Bernhard Sesterheim , 09. Dezenber 2004

Badwater-Ultramarathon vom 12.07. bis 14.07.2004, erlebt als Supporter

Vorwort

Dieses Extremrennen ist wahrlich "der Kracher" unter den Hardcoreläufen dieser Welt, denn es findet seit 1978 jedes Jahr am heißesten Platz an den heißesten Tagen des Jahres im sogenannten Hitzeofen Kaliforniens statt; im Death Valley, dem Tal des Todes.

Gestartet wird an einem Ort mit Namen Badwater, der ca. 80 m unter dem Meeresniveau liegt und das Ziel befindet sich 217 km weiter am Mount Whitney Portal in 2800 m Höhe. Gelaufen wird auf einer sehr gut ausgebauten Teerstraße. Die Sollzeit beträgt 60 Stunden. Über viele Stunden ist es über 50° C heiß und das Thermometer sinkt nie unter 30° C. Unmittelbar über der Teerdecke sind schon Temperaturen von über 90 ° C gemessen worden.

Dieses Jahr wird ein wissenschaftliches Experiment unter Leitung des allbekannten Ultraläufers und selbstlosen Humanisten Dr. Holger Finkernagel an 10 ausgesuchten Läufern durchgeführt, um zu ergründen, wie sich die mörderische Hitze bei dieser extremen Distanz auf deren Körper und Geist auswirkt. Alle 21 km wird den Sportlern Blut abgezapft, das von einem Boten abgeholt und sofort nach Las Vegas zum Flughafen gebracht wird, mit dem nächsten Flugzeug nach Deutschland kommt und dann in Heidelberg analysiert wird. Ebenso nach jedem Halbmarathon wird der Läufer mit einem Fragebogen traktiert, er muss Zahlenkolonnen vor- und rückwärts nachsprechen und Wörter aufsagen, die stets mit dem gleichen Buchstaben beginnen und er Stunden vorher innerhalb einer Minute sich einprägen musste. Diese Aufgabe habe unter anderen ich zu erfüllen.

Das Rennen beginnt.

Gegen 05.00 Uhr treffen wir mit unserem Van am Startplatz ein. Es sind neben mir der medizinische Supporter Karsten, Anfang 30, Krankenpfleger, und der Läufer Alfred Hintzmann aus Hamburg, 70 Jahre, pensionierter Feuerwehrmann. Er ist mir vom letztjährigen Marathon des Sables persönlich bekannt und war im Nachbarzelt untergebracht. Im Moment ist die Temperatur angenehm - nur 36 ° C, da die Sonne noch hinter den hohen Bergen verweilt.

Minuten vor 06.00 Uhr in der Frühe ertönt am tiefsten Punkt vom Tal des Todes - Badwater - aus einem Ghettobluster die Amerikanische Nationalhymne. Die Läufer und Begleiter erweisen ihre Referenz, indem sie ihr Haupt entblößen und Haltung einnehmen. Danach fällt ein Pistolenschuss, der von Chris Costman, dem Renndirektor abgefeuert wird und für die erste Gruppe, ca. 30 Personen, die langsamste, in der sich alle Experimentierläufer befinden, beginnt ihr großes Abenteuer. Ein Passionsweg, eine Achterbahnfahrt der Gefühle, eine vielstundenlange Läuterung von Körper und Seele, bedingt durch Höllentemperaturen und mörderischer Distanz, nimmt ihren Anfang.

Alfred Gerauer spielt den Clown und beginnt das Rennen als Tiefstarter, so wie bei einem

100 m-Lauf, und er erheischt großen Beifall, denn alle Begleiter lachen lautstark. Das Läuferfeld zieht sich auseinander. Am Schluss befindet sich ein Franzose, ungefähr in meinem Alter, gekleidet ganz in weiß in weitem Hemd und langer weiter Hose und wie fast alle anderen mit weißer Legionärskappe; aber die Figur will so gar nicht zum Typ eines Ultraläufers passen, er ist wie die Bayern sagen "gut beinand" und könnte durchaus beruflich etwas mit Gastronomie zu tun haben. Er ist bis jetzt der einzige, der nicht joggt. Alfred Hintzmann, mein Betreuter ist zweitletzter und entfernt sich langsam von ihm.

Wir im Auto lassen die Läufer einige Zeit vorauseilen, da wir die ersten 20 km nicht neben ihnen herfahren dürfen, denn jeder Athlet hat mindestens ein Begleitfahrzeug. Manche haben sogar deren 5. Es würde sonst Probleme mit der "Verkehrsdicht" geben, da das Läuferfeld doch zum Teil noch zusammenhängend ist.

