Susanne Mahlstedt , 23. September 2008

Der 6-Tagelauf in Hamm vom 29.6.-5.7.2008 oder Die Eroberung des Nutzlosen

Der 6-Tagelauf in Hamm vom 29.6.-5.7.2008 oder Die Eroberung des Nutzlosen Es gab drei völlig unterschiedliche Beweggründe, am 1. Hammer 6-Tagelauf teilzunehmen und damit absolutes läuferisches Neuland zu betreten. Herausragend war die Motivation, zusammen mit Uwe nach seinem gescheiterten Deutschlandlauf noch einmal ein etwas halbwegs vergleichbar Großes zu laufen. Den Lauf wollten wir gemeinsam durchstehen. Damit sollte er quasi zur „Heilung“ beitragen. Dann war da noch mein unvorsichtiges „Wort“, das ich Bernd gegeben hatte, mitzumachen, wenn er es schafft den Lauf zu organisieren. Meine ureigene Motivation entsprang dem Wunsch, mich bei meinem letzten großen Lauf mit über 500 km abschließend in der ewigen deutschen Bestenliste für 6 Tage zu verewigen.

Diesmal habe ich mir überhaupt keine Vorstellung von der Veranstaltung machen wollen. Sechs Tage auf der Bahn zu laufen ist einfach unvorstellbar und gedanklich nicht vorwegzunehmen. Wertvolle Mehrtageslauf-Erfahrung hatte ich schon vom Deutschlandlauf. Aber hier sollte es nachts keine festen Ruhezeiten geben und kein Laufen von A nach B in ständig wechselnder Landschaft, sondern nur eine 400-m-Aschenbahn. Das sind noch mal ganz andere, härtere (?) Voraussetzungen. Kritisch stand ich der Sache deshalb von Anfang an gegenüber, besonders wegen meiner Schmerzen im Vorfuß, die ich bereits neun Monate seit dem Deutschlandlauf hatte.

Ich erinnere noch sehr genau, dass ich mich zu Beginn der Veranstaltung bei schönem Wetter sehr gefreut habe zu laufen und fast euphorisch war. Die Sonne schien, aber nicht zu heiß. Alles wirkte trotz der Bedenken geradezu perfekt. Aufgrund des geringen Tempos fühlt man am Anfang ja auch keinerlei Anstrengung. Zu Beginn haben alle viel erzählt und sich ein bisschen kennen gelernt bis auf den Schotten William, der einsam von Anfang an ein wenig verbissen seine Runden drehte. Wahrscheinlich war überall Erleichterung spürbar, dass das Unvorstellbare nun Realität wurde. Am ersten Abend stand auch noch das Fußball-WM-Finale an, auf das viele Läufer nicht verzichten wollten. Andere drehten einfach weiter ihre Runden, völlig unbeeindruckt vom Spiel der deutschen Mannschaft, das ziemlich unspektakulär verloren wurde.

Die Veranstaltung war sehr gut organisiert. Morgens von sechs bis acht gab es ein reichhaltiges Frühstück mit Brötchen, Rührei, Schinken, Käse, Marmelade und Müsli, mittags und abends abwechslungsreiches warmes Essen, um Mitternacht noch ein heißes Süppchen. Fürs leibliche Wohl war also gesorgt. Die meisten Helfer stammten aus dem veranstaltenden Fußballverein Bockum-Hövel und hatten somit eigentlich keine Beziehung zum Ultralaufen. Sie waren aber alle unglaublich bemüht und hilfsbereit. Kein Wunsch war ihnen zu groß. Eine Helferin ist beispielsweise spät abends noch nach Hause gefahren, um mir ihren privaten Blasen- und Nierentee zu holen. Ein anderer junger Mann aus dem Verein stand in seinen Arbeitspausen immer mal wieder am Geländer und sah unserem Treiben kopfschüttelnd zu, freundlich grinsend, sechs Tage lang. Er wurde wie so vieles andere zu einem Fixpunkt für die Läufer. Am letzten Tag musste ich ihn fragen, warum er nicht mehr mit dem Kopf schüttelte, woraufhin er sofort wieder damit einsetzte. Alles war wieder gut.

