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der baldeney marathon

http://www.steppenhahn.de/mara/verena98.html 10.2000

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    Mein erster Marathon (Verena Liebers, 1998)

    vrenili beim hermann 1999Heute morgen bin ich aufgewacht und habe gedacht alles ist anders. Vielleicht ist der Himmel jetzt grün, die Häuser stehen auf ihren Dächern und mein Frühstückstee kocht sich alleine.

    In Wirklichkeit bin ich gestern Marathon gelaufen.

    Als ich aufstehe, weil mein Tee überhaupt nicht von alleine kocht, spüre ich meine Muskeln schmerzlich. Das ist tatsächlich Nachhilfe in Anatomie, ich hatte keine Vorstellung wo ich überall Muskeln habe! Sogar im Rücken tut es weh - dabei bin ich wirklich nicht auf allen Vieren gegangen! Der Himmel ist auch nicht grün, sondern ganz gewöhnlich regengrau. Ist denn das zu fassen? Könnte es der Welt entgangen sein, daß ich 42,2km gelaufen bin? Und das alles noch dazu ziemlich spontan entschlossen. Anfang der Woche hatten meine Kollegen gemeint, daß ich wohl Marathon-Läuferin wäre. Und ich hatte erstmal richtig gestellt, daß ich zwar regelmäßig, aber immer nur kleinere Strecken laufe. Aber irgendwie setzte sich das Wort Marathon in meinen Gehirnwindungen fest. Dann platzte die Verabredung mit einem Freund zu einem 15km Lauf und ich sah mich nach Alternativen um. Im Internet entdeckte ich die Ankündigung für den Baldeneysee-Marathon. Eigentlich eine Größenordnung zu viel für mich. Aber mein Unbewußtes war offensichtlich schon völlig fasziniert - jedenfalls träumte ich nachts, daß ich zur Anmeldung ging. Weil ich lieber wieder andere Sachen träumen wollte beschloß ich diese Aktion in die Realität zu transferieren. Samstag war Nachmeldung möglich. Und plötzlich dachte ich auch - warum nicht? Samstag nachmittag fuhr ich also zum Baldeneysee. Vorsichtshalber warf ich nur einen kurzen Blick auf den See, denn eigentlich sah er ganz schön groß aus. Und den sollte man zweimal umrunden? Bei der Anmeldung fragte ich wo denn der Start wäre und erntete die etwas unwirsche Antwort:“Gucken Sie doch mal auf den Plan - und außerdem ist da morgen ein großes Schild.“ Anscheinend waren meine Bedenken ich könnte den Start nicht finden unbegründet....Dafür träumte ich dann, daß ich mich während des Laufs verirrte. 42km sind doch nun mal lang...Außerdem war ich mehrmals in der Nacht wach und lauschte dem Sturm und Regen, der gegen das Fenster prasselte. Wieviele Überlebenschancen hat man eigentlich im nassen T-shirt im Herbststurm, wenn es zum Stehen bleiben zu kalt und das Weiterlaufen zu anstrengend ist? Zum Frühstücken war ich dann eigentlich schon zu aufgeregt und fast eine Stunde vor dem Start fuhr ich zum See. Nicht etwa, daß der Lauf jetzt ohne mich startete! Jetzt war ich fest entschlossen es zu versuchen! Es pfiff ein eisiger Wind und im Grunde war es schon sehr sportlich bei diesem Wetter auch nur spazieren zu gehen. Endlich dröhnte aus dem Lautsprecher der Aufruf zur Startaufstellung. Der Geruch nach Schweiß und Mensch umgab mich. Der bunte Ameisenhaufen versammelte und sortierte sich. Die schnellsten nach vorne, die langsamsten nach hinten. Die 30Marathonis, die zum ersten Mal dabei waren, wurden extra begrüßt. Das fand ich ja sehr nett. „Die meinen mich“, sagte der Läufer neben mir. „Mich auch“, antwortete ich. „Na dann viel Glück“, sagte daraufhin ein anderer. Dann knisterte die Luft wie Weihnachten vor der Bescherung und endlich fiel der Startschuß. Bewegung kam in den Ameisenhaufen.

    Endlich Laufen! Die ganze Anspannung und Aufregung wird endlich zu Fußgetrappel. An der ersten Kurve stehen Leute und applaudieren. Meinen die mich? Ich laufe doch bloß. Herrliches Gefühl, endlich in Bewegung zu sein, meinen Rhythmus zu finden und dann genüßlich vor mich hin zu traben. Manche überholen eifrig, andere plaudern gelassen, aber alle laufen. Die Spitzengruppe zischt von dannen, der Rest sortiert sich. Kaum bin ich warm gelaufen, gibt es schon Getränke am Straßenrand. So ein Service. Ich habe mir fest vorgenommen alle Pausen zu nutzen, um meine Reserven zu schonen. Das Erfrischungsgetränk ist süß und klebrig. Naja, wenns hilft. Bei km10 habe ich noch keine Stunde gebraucht. Na sowas, bin ich schnell. Verlaufen kann man sich jedenfalls nicht, Markierungen und Aufpasser nehmen einem diesbezüglich das Denken ab. Plötzlich gibt es Musik und aus dem Lautsprecher ruft jemand meinen Namen:“Nr 115 - viel Glück! Du schaffst es!“ Zwei Minuten fliege ich daraufhin, dann merke ich, daß ich trotz aller Ermunterung noch selber laufen muß. Bei km20 heißt meine Zwischenzeit 1,54 und ich denke, wenn ich so weiter mache brauche ich nicht mal vier Stunden bis zum Ziel. Die Getränke bei km25 lasse ich dann aber doch aus, weil mein Magen gewisse Ermüdungserscheinungen meldet. Mir kommt der Verdacht, daß die zweiten 20km doch härter sind als die ersten 20....Die Zuschauer haben sich wahrscheinlich weitgehend ins Warme zurückgezogen oder begleiten lieber die Spitzentruppe. Jedenfalls trabe ich eine zeitlang ganz allein dahin. Der See ist graubraun und aufgewühlt und die Bäume leuchten in nassen Herbstfarben. Robinson Cruso kann auch nicht glücklicher gewesen sein. Bei km30 wird mein Glück von kleinen Schmerzmeldungen aus den Beinen unterbrochen. Ich gestatte mir eine erste Gehpause und stelle fest, daß das gar nichts nützt. Gehen kommt mir fast schmerzhafter vor als laufen. Ein Jogger neben mir kommentiert meine Stolperschritte verständnisvoll: „Ab jetzt wirds hart!“ Ein anderer muntert mich auf:“Super für den ersten Marathon!“ Also wirklich, selbst wenn es jetzt weh tut - nett ist es auf alle Fälle hier. Am nächsten Pausenstand dröhnt eine Stimme aus dem Lautsprecher:“Also jetzt nochmal im Laufschritt Nr.115- tu uns den Gefallen!“ Ich könnte ihn erwürgen - wie soll ich denn beim Laufen mein Getränk in den Magen befördern? „Lauf Du erstmal 35km“, knurre ich und werfe den Becher wieder weg, um brav loszutraben. Das ist schon nett, daß man hier sein Geschirr einfach hinter sich werfen darf. Wer hier läuft ist König und darf alles was sonst verboten ist. An der nächsten Ecke erbricht sich einer, das finde ich aber gar nicht schön. Lieber beschließe ich noch eine Gehpause, bevor es mir auch so geht. Etliche überholen mich. Ob ich als letzte ins Ziel komme? Bei km 38 sammeln mich zwei auf und sagen:“Los, die letzten km machen wir zusammen.“ Hoppla, tut das wohl. Sechs Beine nebeneinander laufen plötzlich wieder viel leichter als meine zwei alleine. Nur als ich was sagen will merke ich, daß meine Atemmuskulatur wohl etwas verkrampft ist. Naja, macht auch nichts, so ganz wesentliche Dinge gibt es jetzt ohnehin nicht zu besprechen. Müde sind wir und auf das Ziel freuen wir uns, das ist auch so klar. Die letzten zwei km ziehen sich wie Kaugummi in die Länge, aber plötzlich macht der Weg eine scharfe Rechtskurve und die Stoppuhr im Ziel zeigt 4Std32 Minuten als ich einlaufe. Einer drückt mir eine Rose in die Hand, ein anderer hängt mir eine Medaille um und ein dritter wickelt mich in eine Decke. Ich habs geschafft! Ich heule wie ein Schloßhund vor Freude und Erschöpfung , aber auch dafür ist jemand da, um mich zu trösten. Irgend jemand drückt mir einen Power riegel in die Hand, ein anderer ein Getränk und ich kann es immer noch nicht fassen, daß sich hier so viele Leute um mich kümmern, wo ich doch nichts anderes getan habe als zu laufen. Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft. Wozu sonst sind meine zwei Beine? Jetzt allerdings haben meine Beine verstanden, daß sie nicht mehr im Einsatz sind und verweigern sofort vollständig ihren Dienst. Ich stolpere nur noch über den Parkplatz, lache irgendwelchen Marathonis in tiefer Verbundenheit zu und fühle mich durchaus betrunken. Als ich zu Hause aus dem Auto steige und die Treppe zu meiner Wohnung nach oben gehe fühle ich mich ziemlich schwerbehindert. Eigentlich tut alles weh.

    Nur die Seele nicht - die fliegt und träumt vom nächsten Mal!

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7941 Zugriffe seit dem 02.10.2000, © Stephan Isringhausen

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