Nach ca. 10 Minuten fahren wir nach und sehen, dass sich mittlerweile hinten eine 5er Gruppe gebildet hat. Es ist ein Kanadier in meinem Lebensalter, der gut Deutsch mit holländischem Akzent spricht und 3 Begleitfahrzeuge hat. Mit dabei ist Jack Dennis, 69 Jahre, ein schrulliger, pensionierter englischer Lehrer, der jetzt zum 10. Mal das Rennen macht. Außerdem läuft noch ein Mitsechziger hinter Alfred. Der wohlbeleibte Franzose hat aufgeholt und joggt jetzt auch.

Die Straße führt über viele Kilometer kerzengerade und ist fast flach, nur unmerklich ansteigend am Rande einer "Salzpfanne" (= getrockneter und aufgesprungener Lehmboden mit Salzkrusten) hindurch. Der Himmel ist wolkenlos und noch ist das Koma angenehm; denn die Sonne verharrt noch hinter den Bergen .....

Alfred wird das erste Mal versorgt, d.h., er bekommt frisches, kaltes Trinkwasser und ein mit Eiswasser getränktes Handtuch von mir über die Schulter gelegt. Alles ist jetzt völlig undramatisch und klappt reibungslos. Mittlerweile kommen einige Anstiege, die grundsätzlich marschierenderweise genommen werden.

Unser Experimentierläufer ist auch in weiß gekleidet: kurze Shorts, kurzes Hemd, Legionärsmütze mit deutscher Landesfahne und Marathon des Sables-Emblem. Leider müssen wir nach kurzer Zeit feststellen, dass besagte Shorts am Hinterteil an einer ganz bestimmten Stelle stark gebräunt sind.

"Sollen wir es ihm sagen?" fragt Karsten. "Nicht jetzt schon, s’hat noch Zeit. Es verdirbt ihm nur seine gute Laune" gebe ich zu verstehen. Es sind schon einige Kilometer zurückgelegt und die Sonne geht auf.

Es wird heiß.

Innerhalb weniger Minuten ändert sich die Temperatur dramatisch. Es wird heiß. Ca. alle 1,5 km bekommt jetzt unser Alfred kalte Tücher auf Kopf und Nacken gelegt, um den Puls nach unten zu drücken.

Etliche Stunden sind wir schon im Rennen und Robert Wimmer, der Favorit, der in der letzten Startergruppe 4 Stunden nach uns begonnen hat, läuft freundlich grüßend mit der Leichtigkeit des Seins vorbei. "Du siehst Klasse aus, Robert, aber läufst Du nicht viel zu schnell?" rufe ich ihm zu. Er negiert und meint, es wäre sein Rhythmus, es ginge ihm sehr gut. Ich hoffe und wünsche ihm, dass er Recht hat, denn ich habe ihn als sehr guten Kameraden beim diesjährigen Isarlauf kennen gelernt.

Erst nach ca. 1 ½ Stunden überholt uns Pamela Reed, die Vorjahressiegerin ...

Der erste Psychotest ist fällig und Alfred, der Proband, hat keinerlei Probleme damit, ebenso wenig mit der ersten Blutabnahme. Wir kommen in Furnance Creek, der ersten Zeitmess-station an. Es ist eine Oase mit Hotels, Restaurant, Campingplatz (= nur im Winter benutzbar), Tankstelle und Supermarkt. Wir machen da Siesta und halten uns im airkonditionierten Supermarkt mit Alfred für eine Weile auf. Ihm geht es passable.

Draußen pausiert im Schatten von Tamarisken der andere Alfred, der Gerauer, auf einer Campingliege. Er faselt etwas von Sommerfrische und sieht mit seinen 57 Jahren aus wie ein 87jähriger kurz vor einem Schlaganfall. Er scheint sich total übernommen zu haben. Ich würde einen großen Betrag wetten, dass er es nicht schafft ....

Eberhard Frixe und Uli Weber laufrn auf der Straße mit freudigem Hallo grüßend leichtfüßig vorbei. Es sind diese beiden, die im "Running" irgendwann im Jahre 2000, zu meinen Laufdebützeiten also, zusammen mit Joe Kelly porträtiert wurden als Helden des Death Valley. Sie imponierten mir sehr ... Zumal Eberhard und Uli mittlerweile den Badwater-Ultra doppelt gelaufen sind, d.h. vom Ziel am Mount Whitney zum Start nach Badwater und dann wieder zurück zum Mount Whitney non-stop. Heroes ....

Ich erinnere mich, dass ich Ende der Siebziger Jahre im "Spiegel" einen Bericht über einen "Masochisten" las, der bei Höllentemperaturen über 200 km am Stück durch das heißeste Gebiet der Erde, dem Death Valley, lief. Eine Mischung von Hochachtung und Belustigung - ich hatte damals mit dem Laufsport gar nichts im Sinn - war meine Reaktion. Die Hochachtung war jedoch sicherlich erststellig und dominant. Es war Al Arnold, der Erfinder und Gründer des Badwater Ultramarathons.

Und heute ist jeder der jedes Jahr startenden Teilnehmer ein Held oder eine Heldin. Menschen mit der Persönlichkeitsstruktur, die in früheren Zeiten den großen Entdeckern zugeschrieben wurde. Jeder Badwaterläufer macht seine eigene Forschungs- und Entdeckungsreise, nämlich die in sein Inneres Ich und kommt dabei auf allerlei wundersame Feststellungen. Beim Erreichen der Ziellinie nach 217 km am Mount Whitney bleiben bei keinem die Augen trocken, ein jeder erlebt den totalen Flash, einen Rauschzustand, ein Hochgefühl, das mit keinem Geld der Welt zu kaufen ist.

Nach ca. ½ Stunde beenden wir die Pause und Hintzmann setzt seinen Hitzemarsch fort. Als ich die Tür des Autos öffne, verbrenne ich mir am Türgriff die Finger. Das Metall ist so aufgeheizt, dass man auf der Motorhaube Steaks braten könnte. Das Läufersupporten ist jetzt Routine; alle 1 - 2 km aussteigen, Alfred Getränke und auch Powerfood reichen, kalte Kopf- und Nackenwickel auflegen und vor allem dem Läufer Komplimente machen und Mut zusprechen. Es funktioniert vorzüglich und Alfred ist den Umständen entsprechend guter Dinge.

3,5 km später kommen wir an den1882 gegründeten Harmony Borax Works vorbei, heute ein Museumsgelände, wo man 20spännige Maultierwagen aus der damaligen Zeit bestaunen kann. Diese Gespanne bestanden aus zwei Wagen, die von einem 20spännigen Maultiergespann, genaugenommen 18 Maultieren und 2 Pferden gezogen und von einem erfahrenen Lenker und seinem Assistenten oder Swamper gelenkt wurden. Ein Swamper musste bei steilen Abfahrten die Bremsen am hinteren Wagen bedienen sowie kochen und sich um die Tiere und Wagen kümmern. Mit diesen Beförderungsmitteln wurde das hier gewonnene Borax in die 350 km südwestlich gelegene Stadt Mojave gebracht. Die Boraxlieferungen wurden zwischen Juni und September eingestellt, da weder die Tiere noch die Menschen die extreme Sommerhitze des Death Valleys aushalten konnten ....

Nach etwa weitern 10 km hat Alfred den 1. Marathon geschafft. Ca. 20 % des Weges sind zurückgelegt und wir liegen gut in der Zeit. Das Thermometer zeigt auf über 50 ° C, alles läuft reibungslos und Hintzmann strotzt vor Optimismus.

Doch plötzlich springt unser Wagen nicht mehr an. Alfred hat schon etwa 150 m Abstand gewonnen. Ich renne ihm nach, um ihn über die Panne zu informieren. Ich laufe so etwa im 6er Schnitt, spätestens nach 50 m merke ich, wie mir die heiße Luft die Bronchien verbrennt, mache sofort langsamer und versuche, ihn durch Zurufen auf mich aufmerksam zu machen. Er hört mich nicht, durch schnelleres Marschieren hole ich ihn schließlich ein. Daraufhin bittet er den Fahrer eines Wagens vom deutschsprechenden Kanadiers um Hilfe, die dieser natürlich sofort und gerne gewährt. Es kann aber nur ein Provisorium sein, da jeder Läufer ein festgelegtes Betreuerteam mit Fahrzug haben muss; so sind die Spielregeln.

Ohne Betreuerfahrzeug in dieser Wüste zu laufen, würde vergleichsweise bedeuten, den Atlantik ohne Beiboot schwimmend zu durchqueren. Genauso wie der Ozeanschwimmer ohne Sichtkontakt zum Boot verzweifeln würde, genau so wäre der Badwater-Runner ohne Autobegleitung ganz schnell am Ende.

Wenige Minuten später kommt Karsten mit unserem Van angefahren. Der Motor sprang dann doch wieder an. Gott sei Dank, es kann also wie geplant weitergehen.