Die Verpflegungsstelle nach der elektronischen Rundennahme am Bahnrand war für die meisten sicherlich der erste Anlaufpunkt unter den Helfern. Hier wurde Tag und Nacht heißer Tee und Kaffee gekocht, Melonen, Äpfel, Tomaten geschnitten und allerlei anderes zum Essen nebenbei gereicht. Bekannte Ultraläufer wie Jutta Jöhring und Mattin Becker haben sich dafür zur Verfügung gestellt ebenso wie Vereinsmitglieder und der Sohn von Stephan Isringhausen. Eher bekannt in der Internetwelt ist letzterer unter dem Namen Steppenhahn. Der Betreiber der bekannten Ultra-Seite, hatte sich extra Urlaub genommen und war mit Hund Birke vor Ort. Ihre Stöckchen-Spiele inmitten der Laufbahn zu beobachten war eine willkommene Abwechselung. Unmittelbar nach der vollen Stunde waren für die interessierten Verfolger vor den häuslichen oder dienstlichen Bildschirmen die stündlichen Km-Leistungen im Netz. Stephan hat auch den Service geboten, Mailgrüße an die Strecke zu bringen. So konnte Unterstützung von zuhause auf die Strecke gelangen.

Selbst, dass die Turnhalle zum Schlafen ca. 130 Meter von der Bahn und die Toilette sowie das Vereinsheim für die drei Mahlzeiten 20 Meter entfernt waren, fand ich persönlich nicht so tragisch. Bei manchen Läufen stehen Dixiklos direkt an der Bahn. Das ist für absolute Rekorde vielleicht wichtig. Die Aschenbahn war natürlich in der Hitze der kommenden Tage sehr, sehr staubig. Die rote Asche hat sich noch Monate hartnäckig in den Schuhen gehalten. Nach einem wolkenbruchartigen Regenfall war sie vollkommen überschwemmt. Gegen die unterschiedlichen Wetterphänomene erweist sich eine Tartanbahn bestimmt als konstantere und sauberere Laufunterlage. Aber hier haben die Helfer wieder unmittelbar reagiert und eine Pumpe besorgt, um die Wassermassen von der Bahn zu zaubern. Ebenfalls wurde mit Besen und Eimern per Hand gearbeitet, um die Bahn wieder gut passierbar zu machen.

Die Arbeit der Physiotherapeuten Mike und Leif dagegen gar nicht mehr mit Worten zu beschreiben. Ihre Arbeit lediglich als großartig zu bezeichnen, könnte man schon als Beleidigung werten. Sie standen uns Tag und Nacht mit vollem Einsatz zur Verfügung, nicht nur mit ihren Händen, ihrem professionellen Können, sondern auch mit immer wieder neuen, spontanen Ideen und vor allem viel Empathie. Sie haben uns unglaublich viel Wohlbefinden bereitet mit ihrem Reha-Pen aus Edelstahl, den Muskelauflockerungen und der Begünstigung des Lympheabflusses. In unseren Pausen hatte ich das Gefühl, endlich einmal im lange verdienten Wellness-Urlaub zu sein – und das bei einem Sechs-Tagelauf!

Einmal hat Leif abends meine Beine massiert, während ein Lehrling mir gleichzeitig eine Fußreflexzonenmassage gegeben hat. Herrlich! Sogar gegen die Blasen hatte Leif eine besondere Methode. Er hat mit einem Baumwollbindfaden mit Knoten an beiden Enden eine Drainage durch die Blase gelegt. Dadurch konnte die Flüssigkeit ablaufen, die Haut aber nicht wieder zuwachsen. Zur Säureregulierung haben die beiden uns immer regelmäßig Basica an die Strecke gebracht. Bei zu großer Hitze, als einmal über 50° C auf der Bahn gemessen wurden, hat Leif mich in einem kalten basischen Bad so stark heruntergekühlt, dass ich danach vollkommen frisch laufen konnte. Vorher hatte ich eine Stunde im abgedunkelten Raum ohne jegliche Bewegung unerträglich geschwitzt.

Mike und Leif haben es sogar geschafft, meine chronischen Schmerzen am Fuß zu beseitigen. Ein Orthopäde sowie ein Radiologe hatten zuvor unisono behauptet, dass man bei Überlastungsschäden im Fuß nichts machen könne, außer eben weniger zu laufen. Diese Info hat Mike kopfschüttelnd aufgenommen und den Fuß sofort behandelt. Schon nach der ersten Behandlung war eine sofortige Linderung zu spüren. Unter der enormen Belastung haben die beiden die Schmerzen endgültig wie überflüssigen Ballast entsorgt. Sie sind bis heute nicht wiedergekehrt. Ich glaube, es lohnt sich sogar eine sehr weite Anreise nach Hamm, um sich in ihrer Praxis behandeln zu lassen. Solche Physiotherapeuten findet man so schnell nicht wieder. Über ihre inhaltliche Arbeit ist konkreteres auf ihrer Homepage zu erfahren: www.michael-ketels.de

