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Lesestoff - Ultramarathon beim Steppenhahn (04.2001)
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Zen Running - Günter Heidinger
978-370880448408.2008,
Zen Running Schon wer dieses Buch in die Hand nimmt, spürt deutlich, dass er soeben eine andere Welt betreten hat. Das Werk ist Broschiert, auf dem stabilen Umschlag prangt in asiatisch stilisierter Schrift der Titel über zwei als Stillleben drapierten ausgetretenen Laufschuhen. Auf den ausladenden Umschlagklappen findet sich vorn ein großes asiatisches Schriftzeichen, unübersetzt und somit als ungelöstes Rätsel. Statt knackiger Slogans sitzen nüchterne Überschriften auf schwarzen Doppelseiten, die Schrift ist die zweispaltig in klassischer Serifen-Schrift mit Kapitälchen gesetzt - dazwischen reichlich weißer Raum und die wichtigsten Passagen, unaufdringlich eingestreut in orange-roter größerer Schrift.

Der in diesem Tempel zu seinen Lesern spricht, ist Günter Heidinger, Radfahrer, Triathlet und Läufer, der „Sport als Lebensweg“ zunächst passiv erleiden musste, um ihn schließlich aktiv für sich zu nutzen. Zen Running ist das Ergebnis dieser Selbsterfahrung. Enttäuscht sein von dem Buch wird, wer eine Anleitung zur Leistungssteigerung sucht und auch, wer sich alternatives Training à la „mit weniger Anstrengung zum Erfolg“ verhofft. Für mich selbst war jedoch bereits das Lesen von Heidingers Ausführungen ein Schritt zu etwas Neuem. Dabei beruht ein Teil der Faszination allein darauf, wie der Herr Doktor (der Philosophie) den Weg zu seiner neuen Geisteshaltung im Sport zu schildern weiß. Dass der Österreicher den seinen Landsleuten so gern nachgesagten besonderen Charme nutzen kann, verdankt er sicher auch dem Wiener Kneipp-Verlag, dessen Lektoren sich ganz offenbar nicht der so modernen Zensur langer Sätze hingegeben haben. Ohne diese Barriere schreibt Heidinger Sätze, die im geistigen Ohr des Lesers plätschern wie die gleichmäßigen und doch phantasievollen Linien eines japanischen Steingartens. Und vor allem ohne Selbstzensur offenbart er persönliche Einsichten, wenn er auf sein Leben blickt: „Die aus einer solchen Konstellation resultierenden Krisen blieben nicht aus, ich kämpfte in alle Richtungen, versuchte alles zu schaffen, war zwar gestresst, dennoch eigentlich niemals wirklich überfordert, jede Minute meines Tages war verplant und entstand plötzlich und unerwartet ein Zeitloch, lief ich Gefahr durchzudrehen, wenn mir nicht sofort einfiel, wie dieses sinnvoll und produktiv zu füllen sei.“ (S. 23) Selbst den schwer zu fassenden Gedanken, der die Tür öffnete zu dem vorliegenden Buch, bringt Heidinger mit den notwendigen Umschweifen zu Papier: „Ich lief weiter und dachte nach, lief noch länger und weiter, hatte während mancher langer Läufe aufgehört nachzudenken, lief noch länger und wurde immer ruhiger und freier im Kopf.“ (S. 25)

Ein Weg zu den Bedingungen der Möglichkeit, Momente wie die geschilderten zu erleben, ist Zen Running. Die vorsichtige Ausdrucksweise ist dabei an den Autor selbst angelehnt, denn gerade das seelische Wachstum - neben Körper und Geist das dritte Element im Zen - kann man weder unmittelbar anleiten noch wirklich treffend mit Worten beschreiben. Auch das im Abendland so verbreitete Denken in Gegensätzen, als „entweder… oder“ und erst recht „er oder ich“, ist dem Zen fremd. Wie also passen „Zen“ und Sport dann zusammen?

Zen ist eine fernöstliche Geisteshaltung, die alles Weltliche als Vergängliches ansieht. Befreiung kann durch tief greifendes Erkennen dieses Umstands erreicht werden. Mit 7 Arten des Laufens soll Zen Running den Läufer zu diesem kontemplativen Einssein mit der Welt führen. Diese sind Übungslauf, Energielauf, Reinigungslauf, Meditationslauf, Reflexionslauf, Krisen- sowie Kontemplationslauf. Davon, die Techniken als Religionsersatz zu verstehen, distanziert sich der Autor immer wieder. Demgegenüber erkennt er - für den nicht ganz so standfesten Novizen beruhigend - zumindest zwischen den Zeilen an, dass auch die gelegentliche Verwendung einiger Übungen positiv sein kann. Zumal Perfektion dem Menschen im Zen ohnehin nicht möglich ist…

Das Ungewöhnliche an Heidingers sieben Laufarten offenbart sich weniger unter trainingswissenschaftlichen Gesichtspunkten. Meist wird eine Dauer von 30 bis 60 Minuten empfohlen, und bis auf den Energielauf wird als Intensität eher zum lockeren oder langsamen Tempo geraten. Das Besondere der verschiedenen Trainingsarten liegt stattdessen auf dem gedanklichen Geschehen. Beim Meditationslauf übt man die Konzentration auf ein persönliches Energie-Wort oder eine Silbe, der Krisenlauf lehrt, ein Problem zu konfrontieren, und beim Reinigungslauf gilt es, bewusst alles Schlechte, das man während einer - und hier zeigt sich die humorvolle Weltzugewandtheit des Autors - „anstrengenden Nacht“ aufgenommen hat, auszuatmen.

Das Trainingsprogramm von Zen Running richtet sich gleichermaßen an Körper, Geist und Seele. Auch wenn sportliche Wettbewerbe damit nicht zum Tabu werden, geht der Zen Runner sie mit einer grundlegend anderen Haltung an. Heidinger empfiehlt, „sich vom Gedanken des Sieges über den sportlichen Konkurrenten so weit [zu] entfernen, dass dieser nicht mehr als Gegner, sondern primär als Helfer erscheint.“ (S. 37) Welchem Läufer (der westlichen Welt) dies wohl gelingt? Eindeutige Sympathien hege ich dagegen für die Empfehlung, sich „neben dem körperlichen Training […] auch geistige Impulse zu verschaffen, [zu] lesen [oder] sich mit interessanten Menschen in sinnvollen Diskussionen [auseinander zu] setzen.“ (S. 123)

Wer Letzteres mag, wird sich mit Zen Running wohl fühlen. Es handelt sich hier um ein außergewöhnliches Buch, in dem die laufbegeisterten Gedanken mal ohne den obligatorischen Schweiß-Geruch von Trainingsratgebern umherstreifen können. Und obwohl ich als erfahrene Läuferin bei Zen Running „wenigstens ein paar Gedanken gefunden […], die [mir bereits] bekannt sind“ (S. 122), gefunden habe, kann ich diese 125 Seiten als tiefgründige Laufgedanken-Reise und wertvolle Inspirationsquelle nur empfehlen.

Christiane Zeherer


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