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Markus Flick
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Mein erster Ultra. Ems-Jade-Lauf, von Emden nach Wilhelmshaven, 72 km.
Morgens um 7 treffe ich mit meinen Eltern am noch dunklen Emdener Hafen ein. Papa und Mama, die ja in Oldenburg wohnen, haben sich bereit erklärt, mein Begleitkomitee zu spielen, oder wie sagt man beim Schach? Sekundanten, glaub ich. Und so, wie man bedächtige Fussballspiele "Rasenschach" nennt, so werde ich den heutigen Lauf absolvieren: Nur nicht hudeln.
Es nieselt bei frischem Ostwind und 3 Grad. Schade, denn so bin ich gezwungen, meine Jacke geschlossen zu halten. Nix mit Krawattenlauf. Ehrlich gesagt war ein Argument für meine Teilnahme an dieser Ostfrieslanddurchquerung auch die hohe Wahrscheinlichkeit starken Westwindes, der mich, so hatte ich gehofft, zügig an den Jadebusen pusten würde. Aber heute bläst der Wind von Ost. Nun ja.
Ein lustig-verschlafen-heiser-klingender Landtagsabgeordneter verspricht kurz vor dem Startschuß: "An der Strecke werdet ihr alles finden, was das Läuferherz begehrt." Grosses Gelächter, dann knallt?s aus der Pistole und wir laufen in den trüben Sonntagmorgen hinein, immer am Ems-Jade-Kanal entlang. Anfangs in weiten links-rechts-Kurven, fast mäanderartig, ab Aurich jedoch vorwiegend schnurgerade, linealesk quasi. "Von A nach B": Hier einmal fast ganz wörtlich genommen.
Schon früh, kurz hinter der Emdener Autobahn, gesellt sich zu mir ein Senior, äh, Master, 61 Jahre, aus Seesen im Harz. Mit ihm plaudere ich über China, den Richtungsstreit in der PDS, warum es so wenige Wasservögel in Ostfriesland gibt (meint er jedenfalls zu beobachten), die Kultivierung von Hochmoor, Schäferhunde, Pennälerblasen, Joey Kelly, Silberbergbau, Teichlinsenbildung, Südafrika, das Fahrschulwesen der Bundeswehr, Smog in Athen, die Zonengrenze seinerzeit und, immer wieder wichtig: Das Wetter. Der Regen hat aufgehört.
Der Ems-Jade-Lauf ist unter den Ultraläufen für Melancholiker besonders geeignet, zumal bei trübem Himmel. Links der Kanal, rechts das Moor. Eine Stunde vergeht. Brücke. Rechts der Kanal, links fünf Häuser. Dahinter Moor. Schleuse. Eine Baumgruppe. Moor. Immer geradeaus. Plötzlich eine Parkbank! Sensation! Dann wieder Moor. Brücke. Ruhe. Zuschauer gibt es keine. Oder kaum. Doch, da war ein Mann, mit Pfeife. In der Nähe der Brücke. Und, um ehrlich zu sein, noch einer, ohne Pfeife, 27 km weiter. O.k., ich übertreibe, aber nicht allzu sehr.
Wie Oasen in der Wüste hingegen die Wechselpunkte des gleichzeitig stattfindenden Staffellaufs: Tapetentische mit Spitzenangebot, u.a. Topfkuchen (Topverpflegung sozusagen), Feuerwehr, Anfeuerungen, grosses Hallo und kleine Gehpausen mit dem Malzbier in der Hand. An dieser Stelle Danke an Organisation und Helfer: Alles tippitoppi, spitzometer.
Alle 5 km schlage ich mir den Bauch voll. Auch für chronisch Hungrige ist diese Veranstaltung sehr zu empfehlen.
Ich laufe langsam, selbst für meine eh schon lahmen Laufleistungen, möchte aber vermeiden, irgendwo zwischen Marcardsmoor und Sande ausscheiden zu müssen. Mit Taxis ist das hier nämlich so?ne Sache, im Moor. Wir witzeln: Sollte man sich hier den Fuß verknacksen, kann man im Ems-Jade-Kanal auch schwimmend das Ziel erreichen.
Etwa ab km 60 wird?s hart. Ich ertappe mich dabei, häufiger als nötig zum Pinkeln den Wegesrand aufzusuchen, nur um einen kurzen Moment der Bewegungslosigkeit zu geniessen.
Vorgenommen hatte ich mir, ab Wilhelmshavener Autobahnunterführung in Freude auszubrechen, denn von hier aus würden es nur noch 10 km bis ins Ziel sein, aber eben diese letzten 10 km machen die ganze masochistoide Grandezza dieser Sportart aus: Ob der Verkrampfungen im Nacken, der Unlust in den Beinen und der immer zäher verinnenden Zeit fällt der Freudenausbruch eher verhalten aus. Echte Euphorie erst auf den letzten 100 Metern, nämlich, als ich das Ziel sehen kann. Das Auge scheint bei dieser Art von Stimmungswechsel eine besondere Rolle zu spielen; "das Auge läuft mit" gewissermaßen.
Sambakapelle, Händeschütteln, Erbsensuppe.
Ich bin wieder am Meer. Wie heute morgen, vor 7 Stunden, 40 Minuten und 31 Sekunden.
Möwen kreischen, ich gähne, lasse mich von meinen Eltern ins Auto laden, lege mich aufs Sofa, trinke zwei Bier, bin angenehm besoffen und schlafe ein. Hurra!
P.S.: Vielleicht sollte man jährlich die Richtung wechseln, um so quasi ein ostfriesisches Pendant zum Comrades-Marathon zu schaffen. Nur als Anregung. Egal. Dieser Tag wird mir in aller, allerbester Erinnerung bleiben.
© Wigald Boning, Oktober 2002
Maehdresch@aol.comWeitere Info's zum Lauf: