Rechtschreibfehler vom Steppenhahn ;-))

Erinnerungen an mein 20. 100-km-Biel-Abenteuer am 7./8. Juni 1991

Ein Fest der Gemeinschaft und sportkameradschaftlichen Verbundenheit

Dr. Adolf Weidmann, 6799 Matzenbach

Als ich mich im Frühjahr endgültig entschloß, nach bisher 19 erfolgreichen Teilnahmen am 100-km-Lauf von Biel 1991 auch zum 20. Mal zu starten (wer aber auch hätte das nicht getan), war das natürlich ein kühnes Vorhaben. Denn ich marschierte zwar recht munter auf mein 90. Lebensjahr zu, hinsichtlich meiner Biel-Chancen jedoch - in Anbetracht meines altersbedingten erheblichen Leistungsabfalls - mit ziemlicher Skepsis. So schrieb ich an den Präsidenten der Organisation 100-km-Lauf von Biel, Franz Reist, bereits frühzeitig, am 14. April, folgendes: Für den Fall, daß ich innerhalb der vorgeschriebenen Sollzeit von 24 Stunden das Ziel nicht erreichen sollte, möge bei mir in den Annalen der Bieler 100-km-Läufe dei Zahl 19 eingetragen werden. Und ich fuhr wörtlich fort: Zur Ziffer 20 aber wäre anzufügen, was Friedrich Schiller in seinem Lied von der Glocke so trefflich festgestellt hat, "Denn mit des Geschickes Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten", zumal nicht im 90. Lebensjahr! Meine Freunde unterrichtete ich natürlich auch über meine Bedenken, ohne jedoch im entferntesten zu ahnen, welche Welle der freundschaftlichen Verbundenheit damit ausgelöst würde. - Nachfolgend nun mein Bericht.

Jetzt, da ich diese Zeilen einige Zeit nach meinem Bieler Start schreibe, wird mir erst so recht bewußt, von welch eminenter Bedeutung es ist, bei Vorhaben, die einen vollen Einsatz der physischen, gleichermaßen aber auch der psychischen Kräfte erfordern, nicht allein auf sich selbst gestellt zu sein. (Übrigens bekanntermaßen nicht nur beim Sport). Das habe ich nie intensiver empfunden als eben bei meinem 20. Bieler Hunderter.

In den zurückliegenden drei Jahren, 1988, 1989 und 1990, hatte ich bei meinen Biel-Märschen nämlich festgestellt, daß mein Leistungspotential, mein Leistungsvolumen rascher abnahmen als in all den Jahren zuvor. Das ist für mich in Anbetracht meines Alters zwar keineswegs ein Grund zur Resignation gewesen. Ich erkannte aber die Notwendigkeit einer fürsorglichen Betreuung bei meinen 100-km-Märschen. So war ich denn auch froh, daß Roland Paul und Dr. med. Peter kiderle diese Funktion seit 1988 übernahmen.

Was Wunder, daß diesmal, 1991 also, gleich vorgesorgt und ein TEAM zusammengestellt wurde, dessen alleiniges gemeinsames Streben in Hilfsbereitschaft und Solidarität das Ziel in Biel war. Daß sich unserem Team auch Prof. dr. med. Klaus Jung von der Abteilung Sportmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angeschlossen hatte, um mit mir die 100-km-Strecke - auch aus medizinischen Gründen - zu Fuß zurückzulegen, ist sehr beruhigend für mich gewesen. Seine immerwährende Anwesenheit vermittelte mir ein Empfinden der Sicherheit und medizinischen Geborgenheit.