Auch die Pressearbeit war sehr gut. Das ist bei Ultralauf-Events lange nicht selbstverständlich. Jeden Tag hat ein Artikel im Westfälischen Anzeiger mit Fotos über den Fortschritt des Laufes und über einzelne Läufer berichtet. Das Radio an der Strecke ließ uns Nachrichten über unsere Leistungen hören. Sogar der WDR hat einen fünfminütigen Bericht hauptsächlich über Uwe als Lokalmatador aus Hamm gesendet. Direkt auf der Bahn auf dem Laptop des Zeitnehmers aus der Nähe von Dresden konnten wir ihn verfolgen. Dass die Welt außerhalb der Bahn von uns Notiz genommen hat, hat zu Motivationsschüben beigetragen.

Uwe hatte neben dem WDR auch viel Besuch von seiner Familie, alten Freunden, Bekannten und Kollegen. Mal eine Erzählpause einzulegen war für ihn eine willkommene Abwechslung vom Laufen, die ihn danach aber wieder umso mehr motiviert hat. Ich dagegen war so auf meine Runden fixiert, dass ich niemanden an der Bahn registriert habe. Selbst Uwes Sohn mit der lieben Maria und ihrem Sohn im Kinderwagen habe ich zu meiner Schande gar nicht begrüßt, weil ich sie überhaupt nicht wahrgenommen habe. Alle Sinne haben sich wohl zugunsten der Beinarbeit reduziert.

Und genau das Phänomen war wohl das Interessante an diesem Lauf. Man schaltet wahrscheinlich so ab und blendet vieles aus, dass man selbst das Offensichtliche seines Tuns, nämlich das stupide Kreisen auf der Aschenbahn gar nicht mehr als solches wahrnimmt. Jeder hatte seine Mechanismen gefunden, um vom Kopf her die „immer währende Runde“ zu bewältigen. Ich habe mich immer wieder auf die volle Stunde gefreut, um dann bald wieder den Fortschritt an der Zeitnehmertafel dokumentiert zu sehen. Danach habe ich mich gezwungen, die Uhr nicht mehr so richtig zu beachten bis zwanzig nach. Dann konnte ich schon wieder sagen: „Na also, ein Drittel der Stunde ist schon wieder um! Kurz darauf war auch die Hälfte schon wieder geschafft. Bei vierzig folgte nur noch das letzte Drittel, bei 45 wurde es lockerer, da das Ende ja schon in Sicht war. Bei 50 war die Freude groß, fast wieder eine Stunde bewältigt zu haben. Und kurz darauf war es schon wieder 12 nach und dann 20 wieder nicht weit. Dieses Spiel, ich weiß nicht, wie oft ich es im Geiste gespielt habe, 50 Mal mit Sicherheit, eher noch mehr.

Genauso folgte der Tag relativ festen Regeln: Gegen 5 Uhr (?) dämmerte es langsam, gegen 9 ließ der Schatten auf der Baumseite der Bahn langsam nach, ab 11 Uhr lag die gesamte Bahn völlständig in der prallen, unerbittlichen Sonne. Ab 17 Uhr ca. gab es auf der gegenüberliegenden langen Seite bei der Tribühne lansam wieder ein bisschen Schatten, ab 19 Uhr war die Hitze erträglich. Ein, zwei Stunden später begann es langsam zu dämmern. Dann wurden die eigens für die Veranstaltung installierten Scheinwerfer eingeschaltet, die wiederum bis 5, 6 Uhr morgens ihren Dienst tun mussten. Die gleiche Prozedur wiederholte sich mehr oder weniger 6 Tage lang und wurde durch die ersehnten Essenspausen „von außen“ unterbrochen. Eigene Pausen darüber hinaus waren eine „innere Notwendigkeit“.

Richtungswechsel jeweils nach sechs vollen Stunden waren immer von besonderer Begeisterung gekrönt. Die Helfer haben sich am Wendepunkt aufgestellt und alle Läufer mit Abklatschen in die neue Richtung verabschiedet. Welche Freude im monotonen Bahngeschehen, alle entgegenkommenden Mitläufer durch Abklatschen zu begrüßen und immer wieder erneut zu würdigen. In der Nacht haben die Helfer auch immer schnell die Scheinwerfer in die jeweils andere Richtung gedreht, um den Läufern das Geblendet-Werden zu ersparen.

Am Mittwochabend kam eine große Laufgruppe aus Hamm, die „Radbod- Runners“, zur Unterstützung vorbei. Sie schienen großen Respekt vor unseren Leistungen zu haben und liefen zeitweilig mit auf der Bahn und machten la-ola- Wellen am Bahnrand. Dadurch konnten wir alle aufgrund des größeren Spaßfaktors schneller rennen oder zumindest leichter vorankommen. Gerne hätten wir sie zwischendrin nochmals begrüßt. An der Siegerehrung nahmen sie wieder teil.

Schon oft hatte ich gelesen, dass sich bei Mehrtagesläufen am dritten Tag der alles entscheidende psychologische Knackpunkt einstellt. Bei mir kam er am Ende der vierten Nacht. Da habe ich tatsächlich kurz überlegt, ob es noch Sinn macht weiterzulaufen, wo man doch so einfach besser hätte im Bett liegen bleiben können. Aber dazu waren wir ja nicht in Hamm. „Im Bett kann man sonst immer liegen ohne Startgeld bezahlt zu haben! Also wieder aufraffen, auch wenn es schwer fällt, und weiter, immer weiter bis zum Schluss ... Genau, das morgendliche Laufen ist doch eigentlich immer ganz schön“. Solche und andere motivierende Gedanken habe ich mir gemacht und raus ging’s aus dem gemütlichen Federbett. Am fünften Tag war bereits ganz klar, dass es der vorletzte war und nach einer weiteren Nacht schon das Ende schon zum Greifen nahe gewesen wäre. Der letzte Tag war dann für alle viel lockerer und ausgelassener, obwohl noch einmal vermehrt um Kilometer gekämpft wurde.

Die meisten Mitläufer waren sehr aufgeschlossen und vertrieben sich die Zeit zwischendurch immer mal durch Erzählen und manchmal sogar philosophieren, obwohl jeder für sich seine ureigene Welt lebte und mit eigenen Zielen, Wünschen und Vorstellungen von der Veranstaltung beschäftigt war. Zunächst waren wir mit 13 Läufern an den Start gegangen. Wolfgang Schwerck hatte angekündigt, einen neuen Weltrekord aufstellen zu wollen. Aber schon am zweiten Tag hatte er sich wegen der zu heißen Temperaturen aus dem Geschehen zurückgezogen. Sein Plan konnte unter den Bedingungen nicht aufgehen.

Dieter wollte seinen persönlichen Rekord von 513 km brechen und kämpfte unerbittlich gegen sich selbst darum. Er schlief die meisten Nächte so gut wie gar nicht und glänzte durch Präsenz auf der Strecke. Er ging vor lauter Überanstrengung gegen Ende der Veranstaltung schief und wirkte manchmal am Rande seiner Kräfte, teilweise kaum noch zurechnungsfähig (das ist natürlich nur ein subjektiver Eindruck von einer, die bestimmt auch nicht besser bei Sinnen war). Unsere Physiotherapeuten machten sich auch Sorgen um ihn und wollten ihm helfen. Er konterte aber, dass ihm schon genug geholfen sei, wenn man ihn einfach in Ruhe ließe. So ist eben jeder anders. Auf meine Frage, warum er sich solcher Anstrengung unterziehe, war seine grandiose Antwort, er liebe die Eroberung des Nutzlosen. Wie wahr und bewusst! Über den Sinn, Unsinn oder den Nutzen solcher Veranstaltungen könnte man sicher lange diskutieren. Dieter hat aber noch einen neuen deutschen Rekord im Sechstagelauf in der M 65 mit 523,770 km aufgestellt. Unmittelbar nach der Siegerehrung war er nach all der Überanstrengung sogar in der Lage eine druckreife Dankensrede für die Helfer zu halten. Wie unglaublich, wozu Menschen im Stande sein können!