Viele Läufer von den nach uns gestarteten Gruppen überholen uns jetzt, teilweise joggend, teilweise schneller marschierend als Hintzmann, darunter ist Jody-Lynn Reicher mit 5 Begleitfahrzeugen, eine 41jährige sehr blonde Amerikanerin, die um 10.00 Uhr gestartet war und als Veteran in der Teilnehmerliste eingetragen ist.

Für Alfred wird es jetzt sehr anstrengend, kommen doch Hitzewinde auf, die sich durch sogenannte Mini-Tornados sichtbar machen. Es sind Staubhosen mit bis zu 30 m Höhe, unberechenbar und ständig ihre Richtung ändernd. Öfters müssen jetzt Pausen eingelegt werden. Wir sind jetzt an einem Platz angekommen, von wo man in der Ferne die 2. Zeitmessstation sehen kann, Stovepipe Wells also. Bis dahin sind es aber noch ca. 30 km. Die Straße führt wie mit dem Lineal gezogen durch die Wüste. Einige Kilometer bergab, wo Hintzmann schneller vorankommt. Aber diese endlose Gerade ist schon mental schwer zu verkraften, denn man kann kein Vorankommen registrieren. Wir kommen an einer Stelle mit der vielsagenden Bezeichnung Devil’s Cornfield vorbei und nähern uns dann über Stunden der großen Dünenlandschaft rechts der Straße. Dort hatten wir einen Tag zuvor ein gewisses Hitzetraining absolviert.

Es ist schon ein erhabener Anblick in diese prächtige Naturlandschaft: die gelben, manchmal 20 - 30 m hohen Sanddünen mit Zwerg-Wirbelstürmen darüber, im Hintergrund die kahlen Berge in den verschiedenen Farbnuancen von braun über grau, schwarz, violett und rosa und der leicht gelblich angehauchte blaue Himmel. Ob Alfred das auch noch so empfinden kann? Wahrscheinlich hat er andere Wahrnehmungen, die mehr sein Interieur betreffen, denn es wird immer heißer. Seltsam, wir haben späten Nachmittag und die Temperaturen steigen noch immer.

Die physikalische Erklärung ist simpel. Es sind die heißen Fallwinde. Denn über Mittag heizt sich die Luft durch die extreme Sonneneinstrahlung gewaltig auf, steigt nach oben, und nachdem sie die das Tal umgebenden Bergkämme erreicht hat, wird sie gezwungen wieder nach untern umzukehren. So kommt es, dass es sogar nach Einbruch der Dunkelheit noch heißer als während der Mittagszeit ist.

In Stovepipe Wells.

Nach weiteren Pausen erreichen wir dann endlich in der Dämmerungsphase Stovepipe Wells. So annähernd 69 km sind geschafft. Alfred ist guter Dinge und freut sich wie auch wir auf ein schönes Abendessen im klimaanlagengekühlten Restaurant. Vorher mache ich ihn noch auf seine gebräunten weißen Hosen aufmerksam und er wechselt nun in ein dunklerfarbenes Beinkleid ....

Das Restaurant ist zu 80 % leer. Trotzdem müssen wir warten, bis die Einweiserin kommt. Als ich sie darauf lautstark aufmerksam mache, dass wir im Rennen sind, weist sie uns mit zornesfaltigem Gesicht einen Katzentisch direkt am Eingang zur Küche an. Was soll’s, wir lachen und laben uns am wirklich brauchbaren Dinner.

Nach dem Rennen begeben wir uns zu einem Motelraum, der von unserer Organisation extra zur Pausenverbringung unserer Gruppe angemietet wurde. Das Rennen hat in unserem Team erste Opfer gefordert. Henry Wibbeg, ein 41jähriger Kriminalpolizist liegt mit Kreislaufkollaps auf einem Bett darnieder. Der 50jährige Dietrich Knoblich hat blutende Blasen an beiden Füssen und will nicht mehr weiter. Eine Woche zuvor hat er noch in Finnland am Polarkreis seinen hundertsten Marathon in schneller Zeit gefinisht und jetzt Badwater-Ultra. Es ist zu viel. Ich muss hören, dass es unserem allseits beliebten Teamleader Holger Finkernagel auch nicht gut gehen soll. Er ist aber noch im Rennen und quält sich gegenwärtig den Townes Pass hinauf.