Jedenfalls war es endlich so weit! Und die für unser Team festgesetzte Startzeit am Freitag, dem 17. Juni um 17 Uhr trieb zur Eile an, denn wir trafen am Nachmittag aus allen Himmelsrichtungen ein und mußten geschlossen und pünktlich antreten. Ich hatte mir noch rasch mein Regencape übergestülpt, um bei dem Regenwetter nicht gleich nach dem Start mit dieser prozedur, gewissermaßen "als erster Amtshandlung" beginnen zu müssen. Nun standen wir also alle da und warteten. Ich mit süßsaurem Gesicht, wie die Fotos beweisen. Dem Regenwetter nach hätte mein Gesicht noch viel saurer aussehen müssen. Aber mir war ein heiterer Gedanke ind den Sinn gekommen. Ich fraget mich, wie es denn wäre, wenn Professor Jung nicht mich, vielmehr ich ihn zuguterletzt ins Schlepptau würde nehmen müssen. Eind Gedanke, der erst gar nicht aufgekommen wäre, wenn ich das Schmunzeln des neben mir stehenden Professors gesehen hätte, der - wie auch das Foto beweist - zu mir gewandt wohl gerade sagt, daß wir gemeinsam die 100 Kilometer schon schaffen!

Immerhin, heute weiß ich, wie ketzerisch meine Idee damals war, denn Professor Jung wäre bestimmt 5 Stunden und eher am Ziel gewesen ohne mich!

Und Ihr, lieber Benjamin Jung und lieber Otto Schaer, eigentlich hättet Ihr ebenso wie wir eine 100-km-Medaille verdient! Eure Fahrräder müssen sich ja zweckentfremdet vorgekommen sein, weil Ihr ständig mit bzw. neben uns hermarschiert seid. Ich weiß, Ihr habt das "als Versorgungskolonne" als selbstverständlich hingenommen. ABer so selbstverständlich ist das gar nicht gewesen. Oder mußten Sie, lieber Otto Schaer die Strapaze der 100 km auf sich nehmen? Hatten Sie ursprünglich nicht die Order, uns so lange zu begleiten, bis das übrige Läuferfeld, das ja 5 Stunden nach uns gestartet war, uns eingeholt hatte? Aber, als ich Sie darum bat, bei uns zu bleiben, rief Ihnen Ihre Frau, die an der Strecke in Biel stand, dann nicht zu: "Aber selbstverständlich, Otto, so sehen wir uns eben erst morgen wieder!" War es nicht so?! Und während des Nachtmarsches, marschierten Sie nicht stundenlang schräg hinter mir her, so daß der helle Schein Ihrer Fahrradlampe meinen Marschweg sicherte?! So wurde ich bei den regennassen, oft mit Steinen und Geröll übersäten, zuweilen schmalen Wegen vor Stürzen bewahrt; zumal ich nachtblind bin. Dankeschön für diese Betreuung sowie das Entgegenkommen Ihrer Frau.

Und Sie, lieber Benjamin Jung, als Sie von München anreisten, wußten Sie wahrscheinlich, daß Sie mit Ihrem Fotoapparat bei den großen Anzeigetafeln an der Wegstrecke ... 10 km ..20km ...80km.. auf Veranlassung Ihres Vaters jeweils ein Bild - zur Dokumentation - knipsen würden. Aber ahnten Sie, daß Sie aus Ihrer Versorgungstasche am Fahrrad mir auch mein Getränk würden reichen müssen? Wußten Sie, namentlich als wir uns auf der zweiten Streckenhälfte befanden und die Kilometeranzeigen immer höhere Ziffern aufwiesen, während die Entfernungen zum Ziel gerade umgekehrt entsprechend kürzer wurden, warum Sie immer häufiger stoppen mußten, um mir mein Getränk zu reichen; zumal ich aus der Flasche jeweils nur minimale Mengen trank? In der Tat, es hat mir leid getan, daß sich hierbei in der Gepäcktasche ihres Fahrrads infolge des Dauerregens allmählich eine Überschwemmung gebildet hat. Kennen Sie übrigens die Art des Flüssigkeitskonsums in "Teelöffelratiuonen"?