Trond, der Norweger dagegen, den wir schon vom Deutschlandlauf kannten, hat von Anfang an klargestellt, in Hamm im Urlaub zu sein und Spaß haben zu wollen. Da er in Norwegen oft Nachtschichten schieben muss, wollte er im Urlaub darauf lieber verzichten. Einen Tag ist er nur etwas mehr als den vorgeschriebenen Marathon gelaufen, weil er zu mehr einfach keine Lust hatte. Mit der Startnummer um den Bauch ist er einmal mit dem Fahrrad in ein nahe gelegenes Einkaufszentrum gefahren, um mal etwas anderes zu sehen. Er kam mit einer Flasche Wasser wieder, weil ihn im Endeffekt doch nichts weiter inspiriert hatte. Aufgrund seiner großen Begabung ist er trotzdem locker zweiter geworden. Aufgrund seiner weißen Mähne wurde er vom Steppenhahn, der auch mit einer wilden Matte glänzen kann und genauso zu Späßen aufgelegt war, als „the most famous hairstylist“ bezeichnet. Als es mal regnete und viele von der Bahn gegangen sind, sagte Trond beim Überholen trocken: „Rain is good for your hair“. Auf mein fragendes Gesicht hin, fügte er gleich noch hinzu, dass ich mir das vom „most famous hairstylist“ mal sagen lassen sollte. Damit war gleich wieder das Eis gebrochen, um zusammen Blödsinn zu reden und zu lachen. Wir haben so viel gelacht, dass wir uns manchmal auf der Bahn oder auch beim Essen die Bäuche halten mussten und der Steppenhahn schon kritisch bemerkte, dass „der Stoff“ ja wirklich gut sein muss.

Auch Frank Hildebrandt hatte seine lustigen Minuten, obwohl er insgesamt eher ernsthaft wirkte und oft mit seinem großen Vorbild Else Bayer zusammen ging. Zu dem kleinen 79-jährigen Iren Dan, der immer langsam mit riesiger Sonnenbrille vor sich hin trottete, sagte er einmal im vorbeilaufen: You have nice sunglasses. Als der wiederum mit trockenem englischen Humor antwortete: Yes, I like them, mussten wir auch wieder lachen. Das Spiel ließ sich weiter hinziehen und uns einen Vor- oder war es ein Nachmittag (?) verkürzen.

Auf der nächsten Runde fragte Frank, warum Dan denn hier im Kreis laufe. „Ich finde den Ausgang nicht“, war seine prompte Antwort, die natürlich auch für Erheiterung sorgte. Später fügte er hinzu, er werde aber noch ein paar Tage danach Ausschau halten. Auf einer weiteren Runde bemerkte er, dass am Ausgang nämlich sein Rollator stehe. Einmal beim Essen munkelte man, er lebe tatsächlich im Altenheim und bewege sich dort mit dem Rollator fort, was natürlich absurd anmutete, aber wieder einen Lacherfolg erntete. Es stellte sich später als Witz raus. Tatsächlich soll er in einer Einrichtung mit krebskranken Kindern leben, für die er noch als Buchhalter tätig ist. Er selbst bezeichnet in einem Zeitungsinterview Ultraläufer als Verrückte -, die aber niemandem etwas zuleide tun. Da mag etwas Wahres dran sein.

In einer Nacht wurde eine große 69 mit Windlichtern im Innern der Bahn aufgestellt. Um Mitternacht haben wir dann alle auf der Bahn innegehalten und auf Else Bayers Geburtstag angestoßen. Sie beging ihn ganz bewusst während ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Ultralaufen. Schon seit einigen Jahren ist Else oft im Rock beim Laufen unterwegs und damit in der Szene unverwechselbar. Sie ist eine ganz Liebe, hat deutsche Rekorde in der Alterklasse aufgestellt, sagte unterwegs aber öfter, dass sie auch müde sei und im Grunde lieber mit ihrem Mann, der sie immer unterstützte, gemütlich wandern gehen würde. In ihrem unermüdlichen Laufeinsatz ist sie ein großes Vorbild für viele und will ihrem Leben deshalb nicht untreu werden. Am folgenden Wochenende wollte sie noch an den Deutschen Meisterschaften im 24-Stundelauf in Berlin teilnehmen.

Auch Barbara hatte ihr ureigenes Ziel. Sie wollte 500 km schaffen, kämpfte und hat sie sogar gut überschritten. Sie ließ sich kaum von Mike oder Leif behandeln, sondern kümmerte sich immer selbst ganz professionell am Bahnrand unermüdlich um ihre Blasen. Auch ihr Mann, der sie zum Ultralaufen gebracht hatte, unterstützte sie fast Tag und Nacht und schlief oft direkt an der Bahn.

