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Elisabeth Herms-Lübbe , 2. November 2004Herbst in Remscheid
Auf die Frage, welches meine liebste Laufveranstaltung ist, würde mir die Antwort schwer fallen wie z. B. auf die Frage nach meinem Lieblingsessen oder meinem Lieblingsbuch. Ich müsste zurückfragen, in welcher Kategorie, für welche Stimmungslage, für welchen Zweck? Aber soviel ist sicher: Der Röntgenlauf wäre ganz oben dabei.
Eigentlich wird ja ziemlich jede Veranstaltung von großem Idealismus und ehrenamtlichen Engagement getragen und ist allein schon deshalb ein positives Ereignis, das hoch geschätzt werden muss. Aber der Röntgenlauf rund um Remscheid ragt noch daraus hervor. Für jeden Läufergeschmack wird die passende Strecke angeboten, von ganz kurz bis 63,3 km lang. In den Hallen ist üppige Volksfeststimmung, aber es ist so familiär, dass man Bekannte trifft. Die Jahreszeit ist gerade richtig, weil der Herbst am dramatischsten ist. Am wichtigsten für mich ist, dass die Ultramarathonstrecke Wald, Wiesen, Berge, Flüsse in Tälern, Teiche, Talsperren, Dörfer, Stadt- und Vorstadtgebiet hat und damit so stark gegliedert und vielseitig ist, dass die Augen immer wieder mit neuen Bildern erfreut werden.
Auch die Organisation ist perfekt. Nur am unteren Rand gibt s einen kleinen Missklang, leider meine Wenigkeit betreffend, statistisch gesehen allerdings unbedeutend und zu vernachlässigen. Doch davon später.
Und da gibt es die schönen T-Shirts mit den laufenden Skeletten darauf. Das vom letzten Jahr trage ich gern im Training. Damit sieht man leicht heldenhaft aus. Einmal im Schlosspark Wilhelmshöhe von Kassel hat mich ein Tourist wegen des besonderen Hemdes von vorn und hinten fotografiert. Das Motiv passt in etwa zum heutigen Halloween-Tag, denn es ist der 31. Oktober. Früher war der Tag als Reformationstag bekannt, und eigentlich hat die Reformation mit dem ganzen Mummenschanz aufgeräumt, hab ich gelernt. Aber da haben wir in wieder mitsamt T-Shirt.
Außerdem bekommt man ein Startnummernband mit www.roentgenlauf.de rund um die Taille. Was soll ich damit? Ich habe doch mein selbst genähtes mit dem Gummiband aus dem Nähkasten und einem baumwollenen Täschchen daran, das so groß ist wie eine Kreditkarte. Die kommt auch vorm Start immer hinein, außerdem die größeren Scheine aus dem Portemonnaie. Das gibt Sicherheit. Tags drauf kommt mir zum geschenkten Startnummernband die Erleuchtung: Das wird mein Gürtel in Jeans, ein modischer Hingucker, den nicht jeder hat.
Der halbe, der ganze und der Ultramarathon starten zu einer Zeit. Tausende von Läufern bewegen sich zunächst durch die anmutige Altstadt von Lennep, Röntgens Geburtsort. Dann geht es hinaus in die herbstliche Natur. Es ist milde und windstill. Blätter liegen unter den Bäumen, als wären sie wie Gewänder von den Schultern hinab zu Boden geglitten, die Bäume stehen da wie in braunen oder gelben Pfützen.
Bei Halbmarathon hören die meisten Läufer auf. In langen Schlangen warten sie auf den Rücktransport mit dem Bus. Danach wird es ziemlich menschenleer auf der Strecke. Der zweite Teil ist vom Höhenprofil anspruchsvoller als der erste.
Ich bewege mich langsam und anhaltend vorwärts, immer bedenkend, dass es bei Marathon ein Zeitlimit von sechs Stunden gibt. Also nicht trödeln, kein Gespräch mit den Pilzsammlern, die körbeweise Maronen aus dem Wald tragen. Als ich zum Marathon-Ziel komme, werde ich gegrüßt mit "Tolle Leistung, herzlichen Glückwunsch". Das äußern sie so, meinen es aber nicht, denn als ich sage "Ich will noch weiter", höre ich "Nein" und Kinder stellen sich mir in den Weg wie rote Ampelmännchen. Nanu, was soll das? Das Zeitlimit ist doch noch nicht erreicht. Kleine Kampfsporteinlage? Miesschluppen! Aber wenn ich jetzt noch lange diskutiere, ist es wirklich soweit. Ich starte durch.
"Sie wissen, Sie laufen auf eigene Gefahr weiter, alles wird abgebaut!" Nun ja. Das Abenteuer beginnt. Mit Geld vorm Bauch bin ich stark, Remscheid und die Zivilisation liegen immer gleich links, was soll da passieren?
Leider vergesse ich bei der Aufregung zu trinken. Doch schon bald steht im Wald ein Tisch, wohl eine Verpflegung im Abbau, darauf eine große Isolierkanne. Oh, Kaffee! Nein, es ist Glühwein mit Tannennadeln, auch gut. Entgegen der Voraussage werde ich noch überall freundlich verpflegt und brauche nicht in mein Bauchtäschchen zu greifen. Auch die Streckenmarkierungen sind noch dran.
Der letzte Teil der Strecke ist der schönste. Unter halb kahlen Bäumen schimmern Wasserflächen von Talsperren. Es wird langsam dunkel, vier Männer auf Rädern leuchten mir den Weg. Als ich endlich im Ziel und im Sportzentrum ankomme, ist das tosende Leben schon abgeebbt und das Aufräumen beginnt. Aber die Dusche hat noch heißes Wasser ohne Ende.
© Elisabeth Herms-Lübbe, 2. November 2004
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