Nun, ich würde jetzt zuhause nicht an der Schreibmaschine sitzen, um zu berichten, wie ich es fertiggebracht habe, den Bieler Hunderter mit Erfolg zu absolvieren, und gar zum 20. Mal, wenn ich mich nicht auf Flüssigkeitskonsum in Teelöffelrationen eingestellt hätte.

Dazu sind einige Erläuterungen unumgänglich. Es ist bekannt, daß ich meinen ersten 100-km-Lauf in Biel in meinem 65. Lebensjahr, 1966, also genau vor einem Vierteljahrhundert angetreten habe.
Damals und in dem folgenden Jahrzehnt konnte ich unterwegs "normale", übliche Speisen und Getränke konsumieren, mich also vor allem des an den Verpflegungsstellen dargebotenen "Ernährungsplans" bedienen. Dann aber, ab etwa Mitte der siebziger Jahre konnte ich keine Speisen (Brot, Bananen, Äpfel etc.) mehr verzehren, und auch beim Konsum der vielfältigen Getränke stellten sich Beschwerden ein. Ich war unter diesen Umständen entschlossen, von weiteren 100-km-Teilnahmen abzusehen und mich auf die Marathonstrecke umzustellen.

Als ich dann erfuhr, daß am 17. September 1977 in München der 1. Internationale Oktoberfest-Marathonlauf stattfindet, nutzte ich die Gelegenheit dort zu starten und die Probe aufs Exemple zu machen. Die Strecke führte vom Olympiastadion zunächst 9 Kilometer an der Peripherie der Stadt entlang zum Ruderregatta-Stadion, wo drei Runden zu je 8 Kilometern auf purer Betonpiste zu laufen waren, bervor der 9 km-Rückweg angetreten wurde. Bei der letzten 8-km-"Betonrunde" stellten sich bei mir Wadenkrämpfe ein, ein Signal, meinen Weg mit gedrosseltem Tempo fortzusetzen. Das Zeitlimit vermochte ich trotzdem einzuhalten, denn ich traf nach 4 Stunden und 49 Minuten ein, bevor nach 5 Stunden Zielschluß war. Im Stadion-Erfrischungsraum angelangt, wo ich wegen des Andranges an der Theke einige Meter davor stehen blieb, stellte ich zu meiner völligen Überraschung fest, daß ich ab der Hüfte "gelähmt" war und nicht einen Schritt mehr weder vorwärts noch rückwärts zu machen vermochte. Die totale Muskellähmung hielt auch nach einiger Wartezeit noch unvermindert an. Mir blieb offenbar nur die Wahl, mich durch Sanitäter abtransportieren zu lassen oder einen Arzt herbeizurufen.

In meiner Ratlosigkeit bat ich einen Sportler, mir einen halben Liter Bier zu bringen. Beim ersten Schluck trat sofort Brechreiz ein. Da kam ich auf die Idee, es doch einmal mit kleinen Schlucken (Teelöffelmengen) zu versuchen. In der Tat blieb der Brechreiz völlig aus, und das war auch der Fall, als ich die Aufeinanderfolge des Bierkonsums in "Teelöffelrationen", wie ich das nenne, beschleunigte. Nach zwanzig Minuten waren alle Behinderungen behoben, nicht einmal ein Muskelkater blieb zurück! -

Im Jahr darauf, also 1978 startete ich wieder in Biel. Falls sich abermals, wie in den letzten Jahren zuvor, die gleichen Beschwerden einstellen würden, sollte das mein letzter Hunderter überhaupt sein. Nun, die Beschwerden stellten sich aber auch prompt ab Kilometer 50 etwa wieder ein! War das nun das Ende meiner "100-km-Laufbahn"?

Mein Marathon-Erlebnis in München kam mir in den Sinn. Da mich 1978 meine Tochter betreute, bat ich sie, zur nächsten Kontroll- und Verpfegungsstelle, das war Kirchberg (etwa bei Kilometer 60), ein kleines Fläschchen Bier (0,2 oder 0,25 Liter) zu besorgen. Ich setzte meinen Weg, in Teelöffelrationen aus dem Fläschchen nippend fort. Unterwegs brauchte ich nochmals ein Fläschchen Bier. Die 0,4 bzw. 0,5 Liter Bier reichten mir dann aus, die restlichen 40 Kilometer bis zum Ziel zurückzulegen, ohne daß ich (von der unvermeindlichen Müdigkeit abgesehen) unter einem Muskelkater zu leiden hatte.

Damit hatte sich ein Tor zur Fortsetzung meiner 100-km-Teilnahmen in Biel geöffnet! Statt Bier konsumierte ich in der Folgezeit bei meinen 100-km-Läufen bzw. -Märschen Vollmilch, und zwar ebenfalls in Teelöffelrationen. Die positive Wirkung war die gleiche. Nebenbei bemerkt benötigte ich bei den ersten 20 bis 30 Kilometern überhaupt keine Flüssigkeit, bzw. es genügte Mineralwasser. Entscheidend aber war im weiteren Streckenverlauf jeweils der Vollmilchkonsum in Teelöffelrationen. Ich kann das hier verständlicherweise nur kurz im Telegrammstil ausführen.-

Vorstehend deutete ich schon an, daß Professor Jung mich in diesem Jahre 1991 zu Fuß auch "aus medizinischen Gründen" begleitete. Denn ihm lag und liegt daran, diese meine hier geschilderten Verhaltensweise bei meinen 100-km-Läufen bzw. -Märschen im einzelnen zu analysieren, wobei in diese Analyse gewiß auch -kurz gesagt- PKW-Betreuungen mit einbezogen sein dürften.

Diesmal warteten auf uns Fußwanderer an den Betreuungsstellen, zu denen die sehr zahlreichen Fahrzeuge heranfahren dürfen, gleich die Insassen zweier PKW. In dem einen Roland Paul und Dr. med. Peter Kiderle, die mich in den drei zurückliegenden Jahren bereits betreut hatten. Im zweiten Wagen meine Tocher Hanne, die aus den USA eigens angereist war, sowie mein alter Freund Reinhard Ackermann (Schweiz/USA, der 1980 in Chicago in der Klasse der 55 bis 59-jährigen bei einer internationalen 100-km-Veranstaltung mit 8 Stunden und 49 Minuten amerikanischen Rekord erzielte). Die Möglichkeit, in ihren zurückgeklappten Autositzen jeweils für wenige Minuten ausgestreckt, also gewissermaßen liegend, auszuruhen, bevor ich meinen Weg fortsetzte, ist namentlich bei der zweiten Hälfte des 100km-Weges diesmal besonders wichtig für mich gewesen. Ich hätte das Ziel gewiß nicht erreicht, wenn sich mir diese Chance nicht geboten hätte. (Entscheidend also sind bei außergewöhnlichen Anforderungen bzw. Anstrengungen h ä u f i g e r e kurze Pausen mit der Möglichkeit, sich auszustrecken, also hinzulegen. Der Grund, daß ich diesmal dringender als bisher auf kurze Ruhepausen angewiesen war, mag allerdings darin liegen, daß ich - in der Obhut zweier Mediziner - von mir aus die Probe aufs Exempel wagte, auch völlig ohne Vollmilchkonsum in Teelöffelrationen auszukommen, und zwar ausschließlich mit Zitronenlimonade und Mineralwasser. Fehlten etwa die Milch-Teelöffelrationen?)

Für Sohn Benjamin Jung, der sich dem Medizinstudium zugewandt hat und in München studiert, wird es nicht von minderem Interesse sein, das alles miterlebt zu haben.

In der Tat, was haben meine beiden Team-Gefährten und ich nicht alles erlebt an jenem 7./8. Juni 1991 beim 100-km-Lauf in Biel!