Tom, ein weiterer fast 80-jähriger Brite, schien durch Hochrechnungen davon bedroht, seinen vorgeschriebenen Marathon am letzten Tag nicht zu schaffen. Damit wäre der Lauf insgesamt für ihn nicht gewertet worden. Das wollte natürlich niemand. Auch er ging vor Anstrengung schief und kam deswegen nur noch schlecht voran. Fast alle halfen wir ihm bei der Bewältigung seines Marathons, indem wir ihn abwechselnd hin und wieder eine Runde stützten, um ihm dadurch den Vortrieb zu erleichtern. Das zeugt auch davon, wie sehr wir alle in den Tagen zusammen gewachsen sind und die Veranstaltung fast wie eine kleine Familie zusammen gemeistert haben. Ja, trotz des einsamen Kampfes jedes Einzelnen auf der Bahn waren wir alle zusammen mit uns und den anderen zufrieden. Wir haben es alle geschafft unter der extremen Belastung den Lauf gut gemeinsam durchzustehen.

Zwei Stunden nach der Siegerehrung beim gemütlichen Zusammensitzen fiel unser Blick noch einmal auf die Bahn, die wir doch eigentlich lange genug kennen gelernt hatten. So einsam, wie sie dort jetzt lag, schien sie uns sofort wieder fremd. Der Lauf an sich war schon wieder verflogen und so wenig vorstellbar wie vorher. 6-Tageläufe kann man anscheinend nicht verstehen geschweige denn vermitteln, sondern nur laufen – oder auch nicht.

Für Uwe und mich war der Lauf natürlich besonders schön und eine gemeinsame innige Erfahrung nach dem Deutschlandlauf. Wer außer uns konnte zur Entspannung schon zwischendurch Händchen haltend über die Bahn marschieren? Wir haben uns immer gemeinsam ausgeruht auf der Bahn, im Bett und auch bei Mike und Leif und die ganze Zeit über Freud und Leid geteilt. Bei Uwes Tiefpunkt, als er in der letzten Nacht das Bett nicht mehr verlassen wollte, konnte ich ihm helfen. Das Ende stand doch schon kurz bevor! Ein paar unfreudliche Worte meinerseits mussten herhalten, für die Uwe sich aber umgehend sogar noch bedankt hat. Unser Ziel, den Lauf gemeinsam zu überstehen, hat damit wunderbar geklappt. Unsere Freude darüber war riesengroß und einfach schön zu sehen, was man gemeinsam viel leichter bewältigen kann. Uwe konnte sogar noch seinen erhofften Pokal als bleibende Erinnerung mit nach Hause nehmen.

Mein Wunsch mich in der ewigen DUV-Bestenliste zu verewigen ist auch in Erfüllung gegangen. Meine angestrebten Kilometer dafür habe ich sogar relativ untrainiert erreicht. 30-40 km die Woche reichen kaum für eine mittelmäßige Marathonvorbereitung. Daran sieht man aber, dass Ultras bei mittelmäßiger Begabung hauptsächlich im Kopf entschieden werden. Und daraus resultierte wohl der allerschönste Nebeneffekt des Laufes – ich hatte schon vage vermutet, dass es passieren könnte, es aber als extrem unwahrscheinlich abgetan – eine neue Motivation wieder zu laufen. Vielleicht sollte ich einfach mal wieder auf kürzeren Strecken versuchen, was möglich ist. Von der Idee mit dem extensiven Laufen aufzuhören, hat sich nach Hamm relativ schnell die Idee herauskristallisiert, im nächsten Jahr an die 200 km heran zu laufen bei mehreren 24 Stundenlauf–Versuchen.

Das gesamte Resumé wirkt jetzt sicher sehr positiv, verschweigen möchte ich am Ende aber nicht, dass ein Sechstagelauf eine extrem Kraft raubende Aktion für den Körper darstellt. Das ist sowieso klar, aber es soll auf keinen Fall unerwähnt bleiben. So interessant, im Endeffekt positiv und reich an Erfahrungen der Lauf war, weiß ich, ihn in den nächsten Jahren nicht wiederholen zu müssen. Muskuläre Probleme hatte ich aufgrund des geringen Tempos gar nicht, auch nichts mit den Gelenken, Bändern oder Ähnlichem. Aber es stellt sich eine schleichende Müdigkeit nach solchen Extremläufen ein, die man bestimmt nicht unterbewerten sollte. Wenige Wochen später hatte ich auch eine Nierenbeckenentzündung, die mich vollständig aus der Bahn geworfen hat. Sie hat mir deutlich aufgezeigt, dass gerade, wenn wir viel von unserem Körper verlangen, wir ihn auch richtig regenerieren lassen und pflegen müssen.


© Susanne Mahlstedt , 23. September 2008

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