KFZ-Probleme am Townes Pass

Wir betanken unser Fahrzeug, nehmen neues Eis für die Kühlboxen auf und Alfred’s Passion geht weiter. Wenige Kilometer hinter der Oase geht es jetzt steil bergauf, dem oben erwähnten Townes Pass entgegen. Die Temperatur wird angenehmer, denn ca. alle 300 Höhenmeter wird es 1° C kühler. Zur Orientierung: Stovepipe Wells liegt exakt auf Meeresniveau und der Townes Pass bei ca. 1.800 m. Ich steige jetzt als Läufer ins Rennen ein und begleite Hintzmann zu Fuß. Wir kommen an einem Fahrzeug vorbei, wo sich erschütternde Szenen abspielen: Ein jugendlicher Läufer steht davor, zittert entsetzlich am ganzen Körper und schließlich übergibt er sich mit einem Riesenschwall. Langsam marschieren wir den Berg hinauf, sehen vor und hinter uns die Lichter von Konkurrenten und überholen nie und werden auch nicht überholt. Die Leute scheinen jetzt ein gewisses Einheitstempo zu laufen. Aber schon lange ist Karsten mit dem Auto nicht mehr an uns herangefahren. Was ist los? Ich vermute, dass der Wagen wieder nicht will. Wir betteln andere Fahrer um Getränke an. Jetzt machen wir eine Pause, indem wir uns am Straßenrand auf die Erde setzten. Irgendwann hält dann auch mit einem PKW Monika, die Freundin von Holgers Sohn, bringt uns Getränke und verkündet, dass unser Supporterfahrzeug nicht mehr anspringen will. Es ist so wie ich es vermutet habe.

Sie lässt verlauten, es läge an der Batterie, wenn diese nicht wieder aufgeladen werden könnte, wäre Alfred aus dem Rennen. Was für ein Quatsch, es sind doch schon Läufer aus dem Rennen ausgestiegen, deren Supporterfahrzeuge sind demnach doch vakant und könnten uns zur Verfügung gestellt werden. Alfred und ich regen uns jetzt natürlich mordsmäßig auf über dieses nicht durchdachte simple und unkameradschaftliche Verhalten von Seiten Monikas. Und tatsächlich nach 1 ½ Stunden kommt Karsten. Die Batterie ist aufgeladen. Es kann also weitergehen. Am Pass selbst machen wir nun eine mehrstündige Schlafpause.

Nach Panamint-Springs

In der Morgendämmerung werden wir von Alfred geweckt, er will weiter, hat er doch soeben Herbert Hausmann an uns vorübergehen sehen. Karsten braucht noch mehr Schlaf und wird nun von einer Sprechstundenhilfe der Praxis Dr. Holger Finkernagel mit dem Supporterfahrzeug Henry Wibbegs abgelöst. Sie nimmt es sehr genau und fragt alle 100 m Alfred nach seinem Befinden .... Nun geht es steil bergab, dem Panamint Valley entgegen, ein Nachbartal des Death Valley, aber im Talgrund genauso heiß. Die Erde sieht hier aus wie ein anderer Planet. Oberflächlich betrachtet, könnte man meinen, dass außerirdische Lebewesen bei einer Landung die Erde zum unbewohnbaren Ort erklären würden. Die Realität ist völlig anders: Der Death Valley Nationalpark, der außer dem eigentlichen Todestal auch noch die umliegenden Gebirge und Täler umfasst = insgesamt 13.355 km² ist voller Leben. Insgesamt über 970 Pflanzenarten und einige 100 Tierarten sind hier heimisch, manche sogar endemisch. Erwähnenswert ist z.B. die Stachelkiefer, die knotige Äste hat und die vom Wind und Eisregen verbogen werden, kommt in höheren Lagen vor und ist mit über 4.000 Jahren die älteste noch existierende Pflanzenart der Welt. Man bedenke, diese Lebensformen existierten schon lange bevor die meisten uns bekannten altägyptischen und später einbalsamierten Pharaonen das Licht der Welt erblickten. Im Gegensatz dazu führt der Mensch, die Krone der Schöpfung, ein Eintagsfliegenleben.

Alfred kommt leidlich voran. Er überholt jetzt sogar den 57jährigen Kanadier und einen Franzosen von Anfang 50. Der Weg geht steil nach unten. Jetzt werden wir von einer Ärztin, die von der Rennorganisation beauftragt, Patrouille fährt, nach unserem Befinden gefragt. Sie ist das Rennen vergangenes Jahr auch gelaufen und war um diese Zeit auch an dieser Stelle und hätte dann mit 52 Stunden gefinisht. Diese Kunde hören wir gerne und Alfred freut sich. Den ganzen Morgen und frühen Mittag geht es nach unten zum Grunde des Panamint-Tals. Die Talsohle ist ca. 1,5 Meilen breit und stellt ein trocken gefallenes Flussbett dar. Dass es zuweilen hier stark regnet, sieht man an den Sedimentaufschüttungen diesseits und jenseits der Straße mit über 1 m Höhe. Nach solchen Regenfällen muss der Weg immer wieder mit Planierraupen freigeräumt werden. Flott marschiert unser Alfred, doch an seiner Gesichtsmimik kann ich seine Anspannung bemerken. Er beschwert sich selten, doch die Körpersprache hat auch eine starke Aussagekraft. Hintzmann ist müde, sehr, sehr müde. Jenseits des Talgrundes wird nun der Panamint Springs Resort erreicht, es ist die 3. Zeitmessstation, über 100 km sind nun zurückgelegt und es besteht doch die Möglichkeit in einem Zimmer auf Feldbetten zu schlafen. Es ist nun so gegen 15.00 Uhr und unser Held begibt sich zu seiner wohlverdienten Ruhe.

Pause im Panamint Spring Resort

Karsten wechselt jetzt wieder die Finkernagelsche Sprechstundenhilfe ab und wir finden Platz auf einem Sofa zum Ruhen. Nach ca. 2 Stunden vertreibt uns die Putzfrau. Wir gehen nun in das Restaurant und nehmen ein Mittagessen zu uns. Anschließend ruhen wir noch draußen auf Liegestühlen in der Hitze. Gerauer ist inzwischen auch eingetroffen, total erschöpft, hat er sich ein Zimmer gemietet und fällt in einen tiefen Schlaf. Seine Begleiter Angela und Edgar geben keinen Pfifferling aufs Finishen ....

Hier erlebte viele Stunden zuvor auch der Favorit Robert Wimmer sein Waterloo. Tatsächlich ist er das Rennen viel zu schnell gelaufen und im Panamint-Tal kollabiert. Mit allerletzter Kraft schleppte er sich zur Hotelanlage und meldete sich bei der Zeitmessstation vom Rennen ab. Er gibt auf .... Legt sich schlafen. Nach 4 Stunden wird er wach und muss feststellen, dass seine Begleitmannschaft ihn zwischenzeitlich wieder angemeldet hatte. Nun läuft er weiter .... Ein Hero ....

Es geht in die zweite Nacht

Es sind nur noch einige wenige Läufer in der Anlage, als wir uns zum Aufbruch fertig machen. Ich beschließe, jetzt endgültig in das Rennen einzusteigen und Alfred bis zum Ziel noch ca. 110 km zu begleiten. Es geht wieder steil bergan, viele, viele Kilometer. Immer wieder muss ich Alfred vertrösten, der stets die gleiche Frage stellt: Wann, wann endlich ist der Pass erreicht? Es kommt mir so vor, als wäre ich 20 Jahre zurückversetzt und führe mit meinen damaligen Kleinkindern in Urlaub. Papa, sind wir gleich da? ....

Die ganze Zeit hatte Alfred die Psychotests über sich ergehen lassen und hat auch artig sein Blut zapfen lassen, immer wieder nach jeweils 21 km. Da ich doch erkennen kann, dass seine Kraft schwindet, empfehle ich ihm, Prioritäten zu setzen und die Tests und Blutspenden für eine Weile auszusetzen, zumal ich mittlerweile mitbekommen habe, dass sogar Holger kollabiert ist und aus dem Rennen rau musste.

Der 3. Marathon ist geschafft und als Karsten ihm zum "Melken" auffordert, lässt er brav wie er nun mal ist, die Prozedur über sich ergehen .... Dies kostet natürlich Zeit und viel Kraft, denn Blut ist nun mal ein ganz besonderer Saft. Immer wieder rede ich auf ihn ein, erkläre, dass das Gröbste nun überstanden sei und nun sehr bald vieles leichter würde. Und tatsächlich, noch in der Dämmerungsphase erreichen wir Father Crowly’s Point und haben somit die Hitzehölle hinter uns gelassen. Jetzt geht es nur noch relativ gemächlich bergan und weitere 16 km später haben wir den höchsten Punkt, Darwin, erreicht. Hier befindet sich die 4. Zeitmessstation. Wir sind noch voll in der Zeit und sehen, dass es von nun an über weite Strecken leicht bergab zu laufen ist. Wir erkennen das an den viele Kilometer vor uns fahrenden Supporterfahrzeuglichtern, die wie eine Lichterkette an einem Platz bewegungslos zu verharren scheinen.

Jetzt kommt ein Kontrollfahrzeug der Rennorganisation und der Fahrer nennt die Startnummer von Alfred, die er gar nicht sehen kann, da er eine Leuchtjacke darüber gezogen hat. Daran merken wir, dass die Kontrolle doch effektiv ist. Die Kontrolleure tragen jeweilige Laufzeiten ein und kontrollieren dann an den Zeitmessstationen. Bei zu großen Diskrepanzen erfolgt dann die Disqualifikation, da erkennbar wird, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist ....

Wir laufen jetzt unter einem gigantischen Sternenhimmel, denn nirgends gibt es - von den wenigen Fahrzeugen abgesehen - irdische Konkurrenzlichter. Hier hat sich die Welt seit hunderttausenden von Jahren nicht verändert. In der Ferne höre ich jetzt Kojotengeheul, so wie es mir von den Indianerfilmen Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre geläufig war. Viele Fledermäuse flattern über uns und die Luft ist voller Insekten. Auch einem Skorpion kann ich auf der Straße ausweichen. Diese Spezies ist eine Lebens- und Zeitgenossin und hat Recht auf Leben.

Schon lange unterhalten wir uns nicht mehr, da die aufkommende Müdigkeit das Kommunikationsverlangen gegen Null tendieren lässt. Meist lauf ich 2 - 5 m vor Alfred. Ich muss ihn ziehen. Öfters verfallen wir, da es moderat bergab geht, in leichtes Joggen, da man damit besser gegen die Müdigkeit ankämpfen kann.

Von schäferhundgroßen Kaulquappen, Schneewehen und auf der Mitte der Straße gebauten hohen weißen Mauern

So geht es über Stunden und wir kommen gut voran, zumal die Temperatur für uns jetzt äußerst angenehm ist, so ungefähr 30° C. Mittlerweile haben wir das Gelände des Death Valley Nationalparks verlassen, von der Landschaftsstruktur ändert sich jedoch nichts. Aber was ist das? .... Plötzlich sehe ich auf der Straße Kaulquappen in der Größe von Deutschen Schäferhunden vor mir auf der Straße herumwuseln und sehe überall diesseits und jenseits der Straße große Schneewehen. Ich spreche Alfred darauf an .... Nein, Kaulquappen in Schäferhundgröße seien ihm noch nicht begegnet, auch Schneewehen hat er noch keine zu Gesicht bekommen, doch würde es ihm immer größere Mühe bereiten, über die hohe weiße Mauer, die mitten auf die Straße gebaut wurde, zu springen. Ich nehme diese Phänomene nun wahr, was sie in der Realität sind, Halluzinationen nämlich. Die sind bei uns ja noch harmlos, andere haben schon Flugsauriers sich entgegenfliegen sehen, ein anderer beobachtete schon den Teufel, als er mit dem Dreizack auf der Straße vor ihm tanzte.

Nun gut, es ist Zeit etwas zu entspannen, sich im Van niederzulegen und ein bisschen zu schlafen. Gesagt getan. Es ist bereits hell, als Alfred mich weckt. Die erste Frage: Haben wir denn noch eine Chance, das in der Zeit hinzubekommen? Ich schaue auf die Uhr und sage, auf jeden Fall, allerdings wir müssen uns jetzt sputen. Für mich hat der Schlaf ausgereicht und kann locker joggen. Alfred leider nicht. Er hat fürchterliche Schmerzen in den Füßen und läuft wie auf Eiern und wird immer langsamer. Mittlerweile wird Karsten als Begleitfahrer wieder abgelöst und drei Finkernagelsche Angestelltinnen übernehmen die weitere Sanitätshilfe.

Alfred im Jammertal

Von ihnen lässt er sich jetzt seine Füße behandeln. Ja überall hat er Blasen, die zum Teil schon blutig sind. Fachmännisch werden die Füße verarztet, aber ach, es kostet Zeit, viel Zeit. Zeit, die wir zum pünktlichen Finishen einfach nicht mehr haben. Den 4. Marathon hat er überstanden und wieder gibt er sein Blut .... Ich weiß, dass es andere schon lange nicht mehr tun.

Es kommt, wie es kommen musste; plötzlich hält das Supporterfahrzeug von Alfred Gerauer hinter uns, der Supporter Edgar Kluge steigt aus .... Ja, Gerauer habe sich nach Panamint Springs prächtig erholt und hat ausgerechnet, dass er es in der Zeit noch schaffen kann und ist wieder voller Optimismus. Und tatsächlich, nach wenigen Minuten kommt Gerauer im flotten Marschschritt und strahlt. Anerkennend klopfe ich ihm auf die Schulter und glaube ihm, dass er es schafft ....

Und bei Hintzmann hat eine total gegenläufige Entwicklung eingesetzt. Er beginnt zu verzagen. Das schaffe ich nie und nimmer, lässt er verlauten. Ich halte dagegen, dass er es wohl noch schaffen könne und dann in das Guiness-Buch der Rekorde kommen würde, als ältester Badwaterfinisher aller Zeiten.

Unerwartet taucht nun ein freischaffender Kameramann auf, der für den NDR über Alfred Hintzmann einen Videofilm dreht, denn Alfred wohnt im Hamburger Umfeld. Eine wunderbare Veränderung im Wesen von Alfred findet statt, als er sich im Focus der Kamera sieht. Sein Körper verjüngt im Zeitraffer und er geht in einer Schnelligkeit und Eleganz, die dem Werbemann von Johnny Walker Whiskey alle Ehre machen würde. "He is still going strong!”

Doch sobald die Kamera nicht mehr auf ihn gerichtet ist, fallen seine Schultern wieder nach unten und wird langsamer. Immer öfter gibt er den Verlockungen des Finkernagelschen Triumvirats nach und macht Pausen. Ich fordere ihn schärfer auf, das nicht zu tun. Die Sanitätsmädels feinden mich an: "Bernhard, der Puls von Alfred ist doch viel zu hoch, willst Du ihn ins Grab bringen?"

Uh, das hat gesessen. Ich sage jetzt nichts mehr und trotte langsam neben ihm her. Es ist schon seit langer Zeit nicht mehr mein Gehrhythmus und es ermüdet mich sehr. Die Hoffnung, in der Zeit mit Alfred ins Ziel zu kommen, gebe ich auf, da er mittlerweile alle paar hundert Meter pausiert. Ich quere auf einer Brücke noch mit ihm den Owens River, schaue über das Brückengeländer in den Fuß und sehe .... riesengroße Kaulquappen. Sofort muss ich an die Halluzinationen der vergangenen Nacht denken - Halluzinationen jetzt, sollten nicht sein - und frage Alfred was er sieht. "Große Kaulquappen" .... Ah ja, jetzt fällt mir ein, dass es in USA doch Ochsenfrösche gibt .... Es ist alles in Ordnung!

Jetzt kommt noch die Frau von Prof. Benecke zu ihm, holt ihn in den Arm und geht ganz langsam neben ihm her. Meine Anwesenheit ist jetzt sinnlos, muss ich konstatieren und besteige das Supporterfahrzeug und lasse mich im Hotel, wo unsere Gruppe untergebracht ist, absetzen.

Ich habe meine Schuldigkeit getan, mehr konnte ich nicht tun ....

Von den 10 gestarteten Läufern unseres Teams erreichten 6 das Ziel in der vorgegebenen Zeit. Gerauer hat es tatsächlich geschafft und kam nach knapp 59 Stunden am Mount Whitney-Portal an. Er wuchs über sich selbst hinaus und entwickelte ungeahnte und ungeheure Kräfte bei den letzten 16 km, die es steil bergan ging. Er war diese letzte Teilstrecke fast so schnell wie Robert Wimmer, der als 9. Sieger das Rennen beendete. Respekt und Hochachtung für diese Leistung Alfred Gerauer.

Aber auch Alfred Hintzmann ist ein Held, 200 km am Stück bei diesen klimatischen Bedingungen als 70jähriger ist eine bewundernswerte und tolle Leistung. Meinen Glückwunsch und Hochachtung.

Nachwort

Ich habe das Badwaterrennen nun hautnah miterleben können, und weiß, wie ich es angehen muss, um erfolgreich zu sein. Erfolgreich sein, bedeutet für mich anzukommen in der Zeit, wann ist nicht wirklich wichtig, auch die Zeit von Gerauer würde mir völlig genügen. Ich habe gesehen, dass es ganz wichtig ist, Supporter zu haben, die sich auf der gleichen geistigen Wellenlänge befinden. Hintzmann hätte es schaffen können, hätte er diese gehabt. Aber die letzten 25 km wurde er geradezu paralysiert. Man stelle sich Alfred als Pferd vor, das vor eine Kutsche gespannt ist. Auf dem Kutschbock sitzen 2 Kutscher. Der eine gibt die Peitsche = das war ich, der andere zieht die Zügel an = die Krankenhelferinnen der Finkernagelpraxis, die Hintzmann nicht als Sportler, sondern als Patienten angesehen und folglich auch so behandelt hatten. So konnte es nicht klappen.

Ganz wichtig: Supporter müssen Freunde und auch Sportler sein!

Wenn Chris Costman mich einlädt, werde ich in 2005 Teilnehmer des Badwater-Ultramarathons sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich finishen werden, schätze ich als hoch ein.


© Bernhard Sesterheim, 09. Dezenber 2004

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