Schon in Oberramsern, 38 Kilometer von Biel, wo unser Team nach zügigem Marsch glücklich eingetroffen war, erlebte ich die erste Überraschung. Ich hatte es mir auf einer Liege eben bequem gemacht, da tauchten - wie aus heiterem Himmel - zwei Rundfunkreporterinnen bei mir auf, wie sie sagten "auf Live-Sendung". Meinen Einwand, ich müsse ausruhen, entkräfteten sie mit der Bemerkung, ich brauchte mich bei meinen Antworten ja nicht aufzurichten. Satt dessen gingen die beiden in die Hocke.

Nun, wie solche Interviews eben ablaufen, nett und freundlich, und mit der Schlßfrage als Clou, ob wird denn stolz seien, als erste in Oberramsern gelandet zu sein. "Wieso denn", sagte ich, "wir sind doch 5 Stunden eher gestartet!" "Da ghaben Sie auch recht" schmunzelten die beiden, bevor ich sie aus den Augen verlor. Als ich mich dann zum Weitermarsch aufmachte, sagte ich zu meiner Tochetr, die zugehört hatte, daß es ja ganz junge hübsche Mädchen gewesen seien, die mich da am Wickel hatten. "Hübsch schon" erwiderte Tochter Hanne. "Aber ganz jung waren sie nicht; wieso auch unbedingt ganz jung, da sie hübsch waren?!" Dabei sah sie ihren alten Vater vergnügt an und der Schalk in ihren Augen verriet, was sie dabei -so nebenbei- dachte! -

Derartige kleine, liebenswürdige Erlebnisse, hätten wir sie missen sollen?! Wie auch jenes zum Beispiel von der Kuhweide in Oberramsern? Soll ich sie erzählen, die kleine Geschichte? Da hatte es sich also als notwendig erwiesen, zusätzlichen Parkraum bereitzustellen für die große Anzahl der anfahrenden Begleitfahrzeuge. Ein Landwirt kam dem Wunsche nach und stellte seine Viehweide zur Verfügung gegen eine Parkgebühr von 2 Franken. Nun aber war das gelände durch den dauerregen total aufgeweicht, die zahlreichen Kuhfladen auf der Wiese also auch. Die PKW-Insassen und die PKW selbst kamen also nicht ungeschoren davon. So ergab sich, daß ich mir beim nächsten Treff unserer Wandergruppe mit den Insassen unserer Begleit-PKW eine Diskussion anhören konnte, die etwa folgenden Verlauf nahm: "Du, Papa, unser PKW riecht nach Kuhstall, der wird uns auch noch nach Hause begleiten." Dann folgte die Erläuterung warum, wobei sie schmunzelnd hinzufügte, "und dafür haben wir 2 Franken Parkgebühr bezahlt." Da schaltete sich Freund Ackermann ein: "Billiger" - scherzte er - "hätten wir zu einem Souvenir ohnehin nicht kommen können."

Als wir wieder in Matzenbach, in unserer schönen Westpfalz landeten und Tochter Hanne mit dem PKW-Großreinemachen beschäftigt war, holte sie mich aus dem Hause. Vor ihren Füßen lag ein Kuhfladen. "Der hatte sich unter dem Kotflügel eingenistet!" --
So hatte Freund Ackermann doch recht, nur hatte niemand von uns mit der Reiselust des Kuhfladens gerechnet!

Nebenbei bemerkt bewahrheitete sich wieder einmal der Spruch, daß jede Medaille ihre zwei Seiten hat. Denn wo auch hätten die Begleit-Fahrzeuge in der Nähe einen Parkplatz gefunden, wenn eben nicht auf der Kuhweide in Oberramsern! Zumal in Oberramsern als mitternächtlicher Betreuungsstelle nebst angeschlossener Sanitätsstation die Ansammlung von Begleit-PKW schon immer hoch gewesen ist.

Diese kleinen, munteren Begebenheiten, hätte ich sie - und andere nach unserer Ankunft am Ziel - erlebt, wenn ich daheim geblieben wäre?! Hätte ich sie erlebt, die Beweise der Hilfsbereitschaft, Zuneigug, Freundschaft, wenn ich mich diesmal an das Abenteuer 100-km-Lauf von Biel trotz meines Alters, nein, wegen meines Alters, nicht herangewagt hätte?! Wie aufmunternd und anspornend war für mich doch das Fluidum rundum, ein heiteres Wort, ein freundliches Lächeln meiner Freunde, die unerschütterliche Zuversicht meiner Tochter Hanne, "Papa Du wirst es schon schaffen!" Und wie beruhigend ebenfalls, daß Dr. Peter Kiderle mir laufend die Stabilität meines Kreislaufs bestätigen konnte! -

Dr. Adolf Weidmann in Biel Jedenfalls fehlte unserem Team nach unserer glücklichen Landung in Biel zuguterletzt nur noch ein Schild mit der Aufschrift: Ende gut, alles gut. So ist es denn auch im Sonderdruck des BIELER TAGEBLATT im Zusammenhang mit dem Abdruck "Meiner persönlichen Betrachtungen zum 19. erfolgreichen 100-km-Lauf" veröffentlichte Notiz, daß ich zu meinem 20. Lauf "speziell geehrt" würde, keine Fehlanzeige gewesen. Bereits beim Anmarsch unseres Teams sowie am Ziel selbst, wo ich infolge heftiger Hüftschmerzen mit "Schlagseite" einmarschierte, wurden wir mit großem Beifall begrüßt. Der Reporter des Lokalradios Canal 3 belegte mich gleich mit Beschlag und führet mich mit vereinten Kräften in das große neben dem Zieleinlauf errichtete Festzelt, wo ich schließlich auf dem Podium Platz nahm. Ich sah mich um. Das geräumige Zeltwar bis auf den letzten Platz besetzt. Unzählige Augenpaare waren auf mich gerichtet, als ich vom Reporter in sehr netter Weise vorgestellt worden bin. Ich ergriff dann auch das Wort, wobei mir zugute kam, daß ich nur bis zur Hüfte müde war, sonst, nach oben hin aber recht munter; wohl auch zur Freude des liebenswürdigen Reporters, der, anstatt viel zu fragen, nun einmal Gelegenheit hatte, mehr zuzuhören! -

Diesem, meinem Bericht habe ich einleitend die Überschrift vorangestellt: "Fest der Gemeinschaft und sportkameradschaftlichen Verbundenheit". Und habe ich damit ein Wort zuviel gesagt? Auf der einen Seite ist die bewährte Durchführung des Laufs selbst und die beispielhafte Betreuung der Sportlerinnen und Sportler unterwegs auf der Strecke nach wie vor in jeder Beziehung gewährleistet, ja sie wird weiterhin intensiviert.

Auf der anderen Seite dürften die nunmehr geschaffenen Vorraussetzungen zu geselligem Beisammensein zukunftsbezogen gewiß Früchte tragen. Ich hatte Gelegenheit, vor allem im Festzelt mit Bürgern Biels und aus dem Umland zu reden, mit Familienangehörigen von am 100-km-Lauf teilnehmenden Sportlerinnen und Sportlern sowie Sportlern selbst, ja gar mit von weither angereisten Gästen, die das Abenteuer Biel miterleben wollten. Sie alle waren erfreut über die jetzt bestehende Möglichkeit, sich in großem Kreis zusammenzufinden, gegenseitig kennenzulernen, die Ereignisse des Tages zu erörtern, Zukunftspläne zu schmieden. Nicht zuletzt wurde hervorgehoben, daß nunmehr auch für Volksläufer- und -Marschierer ein zusätzlicher Ansporn geschaffen worden sei, am Bieler Hunderter teilzunehmen, gegebenenfalls auch nur in Etappen "Siege über sich selbst" zu erringen und - was sehr wichtig sei - sich anschließend im Festzelt zu sportkameradschaftlichem Zusammensein einzufinden. -

Falls ich heute gefragt würde, welches denn die überraschendsten Eindrücke unseres diesjährigen Bielaufenthalts gewesen seien, so würde ich auf die Erlebnisse unseres Teams hinweisen, als wir uns - noch im Bannkreis von Oberramsern auf dem Weitermarsch befanden. Wir waren gerade auf einen Feldweg eingeschwenkt, nicht breit, vom dauerregen völlig aufgeweicht, Geröll und Steine im Lehm eingebettet, Pfützen und Wasserlachen als Zugabe. Ganz rechts am äußersten Wegrand marschierend, hatten wir eine Gänsemarsch-Formation gebildet, um jede Behinderung der uns überholenden Sportler auszuschließen. Von weither hörten wir das Herannahen der Vorhut und kaum hatten wir uns versehen, war die PKW-Kolonne im gleißenden Licht ihrer Scheinwerfer mit ziemlichem Tempo über den schmalen Feldweg holpernd, in der Finsternis auch wieder untergetaucht. Minuten verstrichen, nichts geschah, bis mit einemmal ein Schatten an uns vorbeieilte, leichtfüßig mit raumgreifenden Schritten, leichtgeschürzt, als gäbe es in dieser Nacht keine Wetterprobleme... Etwa 2 Minuten später geschah das gleiche, wie aus Nichts huschte ein Schemen, ein Spuk an uns vorbei und hintendrein, wie auch beim ersten Läufer, Hals über Kopf über Stock und Stein ein Radfahrer!

Inder Folgezeit sind es unzählige Begleitradfahrer gewesen, die ihre Schützlinge nicht aus den Augen ließen, wobei sie bei ihrer Verfolgungsjagd zu geradezu akrobatischen Leistungen gezwungen waren.
Wir sahen im Licht des anbrechenden Tages Begleitradfahrer, die bei ihren unfreuwilligen Slalommanövern vom nassen Feldweg über den Randstreifen die sanfte Böschung zu den Äckern, WIesen und Feldern ohne zu stürzen (was mich besonders beeindruckt hat) hinabglitten und rascher als ich es mir vorgestellt hätte, wieder im Sattel saßen.

Ich glaube, der Bieler Hunderter wäre nicht der Bieler Hunderter, wenn die Fahrradeskorten nicht stets dabei wären und die Begleitradfahrer alles Lachen und alles Weh mit ihren Schützlingen nicht ehrlich teilen würden! -

Vorstehend erwähnte ich bezüglich den die absolute Spitze bildenden Eliteläufern, daß sie in der Nacht wie Schatten, Schemen, wie ein Spuk an uns vorbeieilten. Diese Schilderung ist nicht übertrieben, mehr konnten wir wirklich nicht wahrnehmen! Vielleicht wäre es bei klarem Himmel oder gar bei Mondschein anders gewesen. Diesmal jedenfalls hatte die Finsternis der Nacht mit dem Nieselregen ein Bündnis abgeschlossen, so daß wir - wie unter einer Tarnkappe - daran gehindert waren, bei der Läuferelite zu unterscheiden, ob da eben ein Sportler oder eine Sportlerin an uns vorbeigeeilt war.

Übrigens wußten wir theoretisch, das heißt nach Adam Riese bescheidener ausgedrückt "rein rechnerisch" sehr wohl, daß die Laufgeschwindigkeit der Eliteläufer bei günstigem Gelände mit 15 Kilometern und darüber je Stunde zu veranschlagen ist und daß das Durchschnittstempo auf die Gesamtstrecke bezogen bei 14 Kilometern liegt. Der diesjährige und auch vorjährige 100-km-Lauf-Sieger Peter Camenzind, Zürich, durcheilte die Strecke in 6 Stunden, 51 Minuten und 25 Sekunden, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 14,5 Kilometern entspricht, und das gilt auch für seine ihm auf den Fersen folgenden Sportkameraden.

Bei den Läuferinnen der Damenelite ist das auf die Gesamtstrecke bezogene Durchschnittstempo mit bis zu 11,5 Stundenkilometern ebenfalls sehr hoch. Die diesjährige 100-km-Siegerin Jutta Philippin, Renningen, vermochte mit ihrer Zeit von 8 Stunden, 33 Minuten und 29 Sekunden die "Schallmauer" von 11,5 Stundenkilometern nach obenhin sogar nicht unwesentlich zu durchbrechen und sich damit der Top-Leistung der Vorjahressiegerin Birgit Lennartz, Sankt Augustin und anderer Ausnahmeathletinnen anzuschließen.

Ich erwähnte schon, "rein rechnerisch" ist leicht dahingesagt, leicht niedergeschrieben. Aber was hinter diesen Worten, hinter den niedergeschriebenen Ziffern und Zahlen in Wirklichkeit steckt, das vermag man erst so recht zu beurteilen, wenn man unmittelbar dabei gewesen ist. Wir, unser Team, war dabei; das ist kein Verdienst von uns, es ist ein Glücksfall, weil wir früher gestartet waren. Aber wir haben hautnah erlebt und erfahren, was Leistung ist, welche Anerkennung Leistungssportlerinnen und Leistungssportler verdienen. Zugleich ziehe ich meinen Hut voller Respekt auch vor den Volksläufern und -Marschierern. Sie sind nicht so schnell, dafür aber länger unterwegs. Vor allem aber, sie sind mit dabei und sie beweisen damit, daß sie sich dem gesundheitsfördernden Breitensport verschrieben haben. --

So habe ich also geschildert, daß die Erlebnisse, die Erinnerungen wach bleiben oder zu neuem Leben erweckt werden, wenn die Zeit gekommen ist wie jetzt, da ich diese Zeilen schreibe. Dabei fällt mir ein, ich versäumte noch zu erwähnen, daß ich bei meinen Märschen, wie ich das nenne, "schlappse", weil ich mir vor Jahren, bei meinem Training, wozu auch Holzhacken gehörte, in den rechten Fuß gehackt hatte. Das hört sich so an: "Tapp" ...(rechter Fuß)..."kurze Pause" (linker Fuß bzw. der mitmarschierende Sportschuh). Also: ..."tapp"..."Stille"..."tapp"..."Stille"... als ob nur der rechte Fuß etwas zu sagen hätte, während der linke Fuß still und bescheiden folgt! Meter um Meter, Kilometer.um Kilometer ..."tapp"..."Stille"... immerfort, 10 km, 20 km, 40 km, 80 km, 99 km dem Ziel in Biel entgegen ..."tapp"..."Stille"...! --

Wie die Tage in Biel ausgeklungen sind? Nun, heiter!
Als wir, Tochter Hanne und ich uns am Sonntag früh von "unserer" Zivilschutzunterkunft Sahligut, wo wir übernachtet hatten, zur Rückkehr in die Pfalz aufmachten, lief mir ein Sportler (mittleren Alters) in den Weg mit: einem "Biel-Schirm" in der Hand. "Auch 20?" fragte ich, weil ich einen solchen Schirm, der übrigens sehr hübsch ist, mit der Aufschrift "100 Kilometer Biel", am Abend zuvor für 20 Teilnahmen zur Erinnerung erhalten hatte. "Nein, für 14", lautete die Antwort! Ich war überrascht! Da lachte Tochter Hanne: "Der meint doch 14 Franken!" (Übrigens eine gute Idee, "Biel-Schirme" zur Erinnerung anzubieten!)


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10270 Zugriffe seit dem 30.11.2001, Stephan Isringhausen-Bley